Lilien-Coach Lieberknecht im Interview "Es ist ganz klar, dass wir in der Verantwortung stehen"
Die Abstiegssaison ist abgehakt, Lilien-Coach Torsten Lieberknecht hat Lust auf die neue Saison. Im Interview verrät er, warum die Neuzugänge so gut nach Darmstadt passen und wer sich zum Ende der vergangenen Spielzeit per Nachricht gemeldet hat.
Die Bundesliga-Saison, die am Ende im völlig verdienten Abstieg des SV Darmstadt 98 endete, ist bei den Lilien abgehakt. Der Blick geht nach vorne, in der neuen Spielzeit heißt es wieder 2. Bundesliga. Im Trainingslager der Südhessen im pfälzischen Herxheim-Hayna nahm sich Trainer Torsten Lieberknecht Zeit für ein ausführliches Interview mit dem hr-sport.
hessenschau.de: Herr Lieberknecht, kennen Sie die TV-Serie "Ted Lasso"?
Torsten Lieberknecht: Ja, die kenne ich. Ich habe sie aber nicht komplett geguckt.
hessenschau.de: Der Charakter Ted Lasso, ein Football-Trainer, der in London ein Fußball-Team trainiert, betont bei Negativ-Erlebnissen immer, man müsse sich im Anschluss wie ein Goldfisch verhalten, da diese ein enorm kurzes Gedächtnis haben und Ereignisse bereits nach wenigen Sekunden wieder vergessen haben. Wäre diese Methode nicht auch etwas für die vergangene Saison?
Da bräuchten wir aber ein Goldfisch-Aquarium (lacht). Die Metapher ist dennoch nett. Wichtiger ist aber, dass wir die vergangene Saison aufgearbeitet haben.
hessenschau.de: Wie sind Sie denn ganz persönlich die Aufarbeitung der vergangenen Saison angegangen?
Ich habe mich gefragt, was wir sportlich falsch gemacht haben. Auch, welche Parallelen es gab zu anderen Spielzeiten – speziell zu der Saison mit Braunschweig, als wir nach dem Aufstieg ebenfalls abgestiegen sind. Es war dennoch auch klar, dass es Dinge gab, die man nicht beeinflussen konnte. Klar ist, dass wir am Ende 17 Punkte hatten – und das war einfach zu wenig. Wenn man aber die einzelnen Spiele – bis auf die massiven Ausrutscher wie zum Beispiel die Augsburg-Partie, die mir wirklich wehgetan hat und mir einen Stich ins Herz versetzt hat – betrachtet, kann ich sagen, dass wir immer gut vorbereitet waren. Der Unterschied war eben oftmals die spielerische Qualität. Wir haben aber auch oft versucht, Dinge umzusetzen und waren am Ende als Team machtlos. Natürlich hinterfragt man aber viele Sachen. Da gehe ich schon hart mit mir ins Gericht.
hessenschau.de: Wie haben Sie dabei auf Ihre eigene Rolle geblickt? Haben Sie persönlich Fehler bei sich ausgemacht?
Ich bin oft damit konfrontiert worden, dass ich beispielsweise die Mannschaft zu oft umgestellt hätte. Das habe ich mir natürlich angeschaut. Es ist aber Fakt, dass ich nie die Möglichkeit hatte, immer mit der gleichen Mannschaft aufzulaufen. Sei es durch Verletzungen oder Sperren. Das hätte ich mir natürlich gewünscht, um Ruhe reinzubekommen. Wir haben uns aber so präsentiert, dass es kein Sodom und Gomorra war. Ich glaube, es ist uns gelungen, dass wir den Verein sauber repräsentiert haben.
hessenschau.de: Hatten Sie denn einen Moment, an dem Sie selbst gesagt haben: So, jetzt geht aber der Blick nach vorne?
Es stand ja schon früher fest, dass es auf den Abstieg hinauslaufen wird. Dadurch konnte man auch früher mit der Analyse beginnen und diese auch früher abschließen – genauer gesagt eine Woche, nachdem der letzte Spieltag rum war. Wichtig war dabei auch Paul Fernie, der sich von allem ein Bild machen konnte und in der kurzen Zeit mitgeholfen hat, viele Dinge zu analysieren, die in die neue Saison miteinfließen.
hessenschau.de: Wenn Sie Paul Fernie ansprechen: Haben Sie denn persönlich noch andere Personen, mit denen Sie sich in solchen Situationen austauschen?
