Er besiegte zweimal den Krebs Boetius bei Darmstadt 98: Du musst kämpfen!
Lilien-Neuzugang Jean-Paul Boetius hat den Krebs gleich zweimal besiegt. Bei den Lilien will er nun wieder sportlich wichtig werden - mit derselben Eigenschaft, mit der er die Krankheit überstanden hat.
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Vielleicht gibt es keinen besseren Ort für Jean-Paul Boetius, um wieder Fußball zu spielen. Bei den Heimspielen des SV Darmstadt 98 stehen die Fans auf der Jonathan-Heimes-Tribüne. Dessen Konterfei ist auch an die Wand der Sporthalle am Stadion gesprüht, gemeinsam mit dem Spruch "Du musst kämpfen!", den Lilien-Fan Heimes einst prägte. Der Spruch ist zum inoffiziellen Motto des Klubs geworden, Heimes verlor seinen jahrelangen Kampf gegen den Krebs, aber sein Erbe ist bei den Lilien überall spürbar.
Und so ist der Kontext, in dem sich Boetius, Darmstadts neuer Zehner, bewegt, ein etwas anderer als an anderen Bundesligastandorten. Was Boetius hat erleben müssen, ist dem Umfeld der Lilien nicht fremd. Gleich zweimal musste Boetius den Krebs besiegen, nach anderthalb Jahren ohne Verein heuerte er im Winter bei Darmstadt 98 an. "Es ist viel Dankbarkeit in mir. Ich bin lange vereinslos gewesen, krank gewesen. Aber jetzt bin ich endlich angekommen", sagte Boetius in einer Presserunde am Mittwoch.
Boetius: "Ich dachte, ich sei schon am Boden"
Krank gewesen, das klingt so harmlos, nach Schnupfen und Bettruhe. Meint in Boetius Fall aber: Hodentumor. 2022, in Diensten von Hertha BSC, bekommt er die Diagnose, wird schnellstmöglich operiert. Nach nur vier Wochen steht er wieder auf dem Platz. Du musst kämpfen! Sein Vertrag bei der Hertha endet, neue Arbeitgeber zieren sich.
Dann der nächste Schock: Der Krebs ist zurück. Die überstanden geglaubte Krankheit hat in die retroperitonealen Lymphknoten gestreut, Boetius muss sich einer Chemotherapie mit anschließender Rehabilitation unterziehen. "Ich dachte, ich sei schon am Boden, weil ich keinen Verein hatte. Dann kam die Krankheit zurück und es ging mir noch schlechter", sagt Boetius.
Boetius: "Es war nicht immer einfach"
Jährlich erkranken etwa 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, mehr als 230.000 sterben, praktisch jeder Mensch ist Zeit seines Lebens mit der Krankheit konfrontiert, ob direkt oder durch Angehörige oder Freunde. Nüchterne Zahlen, aber jeder Einzelfall ist eine Katastrophe für die Betroffenen, ein erschütterndes Lebensereignis, einschneidend, verändernd.
Chemo, Reha, für Boetius ist der Profifußball plötzlich endlos weit weg. Dabei war er doch immer alles perfekt gewesen. Großgeworden in der Jugend von Feyenoord Rotterdam, debütiert er 2012 bei den Profis, wird niederländischer Pokalsieger und Supercupsieger, später Meister in der Schweiz, 2014 macht er ein Länderspiel für die Elftal, unter Louis van Gaal und an der Seite von Robin van Persie und Wesley Sneijder. In der deutschen Bundesliga macht er 143 Spiele, schießt zwölf Tore. Angesichts der Krankheit nur noch Namen und Zahlen, in der schweren Zeit sind Familie und Freunde für ihn da. "Es war nicht immer einfach, aber ich habe sehr viel Liebe empfangen und den Blick nach vorne gerichtet", sagt Boetius.
Boetius: "Es gibt immer jemanden auf der Welt, dem es schlechter geht"
Sowieso, der Blick nach vorn: Was Boetius auf dem Feld auszeichnet, trägt ihn auch durch die Krankheit, durchs Leben. "Das ist meine Art, ich bin sehr positiv eingestellt. Es gibt immer jemanden auf der Welt, dem es schlechter geht. Warum soll ich dann meckern?"
Beim SV Darmstadt 98 will Boetius nun in den Profifußball zurückkehren, langsam, Schritt für Schritt, "ich bin ganz sicher noch nicht bei 100 Prozent", sagt er. Bei den Lilien, die schon das ganze Jahr auf einen Sieg warten, kann Boetius mit seiner Klasse und Erfahrung zum Fixpunkt werden. Bislang brachte er es auf drei Zweitliga-Einsätze für die Darmstädter mit insgesamt 102 Spielminuten. Boetius ist ein technisch starker Offensivspieler, der, wäre der Weg gerade verlaufen, wohl nicht in der Zweiten Liga spielen würde.
Boetius: "Wenn du etwas spürst, geh zum Arzt"
Und auch mit seiner Persönlichkeit. "Ich bin jemand, der viele Leute zusammenbringt", sagt er. "Ich gehe alles mit Lockerheit an. Nicht nur, weil ich die Krankheit erlebt habe. So bin ich. Ich gehe diese Situation aber auch seriös an. Denn ich hasse es, zu verlieren."
Den einen, wichtigen Kampf hat er bereits gewonnen, sogar zweifach. "Beim ersten Mal hat es nicht einmal wehgetan, der Krebs war aber schon drei Monate da. Beim zweiten Mal hatte ich Schmerzen und bin zum Arzt gegangen", sagt er. Und dann klingt es fast wie eine Bitte: "Wenn du etwas spürst, geh zum Arzt. Es dauert nicht einmal zwei Minuten."