Unausweichliches Lieberknecht-Aus bei Darmstadt 98
Trainer Torsten Lieberknecht wahrt mit seinem Rücktritt die ihn ausmachende Authentizität. Darmstadt 98 erspart das einen unangenehmen Rauswurf. Und der nächste Coach sollte dem Team dringend das Siegen wieder beibringen. Ein Kommentar.
Der Wutausbruch von Marcel Schuhen ließ tief blicken. Wenige Minuten nach dem 0:4 des SV Darmstadt 98 bei der SV Elversberg versenkte der Torwart am Samstag sich und seine Mitspieler im Boden – mit dem verbalen Vorschlaghammer. "Die, die sich verpissen, sollen sich auch verpissen. Die, die man gebrauchen kann, sollen bleiben." Was er meinte: Es müssen endlich alle Vollgas geben, Leidenschaft zeigen, gegen den Anti-Lauf aufbegehren. Und wer nicht mitzieht? Auf Wiedersehen!
Tags drauf verabschiedete sich in Darmstadt tatsächlich jemand. Jedoch keiner, dem die anhaltende Misere am - wie von Schuhen indirekt manchem Teamkollegen vorgeworfen - Allerwertesten vorbeigehen würde. Im Gegenteil. Es traf Torsten Lieberknecht, das schwächste Glied eines jeden Fußballclubs, den Trainer. Er zog selbst die Reißleine, bot den Darmstädter Bossen seinen Rücktritt an. Sie nahmen an. Eine sinnvolle wie unausweichliche Entscheidung, aus mehreren Perspektiven.
Menschenfänger verliert offenbar Menschen
Da wäre zuerst einmal jene von Lieberknecht selbst: Der Coach spürte offenbar spätestens nach dem Elversberg-Debakel, dass er die Dynamik des Misserfolgs nur schwer würde stoppen können. Da hatte sich im vergangenen Bundesliga-Abstiegsjahr zu viel Ballast angesammelt, der trotz XXL-Umbruch und langer Sommerpause nicht abgeschüttelt werden konnte.
Lieberknecht hob zwar in den ersten Wochen der Saison die positive Entwicklung der Mannschaft stets hervor, die Ergebnisse aber korrespondierten damit nicht. Zuletzt nun auch der spielerische Rückfall. Hohle Phrasen also? Ganz grundsätzlich ist der Pfälzer ein sogenannter Menschenfänger, Teile seiner Spieler aber hatte er wohl verloren. Er fühle sich im Stich gelassen, sagte er selbst am Samstag.
Umfrage: Ist die Trennung zwischen Darmstadt und Lieberknecht richtig?
Der Treue-Plan misslingt
Dies ist insofern überraschend, da der Club um Sportchef Paul Fernie den eigenen Aussagen nach bei der Kaderzusammenstellung besonderen Wert auf die Charakterstärke der Fußballer legte. Dass solch ein Thema trotzdem nach nur wenigen Wochen erneut aufploppte, war keine gute Nachricht.
Was automatisch zur zweiten Perspektive führt, jener des Vereins: Der dürfte ob einer anhaltenden Misserfolgs-Serie sowieso mittelfristig über einen Trainerwechsel sinniert haben. Alles andere wäre fahrlässig. Schließlich war es schon nicht selbstverständlich, dass die Lilien den Wiederaufbau nach dem desaströsen Abstieg mit demselben Trainer versuchen wollten. Sie hielten Lieberknecht die Treue, tauschten stattdessen ein Gros der Mannschaft aus und erhofften sich dadurch erfolgsbringende Impulse. Der Plan ging nicht auf.
Trainer und Club wahren ihre Authentizität
So ist es nun eine Trennung geworden, bei der beide Seiten in der Außenwirkung inmitten des Schlechten noch verhältnismäßig gut wegkommen. Lieberknecht, der seine ihn auszeichnede Authentizität wahrt. Und der Club, der um einen Rauswurf des bis 2027 gebundenen Aufstiegstrainers von 2023 herumkommt (und um dessen Weiterbezahlung).
Und jetzt? Jetzt steht zwar eine knapp zweiwöchige Pause an, allzu viel Zeit aber bleibt den Darmstädtern nicht. Es wartet das wichtige Spiel gegen Braunschweig - es ist das Duell zwischen dem Vorletzten und dem Schlusslicht. Der neue Coach muss von Boss Fernie schnell gefunden werden, sollte wenigstens ein paar Tage Vorbereitungszeit bekommen. Denn er muss sofort liefern, um Zuversicht ans Böllenfalltor zurückzubringen. Das Siegen haben sie in Darmstadt in den vergangenen zwölf Monaten unter Lieberknecht so ziemlich verlernt.