Trainer im 3x3-Basketball Wie der Marburger Coach Suliman den Weg zu Olympia-Gold ebnete
Im August jubelten acht Millionen Deutsche mit den 3x3-Basketballerinnen über ihr Olympiagold. Am Sonntag können diese zur "Mannschaft des Jahres" werden. Im Interview spricht Bundestrainer Samir Suliman über den beschwerlichen Weg zur Medaille und was Michael Endes "Momo" damit zu tun hatte.
Am Sonntag werden in Baden-Baden die "Sportler des Jahres" gekürt. Die 3x3-Basketballerinnen könnten in der Kategorie "Mannschaft des Jahres" abräumen. Wir haben im Vorfeld mit Bundestrainer Samir Suliman im Interview auf den langen Weg bis zu Olympia-Gold geblickt.
hr-Sport: Samir Suliman, wir wollen mit Ihnen über den Weg zur Goldmedaille sprechen. Als Treffpunkt haben Sie das Sportgelände der Uni Marburg vorgeschlagen. Welche Bedeutung hat der Ort für Sie?
Suliman: Hier haben wir das Fundament unserer Föderationen-Wertung im Jahr 2023 gelegt. Die Fiba nennt das "grasroot"; es ist ein kleiner, aber wichtiger Baustein in unserer Qualifikation für Olympia. Hier hat alles begonnen, von daher bin ich dem Leiter Dr. Jens Kruse und dem Team "3x3 Marburg" sehr dankbar.
hr-Sport: Sie sind der Bundestrainer des Teams, das sensationell 3x3-Gold holte. Dabei haben Sie selbst erst mit 20 Jahren mit dem Basketball angefangen. Warum so spät?
Suliman: Ich komme aus dem wunderschönen Sauerland vom Dorf. Da gab es Basketball nur in der Schule. Erst nach dem Abitur habe ich bei Rot-Weiß Lüdenscheid in der Bezirksliga gespielt und da mit dem Sport angefangen. Vor meinem Umzug nach Marburg fürs Studium war ich außerdem bei Brandt Hagen aktiv, um mehr über Basketball zu lernen.
"Es ging von der Mitte Kanadas in die Provinz Chinas, von Aserbaidschan über die Wüste Gobi, bis zur Hauptstadt der Uiguren Ürümqi, wo wir um 5.30 Uhr umgestiegen sind ... Wir waren wirklich an unseren psychischen und physischen Grenzen." Zitat von Samir SulimanZitat Ende
hr-Sport: Die meisten Sportfans haben erst bei Olympia die Begeisterung für 3x3 entdeckt. Wie war es bei Ihnen und was macht die Faszination aus?
Suliman: Ich habe in den Neunzigern sehr viel Streetball gespielt, das ist die Urvariante dieser olympischen Disziplin. Der Reiz ist: 3x3 findet draußen statt, es läuft Musik, man hat mehrere Spiele an einem Tag, es hat Event-Charakter. Und: Man kann Fehler sofort wieder ausbügeln. Außerdem hat die Fiba eine grandiose Regeländerung durchgeführt: Im 3x3 kann man nach einem Korberfolg der Gegnerinnen unter dem Netz den Ball aufnehmen und von dort aus weiterspielen. Der Zeitdruck ist aber enorm, weil man nur zwölf Sekunden für den Wechsel in den Angriff und den Abschluss hat. Diese Dynamik hat nun wohl auch die Zuschauer bei Olympia gepackt.
hr-Sport: Nach dem Olympiasieg haben Sie einen Vergleich Ihres Teams gezogen zu Beppo, dem Straßenkehrer, aus Michael Endes Buch "Momo". Er sagt sinngemäß, dass es nur auf den nächsten Augenblick, den nächsten Besenstrich ankomme. Woher rührt dieses Bild?
Suliman: Der Spruch von Beppo hing jahrzehntelang an meinem Schreibtisch, eigentlich seit Beginn meines Medizinstudiums, weil auch das ein relativ langer Weg ist. Wenn man so einen Weg zu Beginn in seiner Gänze betrachtet, kann einen das übermannen. Wenn man aber eine Prüfung, ein Spiel, einen Korb einzeln wahrnimmt, fällt alles leichter.
hr-Sport: Welche einzelnen "Besenstriche" auf dem Weg zur Goldmedaille fallen Ihnen ein?
Suliman: Im Februar 2023 habe ich das Damen-Team übernommen, seinerzeit war der erste Besenstrich: erst einmal eine Strategie aufstellen. Es geht schließlich auch immer um Wertungen, um Punkte, um überhaupt nach vorne zu kommen. Der zweite Strich waren die vielen Reisen zu den Spielen: Wir sind zwei Mal über die Datumsgrenze geflogen, das macht man auch nicht immer im Leben. Einmal waren wir 38 Stunden am Stück unterwegs, um an den nächsten "Women's Series stop" zu kommen. Es ging von der Mitte Kanadas in die Provinz Chinas, von Aserbaidschan über die Wüste Gobi, bis zur Hauptstadt der Uiguren Ürümqi, wo wir um 5.30 Uhr umgestiegen sind ... Wir waren wirklich an unseren psychischen und physischen Grenzen.
Sport: Gerade diese Reisen werden von den Spielerinnen in der Doku "Im Moment" als wichtiger Baustein für die gute Gemeinschaft genannt. Würden Sie es auch so sehen?
Suliman: Ja, unter anderem. Wir haben eine Menge Zeit miteinander verbracht, in einer relativ kleinen Gruppe. Vier Spielerinnen, ein Trainer, ein Physio - wir haben alle darauf geachtet, dass wir mit großem Respekt und Toleranz miteinander umgehen. Anders hätten wir diese Strapazen nicht überstehen können.
hr-Sport: Allein die Qualifikation für Olympia verlief dramatisch. Beim Spiel in Ungarn kam es auf den letzten Wurf an, Sie aber hatten schon vorher die Arme zum Jubel hochgereckt. Warum waren Sie sich so sicher?
