Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch im Interview - zweiter Teil "Florian Kohfeldt ist ein Glücksfall"
Im zweiten Teil des großen Jahresrückblicks-Interviews spricht Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch über den neuen Coach Florian Kohfeldt, die enge zweite Liga und die Ziele für die laufende Saison.
Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter dem SV Darmstadt 98. Abstieg aus der Bundesliga, weitere sportliche Enttäuschungen, ein Trainerwechsel und der Aufschwung. Im ersten Teil des Interviews spricht Rüdiger Fritsch über den Abstieg, die Trennung von Torsten Lieberknecht und die Arbeit von Paul Fernie. Im zweiten Teil blickt er vor allem auf die Erfolge unter Florian Kohfeldt.
Das Gespräch führte Stephan Reich
Ende der weiteren Informationenhessenschau.de: Als Nachfolger von Lieberknecht wurde Florian Kohfeldt präsentiert. Wie erleben Sie ihn in der täglichen Arbeit?
Fritsch: Er ist in der täglichen Arbeit nicht anders als er sich auf Pressekonferenzen oder in der Öffentlichkeit gibt: Sehr aufgeräumt, sehr strukturiert, mit klaren Vorstellungen. Nicht nur was den Fußball angeht, sondern auch intern, was die Mitarbeiter angeht. Das sog. Funktionsteam hinter der Mannschaft und dem Trainerteam besteht aus vielen, vielen Menschen und Abteilungen, Physio, Reha, Medizin, Analyse, Data , das ist eine ganze Armada an Leuten, die müssen organisiert werden. Und das ist eine ganz klare Stärke von Florian Kohfeldt. Und: Ich nehme ihn jetzt auch viel ruhiger und sachlicher wahr, als er zu Bremer Zeiten manchmal auf Externe wirkte. Das tut ihm sehr gut. Er ist ja immer noch jung und war damals noch jünger, aber da sieht man mal, was man für eine tolle Entwicklung hinlegen kann.
hessenschau.de: Als Torsten Lieberecht ging, sagten Sie: "Lasst uns mit voller Kraft die Tugenden des SV Darmstadt 98 leben, Zusammenhalt und positive Energie." Gab es einen Moment, in dem Sie dachten: "Florian Kohfeldt ist dafür der Richtige"?
Fritsch: Ein solcher Wechsel auf einer derart einflussreichen Position macht immer nur Sinn, wenn er auch eine echte Veränderung in elementaren Dingen stattfindet. Einen Klon des Vorgängertrainers zu engagieren, macht wenig Sinn. Man muss etwas Neues machen, und es war auch unser Anforderungsprofil, neue Energie und neuen Input zu bekommen. Mit Florian passt das jetzt super. Er ist ein Top-Trainer und ein Glücksfall für uns. Das sage ich nicht nur, weil wir 12 Spiele in Folge nicht verloren haben, das werde ich auch sagen, wenn es bei uns nicht so laufen sollte.
hessenschau.de: Was ist neu unter Kohfeldt?
Fritsch: Er ist ein anderer Typ. Es geht nicht um besser oder schlechter als im Vergleich zu anderen Trainern, solche Vergleiche sind totaler Unsinn. Es geht ums "Anderssein". Er geht anders an Sachen heran, hat eine veränderte Spielweise, einen anderen Matchplan, packt die Spieler anders an, baut das Training anders auf, setzt intern andere Schwerpunkte. So etwas justiert eine große Gruppe neu.
hessenschau.de: Von außen wirkt es, als spiele in der aktuell guten Phase der Teamgeist eine große Rolle.
Fritsch: Der Teamgeist war zuvor definitiv nicht das Problem, auch nicht in der schwierigen Bundesliga-Saison, und auch nicht während des leicht verkorksten Starts in die zweite Liga. Teamgeist hatten wir hier immer. Und dass die Stimmung innerhalb eines Teams besser ist, wenn man zwölfmal am Stück nicht verliert, ist doch klar. Aber der Teamgeist war sogar in der anstrengenden Phase, die wir in der Bundesliga hatten, stabil. Wir haben hier eine unheimliche Geschlossenheit, nicht nur in der Kabine, sondern auch von der aktiven Fanszene bis in den VIP-Raum. Auch deswegen haben wir als immer noch kleinerer Verein in den letzten Jahren eine sehr gute Leistung rausgehauen, da sage ich zu allen, die hier beteiligt sind: Hut ab.
hessenschau.de: Die Zweitligatabelle ist einigermaßen absurd, vom ersten bis ins Tabellenmittelfeld sind es nur wenige Punkte. Kann so eine Tabelle überhaupt die Form und Leistungsfähigkeit der Mannschaft abbilden?
Fritsch: Es geht weniger um den Tabellenplatz, die Leistung ist entscheidend. Dass in der jetzigen Zweiten Liga neun andere Mannschaften auch noch gut unterwegs sind, ist eben diesmal so. Wir alle wollen ja auch einen tollen Wettbewerb. Die zweite Liga lebt davon, andere Ligen würden sich davon gerne eine Scheibe abschneiden. Die Liga ist sehr eng. Aber um Ihre nächste Frage gleich zu beantworten: Nein, wir ändern unser Saisonziel nicht. Wir werden hier nicht den Aufstieg als Ziel ausrufen. Man erreicht nichts durch Sprüche und Gebabbel. Wir wollen unsere Spiele gewinnen und am Ende wird abgerechnet. Und ganz ehrlich, nach diesem Saisonstart hätten wahrscheinlich 98 Prozent unserer Fans unsere aktuelle Punktzahl zur Winterpause unterschrieben. Es wird eine schöne, interessante Saison und uns tut es gut, einen gebührenden Abstand nach hinten aufrechtzuerhalten.
hessenschau.de: Dann frage ich nicht nach dem Aufstieg. Aber vielleicht so: Wenn wir uns Ende 2025 zum Gespräch treffen, wollen Sie dann lieber ein ruhiges Interview führen oder soll es wieder richtig zu besprechen geben, wie in diesem Jahr?
Fritsch: Mal grundsätzlich: Wir wollen mit unseren Fähigkeiten und Mitteln immer das erreichen, was geht, und am besten noch ein Stückchen mehr. Wenn man realistisch und mit der gebotenen Sachlichkeit an die Sache rangeht, wird oftmals suggeriert, dass man nicht ambitioniert sei. Wenn wir die Chance bekommen, wieder in einer höheren Liga zu spielen, wird hier niemand die letzten vier Spiele extra verlieren. Alle Mannschaften, die Ambitionen haben, wollen irgendwann mal in der Bundesliga spielen. Das ist ja für uns wie für andere Clubs eine Meisterschaft oder die Champions League. Wir haben erst fünfmal in der gesamten Vereinsgeschichte, davon dreimal in den letzten acht Jahren, in der ersten Liga gespielt. Wir haben da jedes Jahr Bock drauf, aber es funktioniert eben nicht jedes Jahr. Und es tut dem ganzen Verein gut, wenn wir mit Demut und Kalkül an die Sache herangehen.