Lilien brauchen Antworten Kohfeldt sucht das ganz kleine Gefühl
Mit wachsender Dringlichkeit sucht der SV Darmstadt 98 nach dem Team, das die Lilien selbst noch am Ende des vergangenen Jahres waren. Trainer Florian Kohfeldt betreibt vor dem Auswärtsspiel in Braunschweig öffentlich Ursachenforschung für die Krise.
![Florian Kohfeldt still](https://www.hessenschau.de/sport/fussball/darmstadt-98/kohfeldt-still-112~_t-1739458664831_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/sport/fussball/darmstadt-98/kohfeldt-still-112~_t-1739458664831_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/sport/fussball/darmstadt-98/kohfeldt-still-112~_t-1739458664831_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/sport/fussball/darmstadt-98/kohfeldt-still-112~_t-1739458664831_v-16to9.jpg 960w)
Es war ein früher Weihnachtswunsch, den Florian Kohfeldt Ende November äußerte. Die Grauschattierungen vermisse er in den Porträts, die in der Presse von ihm gezeichnet würden. Kohfeldt ist mit 42 Jahren noch immer ein junger Vertreter seines Gewerks. Zwischen Trainer des Jahres in Deutschland und Abstiegskampf in Belgien hat er aber schon viele Höhen und Tiefen einer Trainerlaufbahn ausgemessen. Damit hat er eine Ursache dafür gesetzt, dass Kohfeldt etwas zu genau weiß, wie es sich anfühlt, hochgejubelt und niedergeschrieben zu werden.
Denen, die sein Tun in Darmstadt begleiten, macht er es nun aber schon wieder schwer, die richtigen Zwischentöne zu treffen. Am 5. Spieltag übernahm Kohfeldt in Darmstadt. Noch am 16. Spieltag waren die Lilien das beste Zweitliga-Team in der Kohfeldt-Tabelle. In der Rückrunde sind die bislang das Schlechteste. Wer den Südhessen zuletzt beim Fußballspielen zusah, konnte keinen Kollaps beobachten. Nur ein Punkt und drei Tore aus den verganenen fünf Spielen werfen dennoch Fragen auf, die allmählich drängender werden.
Liegt's am Verletzungspech? Ja, aber nicht, an denen, die fehlen, sagt der Trainer. Dass zusätzlich zu den Langfrist-Patienten Philipp Förster krankheitsbedingt nicht im Bus nach Braunschweig sitzen wird, dass Fraser Hornby fehlen wird, dass Oscar Vilhelmsson Knieprobleme ausbremsen – nicht Kohfeldts Thema. Problematisch dagegen: die Automatismen. "Rechter Verteidiger und rechter Zehner etwa, wenn sich das verändert, dann verändert sich dieses ganz kleine Gefühl", sagt Kohfeldt. Kai Klefisch und Andreas Müller etwa hätten in der Zentrale ein blindes Verständnis entwickelt. "Da hättest du das Licht ausmachen können und der Kai sagt, der Andi steht da und der Andi sagt, der Kai steht da", versichert der Trainer. Am Wochenende steht zumindest Klefisch verletzungsbedingt gar nicht auf dem Platz.
Fehlen Führungsspieler? Jein. Dass es der Mannschaft an Personal mit Leitungsanspruch mangelt, kann Kohfeldt nicht feststellen. Beispielhaft nennt er Aleksandar Vukotic, der im Spiel gegen Elversberg nach einem gewonnenen Zweikampf das Publikum mit ausladender Geste aufpeitschte. Solche Detailbeobachtungen seien aber in der 0:3-Niederlage untergegangen. Andere fehlen verletzt. Klefisch etwa als "emotionale Stütze". Dafür ist der schmerzlich vermisste Isac Lidberg zumindest als Teilzeitkraft zurück. Auch in Winterzugang Jean-Paul Boetius erkennt sein Trainer einen Leadertypen, der sogar schon an die Tür zur Startelf klopft.
Hat das Team ein Kopfproblem? "Ich spüre keine grundsätzliche Verunsicherung. Weil der Weg dafür zu klar ist", beteuert Kohfeldt. Um seine Beweisführung abzuschließen, betont er, dass die Phase nach dem 0:1-Rückstand gegen Elversberg die beste im Spiel der Lilien gewesen sei. Manchmal sei die Willensbildung sogar etwas zu stark ausgeprägt. "Wir haben die absolute Bereitschaft, an die Grenze zu gehen. Das sind gute Voraussetzungen, um Spiele zu gewinnen."
Wie tief lässt Nürnbergers Ausraster blicken? Wie lange Fabian Nürnberger für seine Handgreiflichkeiten auf dem Platz aussetzen muss, stand am Donnerstag noch nicht fest. Aus der Szene lasse sich aber weder etwas über das Binnenklima noch über Nürnbergers Persönlichkeitsstruktur herauslesen, betont Kohfeldt: "Es ist einfach ein Blackout gewesen. Er hat sich total glaubwürdig und aufrichtig bei allen entschuldigt, insbesondere bei der Mannschaft. Alle wissen, das war dumm. Trotzdem ist das überhaupt kein schlechter Junge. Ihm tut es maximal leid, was er da getan hat und er kann es sich selbst nicht erklären."
Fehlt der Zusammenhalt? Aus den Äußerungen von Kapitän Clemens Riedel hätte man interpretieren können, dass sich das Team in Phasen uneins über die taktische Ausrichtung gewesen sei und eigene Pläne verfolgt habe. Kohfeldt konnte das aber als Missverständnis entkräften. Abgesehen von kleineren Abstimmungsproblemen zwischen den verschiedenen Mannschaftsteilen sei das Team ein Ausbund an Eintracht: "Ich bin jetzt 42 und seit 15 Jahren in Profikabinen unterwegs. Ich habe noch nie eine so harmonische, vielleicht manchmal sogar zu harmonische Kabine gehabt, die so sehr zusammenhält und so bereit ist, Dingen zu folgen."
Waren die Erwartungen zu hoch? Kohfeldt spannt einen großen Bogen: "Wir haben uns langsam hinentwickelt zu einer Mannschaft, gegen die im November, Dezember keiner, inklusive eines Top-acht-Bundesligisten, gerne gespielt hat. Dadurch sind die Erwartungen an uns extrem gestiegen. Das ist legitim, das ist okay. Das darf uns aber nicht den Blick dafür vernebeln, was die Ausgangssituation war und was unser Gesamtziel war. Deshalb ist die Phase jetzt, die viele Herausforderungen bereithält, eine Phase, die sehr lehrreich ist."
Wie kann in Braunschweig die Wende zum Guten gelingen? "Das ist ein qualitativ sehr starker Kader, der mit den Tabellenregionen, in denen sie sich bewegen, nicht viel zu tun hat", findet der SVD-Trainer. Er erwarte trotzdem oder gerade deshalb kein Spiel, das extrem in eine Richtung laufen werde. "Es wird sich wieder an kleinen Momenten entscheiden. Aber du musst ganz viel tun, dass dieser kleine Moment überhaupt kommt."