Eintracht Frankfurt: Könige mit letzter Energieleistung

Das Spiel in Mainz offenbart die Stärken und Schwächen der gesamten Eintracht-Hinrunde: Wackler in der Abwehr, überragende Einzelkönner und eine Willensleistung. Der wichtigste Mann tobt erst und schwärmt dann. Unsere Analyse in fünf Punkten.

Eintracht-Fans und die Mannschaft in Mainz.
Eintracht-Fans und die Mannschaft in Mainz. Bild © Imago Images
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Oliver Glasner
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Eintracht Frankfurt spielt 1:1-Unentschieden bei Mainz 05 und überwintert auf dem vierten Tabellenplatz in der Bundesliga. Die Partie verdeutlichte die Schwächen, aber auch die Stärken der Mannschaft.

1. Eine total verkorkste erste Halbzeit

Tausende Frankfurter hatten die Reise nach Mainz zum letzten Spiel des Jahres angetreten und sich auch lautstark bemerkbar gemacht. Und dennoch hörte man einen Frankfurter immer wieder durch, der aber nicht im Gästeblock, sondern an der Seitenlinie stand. Cheftrainer Oliver Glasner gestikulierte vor Zorn, brüllte und drosch eine Kunststoff-Werbebande weg. "Wir waren in der ersten Halbzeit nicht gut genug, um hier Paroli zu bieten. Wir hatten eine Zweikampfquote von 30 Prozent zur Halbzeit und waren folgerichtig im Rückstand", sagte Glasner nach der Partie, zu diesem Zeitpunkt wieder gefasst.

Seine Mannschaft kam in der ersten Halbzeit überhaupt nicht in die Zweikämpfe, ließ die Abstimmung vermissen und auch den gewohnten Drive im Spiel nach vorne. Lange Bälle auf die drei Mainzer Abwehrkanten (Stefan Bell 1,92 m; Alexander Hack 1,93 m; Edimilson Fernandes 1,87 m) bemängelte Sebastian Rode als das schlechtmöglichste Rezept der Frankfurter - und wie schon in Lissabon kam erst mit dem Kapitän in der 59. Minute wieder so etwas wie Struktur in die Angriffsbemühungen.

Da entstehen zwangsläufig grundsätzliche Fragen, ob die Eintracht neben Teilzeitarbeiter Rode und dem bald 39 Jahre alten Makoto Hasebe nicht andere Erfahrene in ihre Reihen aufnehmen muss, wenn es in die K.o.-Runde der Champions League geht. "Ich werde meine Expertise wie immer abgeben, wo wir noch Potenzial haben", deutete Glasner nach dem Spiel im Hinblick auf das Transferfenster an. Doch ein Punkt in der Analyse wird offenkundig sein: "Wenn wir einen Makel in dieser Hinrunde finden, dann ist es die hohe Anzahl an Gegentoren." Die Eintracht fing sich mit 24 Toren die zweitmeisten aller Teams aus der ersten Tabellenhälfte. Und es hätten allein in Mainz gut und gerne drei mehr sein können...

2. Ein überragender Torwart

... wenn die Eintracht nicht über einen der besten Torhüter der Liga, ja vielleicht sogar derzeit in Europa verfügen würde. Kevin Trapp hielt schon vor dem 0:1 zwei Mal überragend und verhinderte in der zweiten Halbzeit eine höhere Führung der Gastgeber. Trapp führt das Team mittlerweile mit seiner Ausstrahlung (manche würden sagen: Er strahlt Sicherheit aus!), seinen Paraden und auch seinen Ansagen (wie in Bochum gegenüber Tuta). Ohne ihn hätte die Eintracht nicht die Europa League gewonnen und wohl auch um die zehn Tore sicher mehr kassiert. Der Torwart bügelte in der bisherigen Hinrunde so manche Unstimmigkeit der Hintermannschaft aus.

Denn bei allem Talent offenbarten Tuta und Evan N'Dicka, dass sie die Abwehrkette noch nicht führen konnten. Das brachte Glasner in der Hinserie wieder zu seinem Experiment mit der Viererkette, zum Rückgriff auf Hasebe und schließlich zur Neuerfindung des Allrounders Kristijan Jakic. Der Kroate steht stellvertretend für die Aufopferung und die Mentalität dieser Eintracht-Elf.