Suliman: Sicher war ich mir nicht, aber ich habe fest daran geglaubt. Svenja (Brunckhorst) ist eine exzellente Zwei-Punkt-Schützin. Wir hatten über diesen Wurf ganz lange gesprochen, noch am Vormittag vor dem Spiel ein spezielles Wurftraining absolviert. Es war exakt der gleiche Winkel wie später im Spiel, aus dem sie noch mal 15, 20 Würfe geprobt hatte. Genau diese Bewegung! Das ist dann auch Schicksal oder Vorhersehung, was auch immer Sie dafür als Begriff verwenden wollen. Also war ich mir sicher, riss die Arme hoch und dachte: Der WIRD reingehen.
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hr-Sport: Wann haben Sie in Paris realisiert, dass mehr möglich ist als nur das Überstehen der Vorrunde?
Suliman: Es gab zwei Momente. Zum einen das Auftaktspiel gegen die USA. Wir hatten uns vorgenommen, das Spiel zu stealen. Im Gegensatz zu uns hatten die US-Amerikanerinnen weniger Zeit miteinander verbracht. Doch dann ging es - wie man bei uns im Sauerland sagt - erst einmal "inne Fritten", wir lagen 0:5 zurück. So schlecht lief unser Start ins olympische Turnier auf der größten Bühne der Welt für 3x3. Doch: Wir fangen uns! Das war für mich ein Zeichen: Sie sind bereit, unser Ding durchzuziehen. Dieses Spiel, so wie es gelaufen ist, war extrem wichtig für uns.
hr-Sport: Weil das Team das Spiel gedreht hat?
Suliman: Genau, es ist in unserer Sportart extrem wichtig, das Momentum wieder zurück auf seine Seite zu holen. Ein lockerer Sieg hätte uns nicht so viel gegeben wie dieses Comeback. Der zweite Knackpunkt war für mich der Sieg gegen Kanada, das aus meiner Sicht beste Team der Welt. Wir haben sie im Turnier zwei Mal geschlagen, zwei Mal ausgefuchst. Nach dem ersten Spiel haben wir den Traum von Bronze zugelassen.
hr-Sport: Das Halbfinale gegen Kanada gewann Deutschland fast buchstäblich in letzter Sekunde. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Suliman: Erst einmal habe ich wahrgenommen, dass Sonja Greinacher ein Spiel liefert, das nicht von dieser Welt ist. "Sunny" macht 11 von 16 Punkten in einem olympischen Halbfinale und wirft den letzten Wurf über ausgestreckte Hände. Ich glaube sogar, sie sieht den Korb nicht. Sie trifft ihn dennoch und bringt eine Ober-ober-Weltklasseleistung. Ansonsten habe ich mich sehr gefreut, weil wir eine Medaille sicher hatten. Also haben wir uns gesagt: Lasst uns alles geben, noch mal alles raushauen, zum letzten Spiel der Karriere von Svenja, lasst uns alles auf diesem Platz lassen ... ist uns gelungen.
hr-Sport: Sieben Sekunden vor dem Ende im Finale führte Deutschland 17:16. Spanien war am Ball, Deutschland musste verteidigen, durfte aber kein Foul mehr begehen.
Suliman: Ich würde gerne noch vorher einsteigen. Elisa (Mevius) hat das Spiel ausgeglichen, wir stellen auf unentschieden, dann setzt uns "Sunny" wieder zwei vor. Es ging dann um die Balance, zu verteidigen und gleichzeitig nicht zu foulen. Die spanische Spielerin zieht los, halbrechts am Korb und "Sunny" lässt sie einfach gehen - das war genau die richtige Entscheidung. Denn wenn das Foul passiert, ist das Ding weg. Danach kommt der Turnover. Ich habe erwartet, dass die Spanierinnen "all in" gehen, ein Wurf für den Olympiasieg. Let it fly for Gold!
hr-Sport: Deutschland hätte bei einem solchen Treffer nicht mehr reagieren können...
Suliman: ... sehr unwahrscheinlich. Doch in der Auszeit besprechen die Spanierinnen sich. Sie sind sich sicher, dass sie die Overtime gewinnen würden - deswegen entscheiden sie auf einen (Punkt für den Ausgleich). Marie (Reichert) switcht also raus, ich sehe, dass der Passwinkel schwierig wird für Spanien und der Ball nicht gut gefangen werden kann. Der Wurf wird schwierig, dazu kommt der Zeitdruck! Ich denke in diesem Moment nur: Entweder wir gewinnen oder es gibt Verlängerung, das wäre auch kein Problem. Ich bin in diesen Sekunden schon relativ entspannt, weil wir es nicht verlieren können. Und dann packen wir es tatsächlich.
hr-Sport: Was ging durch Ihren Kopf?
Suliman: (überlegt.) Es war schon eine große Zufriedenheit, nach allem, was wir da reingesteckt haben. Aber ich würde es eine zufriedene Erschöpfung nennen. Mit etwas Abstand habe ich vor allem große Freude empfunden, was wir in Deutschland bewegt haben. 3x3 wird als cooler Sport wahrgenommen, zu dieser Disziplin kommt viel positives Feedback. In Paris hat sich ein Kreis geschlossen. Irgendwann steht man eben getreu dem Motto von Beppo am Ende der Allee. Unser Ende der Allee beim 3x3 war dann der Place de la Concorde in Paris.
Das Gespräch führte Ron Ulrich.