Darmstadt 98 unaufhaltsam Lilien-Aufstieg rückt trotz Millimeter-Pech immer näher
Der SV Darmstadt 98 rafft sich im Topspiel gegen den Hamburger SV zum nächsten Kraftakt auf und lässt sich erneut selbst von mehreren Rückschlägen nicht aufhalten. Die Lilien sind reif für die Bundesliga, nur verletzen sollte sich niemand mehr.
Kurz vor der Halbzeitpause des Zweitliga-Topspiels zwischen Darmstadt 98 und dem Hamburger SV musste am Samstagabend der VAR die ganz große Lupe rausholen. Nach einem Torabschluss aus kurzer Distanz von Lilien-Stürmer Mathias Honsak kratzte HSV-Keeper Daniel Heuer-Fernandes den Ball, der vom Innenpfosten in Richtung Tor trudelte, im vermeintlich letzten Moment von der Linie und versetzte die bereits jubelnden Darmstädter in einen kurzen Schockzustand. War der jetzt wirklich nicht drin?
Der Um-ein-Haar-Torschütze Honsak beschwerte sich nach seiner vergebenen Großchance dann zwar vehement bei Schiedsrichter Christian Dingert und auch Kapitän Fabian Holland gab nach der Partie an, dass der Ball aus seiner Sicht "klar im Tor" gewesen sei. Bei genauerem Hinsehen wurde jedoch ersichtlich, dass das Spielgerät die Linie nicht vollumfänglich überschritten hatte.
Diese Lilien hält nichts und niemand auf
Den Lilien fehlten in dieser Situation tatsächlich wenige Millimeter zum Tor und damit zum Ausgleich. Dass sie sich in der Folgezeit dennoch ein 1:1 erkämpften und damit den nächsten strammen Schritt in Richtung Bundesliga machten, passt ins Bild dieser Saison. Wenn das ganze Verletzungspech egal ist, ist Millimeter-Pech erst recht egal. Diese Darmstädter hält aktuell einfach nichts auf.
Dabei hatte die Partie denkbar schlecht begonnen. Ransford-Yeboah Königsdörffer, der für den zu spät zum Treffpunkt erschienenen Bakery Jatta in die HSV-Startelf gerutscht war, traf nach einer Fehlerkette in der Lilien-Defensive zur frühen Führung (5. Minute) und weckte böse Erinnerungen an die vergangene Spielzeit. Vor ziemlich genau einem Jahr waren die Lilien, die auch damals auf Platz eins der Zweitliga-Tabelle standen, im eigenen Stadion gegen den HSV nach ähnlicher Anfangsphase mit 0:5 untergegangen und hatten wichtige Punkte im Aufstiegsrennen liegengelassen.
Eine Frage der Mentalität
Dieses Mal lief aber alles anders: Die Mannschaft von Trainer Torsten Lieberknecht schüttelte sich nach dem frühen Rückschlag kurz und zeigte dann wieder einmal eine beeindruckende Vorstellung. Die Lilien kämpften, die Lilien legten sich mit ihren Gegenspielern an, die Lilien bewiesen mit Wucht und Wille, was für eine Moral in dieser Truppe steckt.
Frank Ronstadt (22.), Christoph Zimmermann (30.), Marvin Mehlem (32.) und der angesprochene Honsak (42.) ließen zunächst zwar gute bis sehr gute Tormöglichkeiten ungenutzt. Dank des sehenswerten Treffers von Joker Filip Stojilkovic kurz vor Schluss (82.) verlängerten die Lilien ihre Erfolgsserie aber auf 21 ungeschlagene Spiele in Folge und festigten die Tabellenführung. Der Vorsprung auf den HSV beträgt weiter vier Punkte. "Ich bin überglücklich", fasste Torschütze Stojilkovic den Abend zusammen. "Unsere Mentalität ist überragend, das ist das Wichtigste."
Lieberknecht gehen die Optionen aus
Umso erstaunlicher werden die wöchentlichen Darmstädter Kraftakte bei einem Blick ins Lazarett. Da sich in der Woche vor dem Spitzenspiel gegen den Hamburger SV neben den ohnehin unpässlichen Patric Pfeiffer, Braydon Manu und auch noch Jannik Müller und Tobias Kempe verletzt abmeldeten und es bei den gerade erst wieder genesenen Klaus Gjasula und Matthias Bader nicht für einen Startelfeinsatz reichte, musste Trainer Lieberknecht gleich sechs potenzielle Stammspieler ersetzen. "Das ist unsere Geschichte in dieser Saison", so Lieberknecht frustriert.
Wie angespannt die Lage ist, verdeutlichte der Lilien-Coach mit einer Anekdote aus der Spielvorbereitung. "Bei uns sind heute auch zwei Spieler zu spät gekommen", nahm er direkten Bezug auf den disziplinarischen Verstoß von Jatta. Im Gegensatz zu HSV-Coach Tim Walter, mit dem sich Lieberknecht an der Seitenlinie das eine oder andere Verbal-Duell lieferte, verzichtete der Darmstädter Übungsleiter aber auf Sanktionen. Der einfache Grund: Es fehlte der passende Ersatz. "Wir haben einfach keine Leute mehr", so Lieberknecht.
Die Lilien können sich nur selbst schlagen
Dass die Lilien trotzdem erneut eine Wahnsinns-Leistung auf den Rasen brannten und sich den Ausgleich mehr als verdienten, ist als Zeichen der Stärke gar nicht hoch genug zu bewerten. Der Drittplatzierte Heidenheim verkürzte den Rückstand am Sonntag auf sechs Punkte, auf Rang vier und Paderborn haben die Lilien weiter zehn Punkte Vorsprung. Eine sehr gute Ausgangsposition, für die Südhessen aber weiter kein Grund für Kampfansagen. "Wir werden sehen, was dieser Punkt heute wert ist", hielt sich Holland bedeckt. "Große Töne spucken war noch nie so unser Ding. Es ist noch eine weite Reise."
Klar ist aber auch, dass sich die Lilien in dieser Form und mit dieser Einstellung in den verbleibenden Spielen nur selbst schlagen können. Sollten sie von weiteren Verletzungen verschont bleiben, sind die Darmstädter auf dem Weg in die Bundesliga nicht mehr aufzuhalten. Daran können auch frühe Gegentore, der VAR und fehlende Millimeter bei Großchancen nichts mehr ändern.