3. Eine Energieleistung

Denn auch in Mainz zeigte die Eintracht nach gut einer Stunde, dass sie jederzeit zulegen kann - und das trotz eines unglaublichen Programms in den Knochen. "Ich möchte der Mannschaft ein Kompliment aussprechen", sagte dann auch Glasner, als er die Unzulänglichkeiten aus dem ersten Durchgang abgehandelt hatte. "Es war unser 24. Pflichtspiel in den letzten drei Monaten, es war heute eine Energieleistung", so Glasner, der darauf abhob, wie sich das Team noch einmal gegen die unangenehmen Mainzer wehren konnte.

Wie schon in Lissabon oder Augsburg gaben die Frankfurter eine Antwort auf den Rückstand, sie ließen sich nicht aus der Bahn werfen. "Wir sind selbstbewusst, weil wir wissen, dass wir zurückkommen können", sagte Torhüter Trapp nach der Partie. Zum Ende des Spiels in Mainz wirkten die Eintracht-Spieler sogar noch frischer und spritziger als der Gegner. Für die Nationalspieler war es nun die zehnte "englische Woche" in Folge, allein Djibril Sow bestritt seit August 24 Pflichtspiele für Frankfurt (20 über die volle Distanz) und spielte in Mainz noch den öffnenden Ball auf Mario Götze vor dem Ausgleich.

4. Die gehobene individuelle Klasse

Und Götze stand mit einer Aktion sinnbildlich für den Fortschritt der Eintracht. Er bewegte sich in den richtigen Raum und leitete mit einem glänzenden Kontakt den Ball direkt in den Lauf von Randal Kolo Muani. Der Franzose schüttelte seine Gegner unnachahmlich wie beim 2:1 in Lissabon ab und schob zum Ausgleich ein. Es waren zwei Aktionen der Extraklasse, die den zuvor glücklosen Auftritt der beiden Extrakönner vergessen machten. Mit Muani und Götze hat die Eintracht zwei der besten Bundesliga-Transfers des Sommers getätigt. Nur Bayerns Jamal Musiala schaffte bisher mehr Scorer-Punkte als Muani.

Dass die Automatismen wie beim 1:1 so gut funktionieren, ist vor allem im Hinblick auf die geringe Trainingszeit bemerkenswert. "Unsere durchschnittliche Trainingsdauer lag in den letzten Wochen bei 35 Minuten. Für mich war es auch neu: Wie kannst du dich als Mannschaft entwickeln fast ohne Trainingszeit?", stellte Glasner hinterher heraus. Er erklärte die Verbesserung seiner Elf mit der Wissbegier und dem Ehrgeiz seiner Spieler. "Wenn du so tolle Jungs hast, dann funktioniert es auch." Neben dem großen Talent zeigte Eintracht Frankfurt in diesem Herbst auch einen großen Hunger.

5. Das beste Eintracht-Jahr seit vielen, vielen Jahren

Die Fans von Eintracht Frankfurt entrollten vor dem Abpfiff ein Banner mit der Aufschrift: "Dankeschön - Könige von Europa!" Und wer hätte gedacht, dass die Hessen nach dem historischen Triumph in der Europa League mit dem Einzug ins Achtelfinale der Königsklasse, dem Überwintern auf Platz vier und im DFB-Pokal mehr als eine Zugabe geben würden? "Es war das beste Eintracht-Jahr seit vielen, vielen Jahren", sagte Trapp hinterher. Nicht nur die Anhänger, sondern auch die Spieler und Verantwortlichen werden die Pause und den Rückblick auf das Jahr 2022 genießen - auch nicht immer nur professionell, wie Glasner verriet. Die Fähigkeit zum Genießen hat er in Frankfurt schon unter Beweis gestellt.

Schließlich werden noch früh genug in diesem Winter Transferspekulationen um Kamada, N'Dicka oder Lindström die Idylle im Stadtwald stören. Dabei wird es für Frankfurt im kommenden Jahr vor allem darauf ankommen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aufkommenden (internationalen) Begehrlichkeiten für den wichtigsten Mann im Klub abzuwehren. Jenen Mann, der sich in Mainz erst fürchterlich aufregte und dann ausgelassen von seiner Mannschaft schwärmte.

Quelle: hessenschau.de