Eintracht Frankfurts Kapitän Verletzungen, Feldmann, Jugendknast - Sebastian Rode im Karriere-Interview
Er wurde Meister und Pokalsieger, doch Eintracht Frankfurts Kapitän Sebastian Rode wurde vor allem mit seinem Turban-Auftritt im Europapokal-Finale zur Legende. In einem langen Interview blickt er zurück - und das an einem besonderen Ort.
Der Kapitän von Eintracht Frankfurt muss erst einmal überschlagen. Wie oft war er schon im Knast? Zwei, drei oder doch so an die vier Mal. Wo andere beim Anblick des Stacheldrahtes und der riesigen Tore zurückschrecken, läuft er mittlerweile unbeeindruckt durch ein Gefängnis. Sebastian Rode sitzt aber nicht wirklich hinter Gittern. Er nimmt schlichtweg sein Amt als Präventionsbotschafter für das Land Hessen ernst, bei dem er sich gegen Gewalt und Diskriminierung einsetzt.
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Rode besucht Schulen, soziale Begegnungsstätten, gibt mal den Schiedsrichter bei einem Benefizspiel oder besucht eben inhaftierte Jugendliche. "Es ist beeindruckend, dass die Jugendlichen im Gefängnis eine Ausbildung machen können. In Wiesbaden beispielsweise führten sie ein Theaterstück auf. Mich interessiert auch, ihre Biografien zu hören."
"War schon hier wegen versuchten Totschlags"
So mancher Fußballprofi schmückt sich mit seinem sozialen Engagement, ohne es wirklich mit Herzblut zu verfolgen. Rode aber opfert seine freien Tage für diese Besuche. Seit über zehn Jahren bekleidet der Frankfurter Mittelfeldspieler das Amt; selbst als er nicht in Frankfurt, sondern in München und Dortmund spielte, nahm er in Hessen Termine mit Jugendlichen wahr. Und so sagte er auch umgehend zu, als wir ihn für ein langes Interview in der JVA Rockenberg treffen wollten. Dort sind Jugendliche inhaftiert, manche bis zu zehn Jahren, wegen schweren Gewalttaten oder Drogendelikten. Einer von ihnen ist "Kimbo", mit dem sich Rode in dessen Zelle unterhält.
"Bist du wegen Drogen hier drin?", fragt Rode ihn. "Nicht nur. Durchaus nicht", entgegnet "Kimbo" unumwunden. "Ich war schon einmal hier drin, damals wegen versuchten Totschlags. Der Typ hat zwei Wochen im Koma gelegen. Da kam ich später schon ins Grübeln." Die beiden reden über Mekka, das Anti-Aggressionsprogramm der Anstalt und natürlich auch über die Eintracht. Doch so richtig merkt man in diesen Momenten nur, dass da ein Fußballprofi sitzt, als "Kimbo" seine lange vorbereitete Frage stellt: "Wie hoch ist eigentlich Ihr Marktwert?" – "Meiner?", fragt Rode, der seinem Gesprächspartner eigentlich mehrmals das "Du" angeboten hatte. "Ach, der ist nicht mehr so hoch, vielleicht eine Million." Laut transfermarkt.de liegt er immerhin noch bei zwei Millionen.
Für jeden Ordner ein freundliches Wort
Die Bodenständigkeit vom "Seppl" rühre von seinem Elternhaus, sagen durchweg alle Wegbegleiter. Das ist zu spüren, wenn Mutter Annette am Telefon nicht zuerst von den Titeln des Sohnes stolz berichtet, sondern Sätze sagt wie: "In München bei den Bayern haben uns auch die Ordner am Stadion erzählt, dass er sie immer freundlich begrüßt hat." Rode unterhält bis heute immer noch Freundschaften mit früheren Schulkollegen. Ihm ist wichtig, sich nicht mit Schulterklopfern zu umgeben – oder "Leuten, die vom Ruhm und Geld partizipieren wollen", erzählt er in der JVA.
Einer seiner Freunde von früher, Florian Ohle, kann noch erzählen, wie er damals am Beckenrand im Schwimmbad der Heimatstadt in Südhessen saß, als der Teenager Rode sich nach einem Kreuzbandriss in der Reha wieder herankämpfte. Es war Rodes erste schwere Verletzung, aber wahrlich nicht seine letzte. In der Jugend plagte ihn jahrelang der Rücken, dann spielte er mit dem OFC 2009 in Bremen. "Typisch Sebastian, es war schon ein eigentlich verlorener Ball, dem er nachsetzte - und sich dann das Kreuzband riss", erzählt sein damaliger Trainer Hans-Jürgen Boysen.