Ja, habe ich. Einerseits in meinem Freundeskreis. Da gibt es auch aktive Trainer, die gar nicht aus dem Profifußball kommen. Die haben aber einen guten Blick auf die Dinge und eine andere Sichtweise. Ich spreche aber auch gerne mit Menschen, die gar nicht aus dem Fußball kommen, um zu fragen, wie sie manches sehen. Aber auch aus der Bundesliga gab es Menschen, die mir geschrieben haben. Ich habe mich beispielsweise sehr gefreut, dass mir Oliver Glasner aus London geschrieben hat. Er hat auch gesehen, dass wir viel Aufwand betreiben und vieles richtig gemacht haben. Das war ein Moment, der mir gutgetan hat.
hessenschau.de: Dann lassen Sie uns doch auf die neue Saison blicken. Bei der Saison-Eröffnung gab es einen enormen Andrang, insgesamt war bei den Testspielen bislang viel los. Spüren Sie bei den Lilien-Fans trotz der vergangenen Saison eine große Lust auf die neue Spielzeit?
Ich hoffe es. Wir als Team müssen es aber auch zeigen. Ich glaube aber, dass wir Neuzugänge gefunden haben, bei denen ich überzeugt bin, dass sie sehr gerne für Darmstadt 98 spielen. Das Wichtigste ist aber natürlich, dass wir auf dem Platz wieder unsere Leistung zeigen. Dass wir dort identifikationsstiftend unterwegs sind. Es gab natürlich in der vergangenen Saison einige Momente, in denen auch ich fassungslos dastand, es gab aber auch Momente, in denen man trotz Niederlage stolz nach Hause gegangen ist. Jetzt sind wir dabei, uns für die neue Saison einzustellen und vorzubereiten.
hessenschau.de: Sie haben die Neuzugänge schon angesprochen. Die Mannschaft ist runderneuert, zahlreiche Spieler sind weg, zahlreiche neue Spieler da. So eine Frischzellenkur bietet einige Chancen, aber sicherlich auch Risiken.
Es ist von allem ein bisschen was, was mit einfließen wird. Es war uns wichtig, dass wir bei den Spielern, die wir geholt haben, das Gefühl haben, dass sie für Darmstadt 98 brennen und es nicht einfach als nächste Station sehen. So haben wir die Spieler ausgewählt. Und ich glaube, dass wir da einen ordentlichen Job gemacht haben.
hessenschau.de: Lassen Sie uns auf die neue Spielzeit blicken. Wie schwierig wird denn diese neue Zweitliga-Saison?
So wie in den vergangenen Jahren auch. Allein die Namen sind ja unglaublich. Wenn ich manchmal mit Fans spreche, vergisst man bei der Aufzählung manchmal sogar Vereine wie Köln oder Hertha. Das zeigt ja schon, was diese Liga für ein Potenzial hat. Im vergangenen Jahr gab es bereits einen Spieltag, an dem mehr Fans Zweiliga-Spiele im Stadion besucht haben als in der Bundesliga. Das könnten wir in der neuen Saison vielleicht öfter erleben.
hessenschau.de: Die Liga ist meistens sehr ausgeglichen. In der vergangenen Saison sind zwei Mannschaften aufgestiegen, die nicht jeder unbedingt auf dem Zettel hatte. Wer sind aus Ihrer Sicht die Aufstiegs-Favoriten?
Das fällt mir schwer. Es werden immer die üblichen gehandelt. Es kommen aber noch andere dazu wie Köln, Düsseldorf oder Hannover. Das ist schon unglaublich, wenn man die Namen durchgeht, die oben eine Rolle spielen wollen. In den vergangenen Jahren war es so, dass die Mannschaften aufgestiegen sind, die ein Team waren und die etwas mehr Ruhe hatten. Und nicht die Mannschaften mit dem größten Kaderwert.
hessenschau.de: Wie wichtig – neben natürlich den Punkten – wird es sein, dass die Fans wieder spüren, dass auf dem Platz die "Lilien-DNA" zu sehen ist?
Es ist ganz klar, dass wir da in der Verantwortung stehen. Die Leute, die ins Stadion kommen, sollen das Gefühl haben, dass sie sich mit den Jungs, die auf dem Platz stehen, identifizieren können. Dass die Jungs alles aus sich raushauen und auch leiden für den Club. Es ist total wichtig, dass wir das vorleben. Wir sind auf einem guten Weg, die Leute wieder zurückzuholen.
hessenschau.de: Geben Sie denn für Ihr eigenes Team ein Saisonziel aus?
Wir wollen ein ambitionierter Zweitligist sein, der da ist, wenn andere schwächeln. Wir wollen zum Start die anderen Mannschaften aber erst einmal sehen. Dann kann man vernünftiger über die Saison und Favoriten sprechen.
Das Gespräch führte Nico Herold.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau Sport, 19.07.2024, 17.55 Uhr
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