Ein Jahr Viertelfinal-Triumph von Eintracht Frankfurt Der Tag, als Barcelona weiß war
Vor genau einem Jahr siegte Eintracht Frankfurt beim FC Barcelona, an die 30.000 Fans begleiteten die Hessen. Es wurde zu einem historischen Tag in der Geschichte der Eintracht.
An diesem 14. April 2022 hält das Leben am Placa de Catalunya inne. Üblicherweise starten die Touristen von hier aus ihren Bummel über Las Ramblas gen Hafen, in den Cafés rund um den Platz kommen Einheimische und Auswärtige zusammen, auf den Bänken und an den Brunnen sitzen Teenies und Studenten, es riecht dann nach Gras und Tabak und beginnendem Sommer. Die Hecken halten den Autolärm nur leidlich ab, aber wen stört das schon in dieser immer tosenden Stadt Barcelona. An diesem Tag aber ist alles anders. Der ganze Platz ist: ein weißes Meer.
Die Zahlen sind anfangs noch nicht eindeutig, sie werden es wohl auch nie sein. 15.000? 20.000? 30.000? Es ist so oder so eine unglaubliche Anzahl an Fans der Frankfurter Eintracht, die sich auf den Weg nach Barcelona gemacht hat. Auf dem Placa de Catalunya versammeln sie sich am Spieltag, egal, wie viele es sind, sie werden eins, singen ihre Lieder, stehen auf Bushäuschen und baden in den Brunnen. Und wenig später, sie wissen es noch nicht, wird ihr Weg zum Europacupsieg mit Eintracht Frankfurt genau hier endgültig beginnen, mit einem Fanmarsch zum Camp Nou und dann immer weiter, bis zum Finale in Sevilla im Mai 2022.
Eine Lawine aus Fahnen und Trikots
Europacup mit Eintracht Frankfurt, das sind immer auch Völkerwanderungen. 12.000 Fans in Bordeaux, 15.000 Fans in Mailand, für die Gästekurve in Barcelona hätten die Hessen 35.000 Tickets verkaufen können. Weil die Flugpreise rund um das Spiel sofort nach der Auslosung in die Höhe schießen, reisen die Fans auf abenteuerlichen Wegen an, manche zahllose Stunden im Auto, andere teils über Afrika. Ob mit Bus oder Bahn oder Flugzeug – was die Eintracht-Fans singen, meinen sie auch so. Und nur so ist möglich, was dann kommt. 1:1 im Hinspiel, für den FC Barcelona ist der Sieg im eigenen Stadion, das Weiterkommen, eigentlich Formsache.
Aber nicht nur der Klub, die ganze Stadt Barcelona unterschätzt Eintracht Frankfurt, unterschätzt die Fans. Der Fanmarsch weg vom Placa de Catalunya setzt sich gegen Nachmittag in Bewegung wie eine Moräne, eine Lawine aus Fahnen und Trikots und Gesängen, aus Zuversicht und diesem schwer greifbaren Gefühl, dass etwas Großes in der Luft liegt und man selbst gar ein Teil davon ist. Sie ist, man spürt es, unaufhaltsam.
Der Verkehr umgeleitet, die Kioske leergekauft
Und für Barcelona etwas Ungesehenes. 30.000 Fans, weißgekleidet, singend, Straßen werden abgesperrt, der Verkehr umgeleitet, Kioske und Bars werden leergekauft, auf den Bürgersteigen stehen die Einheimischen mit offenen Mündern, schauen von den Balkonen und aus den Fenstern kopfschüttelnd auf das Spektakel. Vereinzelt sieht man Barcelona-Fahnen an den Wohnungen, aber angesichts der schieren Masse an Frankfurtern wirkt es, als schwenkte der Wind sie als Zeichen des Ergebens.
Alle in Weiß, das ist das Motto. Es ist aber vor allem ein Geniestreich. Die Fans haben über allerlei Umwege ihre Tickets bekommen, mit ausländischen Kreditkarten, über Freunde in Spanien, selbst vor dem Stadion noch von Fans des FC Barcelona. Im Camp Nou dann verleiht das Weiß der Fans ihrer Masse die Farbe, macht die unglaubliche Menge sichtbar. Marc André ter Stegen kommt zum Warmmachen aufs Feld und hebt die Hände, um zu klatschen. Er lässt sie schnell wieder sinken. 30.000 Frankfurter, plötzlich sieht man sie, plötzlich hört man sie. Ter Stegen und Co. erleben das Pfeifkonzert ihres Lebens.
Externen Inhalt von ARD Mediathek (Video) anzeigen?
An dieser Stelle befindet sich ein von unserer Redaktion empfohlener Inhalt von ARD Mediathek (Video). Beim Laden des Inhalts werden Daten an den Anbieter und ggf. weitere Dritte übertragen. Nähere Informationen erhalten Sie in unseren Datenschutzbestimmungen .
Zeuge von etwas Historischem
Und die Spieler der Eintracht? Werden von den Mitgereisten getragen. Martin Hinteregger geht in die Zweikämpfe, als würde ihn die reine Lautstärke der Anhänger in die Duelle schubsen. Auf Links fliegt Filip Kostic über die Seite, wie hochgehoben von den Fans, schwebend. Zwei Tore schießt er, nach dem Spiel wird er sein Trikot in die Luft des Camp Nou halten, wie man ein Bild in einem Museum an die Wand hängen würde. Rafa Borré schießt aus 30 Metern, der Ball fliegt wie am langgezogenen "Jaaaaaa" der Fans entlang unters Tordach. Irgendwann steht es 3:0, und alle im Stadion merken, dass sie Zeuge von etwas Historischem sind. Der Tag, als Barcelona weiß wurde.
Am Ende wird es hektisch, es gibt neun Minuten Nachspielzeit, einen Platzverweis, einen Elfmeter, aber die Eintracht übersteht auch das. Und als das Spiel abgepfiffen ist, setzt die Völkerwanderung in der Völkerwanderung ein: Von überall her, von allen Tribünen, aus allen Blöcken sieht man weißgekleidete Frankfurter Richtung Auswärtsblock strömen, während die Heimfans das Stadion verlassen. Dort, in der Kurve, die für einen Tag die Frankfurter Kurve ist, feiern die Fans ihre Mannschaft und andersherum, sehen sich gegenseitig an und staunen, beginnen die ersten Menschen vom Titel zu träumen. Viele werden sich in Sevilla wiedersehen, fünf Wochen später, in weiß.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau Sport, 14.04.2023, 17.55 Uhr
Ende der weiteren Informationen