Vom Seuchenvogel zum Turban-Helden
Rode musste aus seiner Wohnung in Offenbach raus, zurück nach Hause, wieder auf die alte Schule. Es folgten im Laufe der Karriere zwei Knorpelschäden, Blessuren, eine Leisten-OP, eine Blinddarm-OP. Rode galt zwischenzeitlich als Mann mit den "Glasknochen" oder "Seuchenvogel". Seine Krankenakte auf oben genanntem Portal beträgt vier Seiten, bei den meisten Profis sind es höchstens zwei. Eine Schambeinentzündung 2017 hätte ihn dann wirklich beinahe die Karriere gekostet.
"Es war eine schwere Zeit. Du weißt nie genau, woher die Schmerzen kommen. Da gab es Rückschläge, es war langwierig, über ein Jahr", erinnert sich Rode beim Gespräch in der JVA. "Ich war in der Schweiz zur Operation und da hieß es, zu 80 Prozent kriegen wir es hin. Das wäre mein Karriereende mit 27 gewesen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, das dauerhaft mit den Schmerzen durchziehen zu können." Vielleicht haben Rode auch diese Verletzungen geerdet; der eigene Körper, der ihm die Fragilität von Ruhm und Fußball-Karriere Mal um Mal vor Augen führte.
Mehrmals schon abgeschrieben
Mitte Oktober 2023 war seine Karriere wieder mal angeblich vorzeitig zu Ende. Die Bild-Zeitung berichtete von einer Option, dass der Kapitän der Eintracht aufgrund seiner Wadenverletzung bereits im Winter aufgeben werde. Rode selbst war mehr als irritiert über den Artikel. Am Abend setzte er einen Instagram-Post ab, garniert mit in einer in der Branche seltenen offenen Breitseite gegen den Boulevard: "Ein einfaches Aufgeben hat es bei mir noch nie gegeben, auch wenn man das bei der Bild seit dem Jahr 2019 mehrfach in Frage stellt." Es sei ein gutes Omen, dass nach dem letzten "Abschied" am Ende der Europapokalsieg 2022 stand.
Selbst in jenem Finale konnte ihn eine Kopf-Verletzung nicht stoppen, Rode spielte mit Turban weiter. "Die Schmerzen merkte ich erst einmal nicht, weil ich unter Adrenalin stand. Mir war nur klar: Du wirst auf keinen Fall den Platz verlassen. Für mich war das klar, doch unser Doc und unser Physio waren etwas schockierter", erzählt Rode beim Interview. Als er den Pokal hochreckte, schlug er ihn sich versehentlich gegen die Narbe - wieder strömte das Blut. Erst in der Kabine wurde er genäht, als alle anderen um ihn herum feierten.
Peter Feldmann und der Autokorso
In der Sporthalle der JVA sieht er sich die Bilder vom Autokorso in der Stadt, vom berüchtigten Treffen mit Peter Feldmann an, aber auch von den feiernden Fans. In diesem Moment schießen dem Kapitän auch wieder die Tränen in die Augen. "Dieser Titel war wie kein anderer einer der Fans", sagt er ohne Pathos. "Ohne sie wäre er nicht zustande gekommen. Diese Power in Barcelona oder in Sevilla hat dazu geführt, dass wir das Ding gewonnen haben." Der Titel machte auch ihn endgültig zur Eintracht-Legende.
In der Jugend lief Sebastian Rode für die U20-Nationalmannschaft auf, später wurde er zwei Mal Deutscher Meister und Pokalsieger, anerkannte Koryphäen des Spiels wie Matthias Sammer und Pep Guardiola überhäuften ihn mit Lob. Es erscheint nicht übertrieben zu sagen, dass Rode ohne die Anfälligkeit seines Körpers und die vielen Malaisen locker eine zweistellige Anzahl an Länderspielen aufweisen könnte. Eine "Hätte, würde, wenn"-Karriere? Auf der anderen Seite: Es erscheint auch nicht übertrieben zu sagen, dass andere mit all diesen Rückschlägen nie diese Karriere wie er hingelegt hätten. Allein vom Zurückkämpfen kann er den Jugendlichen mit ungeraden Biografien genug erzählen. Wer, wenn nicht er ?!