Abschied nach zehn Jahren Kempe-Ära endet – Was bleibt, ist ein Freistoß

Er schoss den SV Darmstadt 98 in die Bundesliga und prägte den Verein über Jahre, nun geht die Zeit von Tobias Kempe bei den Lilien zu Ende. Es wird ein Abschied durch das ganz große Tor.

Tobias Kempe wird auf Schultern getragen.
Tobias Kempe verlässt Darmstadt 98. Bild © picture-alliance/dpa
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Obwohl im Profi-Fußball inzwischen alles gemessen und verglichen wird, gibt es noch immer keine belastbaren Statistiken zu den höchsten Dezibel-Zahlen in Deutschlands Fußballstadien. Einige Arenen sind eher leiser, andere stimmungsvoller. Entscheidende Tore, verrückte Aufholjagden und große Siege sorgen auf der nach oben offenen Fan-Skala immer wieder für Ausschläge. Das Stadion bebt, heißt es dann oft.

Einer dieser besonders ekstatischen Momente, der lange in den Ohren und für immer im Gedächtnis bleibt, ereignete sich am 24. Mai 2015 am Darmstädter Böllenfalltor. Grund für den südhessischen Aufschrei damals: Tobias Kempe.

Kempe schießt sich in die Darmstädter Herzen

Sein Freistoß aus halblinker Position, mit Wucht über die Mauer und ins linke untere Toreck getreten, gehört zu den bedeutendsten Treffern der Vereinsgeschichte und hätte einen Platz im noch nicht erschaffenen Darmstädter Fußball-Museum verdient. 71. Minute, 1:0 gegen den FC St. Pauli, rund 20 Minuten später war der Bundesliga-Aufstieg besiegelt.

Kempe trifft gegen St. Pauli.
Der Freistoß ins Glück: Tobias Kempe trifft zum Aufstieg. Bild © Imago Images

Wer damals vor Ort war, erinnert sich an den Lärm, die ausgelassene Freude, viele Tränen und beseelte Südhessen. Mittelfeldspieler Kempe, ein Jahr vorher aus Dresden gekommen, stieg innerhalb weniger Sekunden und der Flugbahn eines Balles zu einer Darmstädter Ikone auf. Kempe, der Freistoß-Künstler war fortan ein Aufstiegsheld auf Lebenszeit. Genau das wird er immer bleiben, seine Zeit bei den Lilien geht im Sommer aber zu Ende. Auch Legenden haben ein sportliches Verfallsdatum.

Kempe hat genug

Kempe, das teilten die Lilien am Montag offiziell mit, wird den Verein nach zehn gemeinsamen Jahren nach dieser Saison verlassen. Mit nun mehr 35 Jahren, das zeichnete sich in den vergangenen Monaten bereits ab, reicht es körperlich nur noch zu Kurzeinsätzen. Der Schlussstrich im Sommer, Kempe wird voraussichtlich nicht mehr zu einem anderen Verein wechseln, sondern in den fußballerischen Ruhestand eintreten, ist folgerichtig und keine große Überraschung. Nach hr-Informationen soll Kempe den Lilien in anderer Funktion erhalten bleiben.

Wie groß und bedeutsam der Schritt für Kempe und die Lilien ist, zeigte aber allein die Art und Weise der Verkündung.

Fritsch hebt Kempe aus den Olymp

In der fast zwei DIN-A4-Seiten langen Vereins-Mitteilung lobte nicht nur Sportdirektor Paul Fernie Kempe in den höchsten Tönen, der scheidende Präsident Rüdiger Fritsch hob seinen langjährigen Weggefährten gleich auf den südhessischen Fußball-Olymp. "Tobias Kempe ist einer der großartigsten Lilien-Spieler in diesem Jahrhundert", betonte er und versprach, den "absoluten Sympathieträger" im letzten Heimspiel gebührend zu verabschieden.

Kempe selbst, so ist das inzwischen üblich, meldete sich zudem in einem emotionalen Farewell-Video zu Wort und richtete ein paar persönliche Worte an die Fans. Es sei eine große Ehre gewesen, die Lilie auf der Brust tragen, sagte er sichtlich berührt. "Ich schaue voller Dankbarkeit auf zehn wundervolle Jahre hier." Kempe, der 2014 nach Darmstadt gewechselt war und nach einem einjährigen Ausflug zum 1. FC Nürnberg im Sommer 2017 zurückkehrte, hat den Verein geprägt und gelebt. Genau das spürte man auch am Montag noch einmal.

Die Lilien rollen Kempe den Roten Teppich in Richtung Rente aus, Kempe beschreitet diesen Weg mit ehrlicher Rührung. Es soll Vereine in Deutschland geben, die an einem würdigen Abschied von großen Spielern krachend gescheitert sind. Bei den Lilien ist das nicht der Fall. Ganz im Gegenteil.

Kempe eines der letzten prägenden Gesichter der Lilien

Dass Kempe genau diese Wertschätzung verdient hat, steht außer Frage. Sein Freistoß machte ihn unsterblich. Letztlich war es aber vor allem sein Auftreten und seine Identifikation mit dem Club, die ihn auszeichneten. Kempe war und ist kein Lautsprecher, er scheute sich aber nicht, in schwierigen Momenten seinen Mund aufzumachen. Dass aus der legendären Aufstiegself der Saison 2014/15 mit Fabian Holland nur noch genau ein weiterer Spieler bis heute geblieben ist, zeigt Kempes besonderen Wert. Vereinstreue wie bei Kempe, der kurze Abstecher zum Club sei ihm verziehen, ist selten geworden.

Im Sommer endet bei den Lilien nicht weniger als eine Ära, der Abschied von Kempe ist ein Einschnitt. Am 18. Mai wird er zum letzten Mal auf dem Rasen des Böllenfalltor-Stadions Fußball spielen und womöglich auch einen Freistoß schießen. Die Fans werden es ihm lautstark danken.