Namensgeber für Frankfurter Weihnachtsbaum Die bewegende Geschichte von Eintracht-Original Sonny

Der Frankfurter Weihnachtsbaum hat einen Namen: Sonny. Geehrt wird damit der Holocaust-Überlebende und bekannte Eintracht-Fan Helmut "Sonny" Sonnenberg. Hier gibt es die Dokumentation und eine Reportage über sein bewegtes Leben.

Im Bildvordergrund ein Portrait von "Sonny", im Bildhintergrund Bilder seiner Vergangenheit. Auf dem Bild ist der Schriftzug "Sonny" platziert.
Bild © Imago Images, hr
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Dieser Text erschien erstmals zur hr-Doku im Jahr 2022. Helmut Sonneberg verstarb im Februar 2023.

"Beschissen is' noch geprahlt." Diese Antwort gibt Helmut "Sonny" Sonneberg immer gerne, wenn er nach seinem Befinden gefragt wird. Meistens schauen seine Gegenüber dann erstaunt bis pikiert, aber sie sollten sich keine Sorgen machen. Meistens geht es Sonny gut, gerade eingedenk seines hohen Alters von 90 Jahren kommt er beeindruckend fit daher. Doch er bezeichnet sich nun einmal selbst als "Schandmaul" und kann sich leidenschaftlich "ferschderlisch eschauffiere".

Als ich ihm vor vier Jahren erstmals begegnet bin, lieferte er mir in wenigen Minuten gleich ein halbes Dutzend an Themen, die ihm in der Gesellschaft, in den Medien oder natürlich im Fußball aufstießen. Ich nannte ihn damals den "Julius Caesar der Meckerrentner" - und er konnte mit dieser Ironie sehr gut umgehen.

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Sonny - eine Geschichte über den Holocaust, Eintracht und Frankfurt

Der hr-sport hat das bewegte Leben von Helmut "Sonny" Sonneberg in einer Dokumentation zusammengefasst. Der Film ist ab sofort in der ARD-Mediathek abrufbar.

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Was Juden ertragen mussten

Der Gedanke, dass das Leben diesem Senior die Verbitterung ins Gemüt geladen hätte, könnte sich bei einem näheren Blick auf Sonnys Biografie verstetigen. Selbst beim bloßen Lesen oder Schreiben über seine Kindheit schaudert es einen: Am Tag nach der Reichspogromnacht 1938, als also die Nazis unverhohlen Jagd auf Juden machten, bekam Sonny drei Schocks: Die Bäckersfrau aus der Nachbarschaft klärte ihn auf (seine Mutter schaffte es emotional nicht), dass er anders heiße als der Rest der Familie, dass sein Vater nicht sein leiblicher Vater und er selbst Jude sei.

Sonny war damals sieben Jahre alt und konnte mit diesen Informationen noch recht wenig anfangen. Eigentlich gar nichts. Was soll das sein – Jude? Doch schon bald musste er auf schmerzlichste Weise erfahren, was Juden ertragen mussten: Die Nazis trennten ihn von seiner Familie, Sonny kam ins Kinderheim, in dem meist hebräisch gesprochen wurde. Später durfte er nicht mehr auf die Straße, nicht mehr in die Schule, nicht mehr mit anderen Kindern Kontakt haben. "Ich war wie lebendig eingemauert", sagt er über diese Zeit.

Die schlimmsten Jahre seines Lebens

Sieben Jahre lang hatte er keine Freunde – und eigentlich kein richtiges Leben mehr.  Wenn er aus dem Fenster seines "Kerkers" blickte, hörte er vom gegenüberliegenden HJ-Heim Gesänge wie "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt". Auf der Straße wurde er bespuckt, geschlagen und getreten.

Er selbst sagt, dass seien die schlimmsten Jahre seines Lebens gewesen. Dabei gingen die Gräuel weiter: die Armut während der Kriegsjahre, der Hunger, das Leben im Bunker oder auf der Straße, die Bomben, danach die Deportation nach Theresienstadt. Er wog nach seiner Rückkehr nur noch 27 Kilo – mit 14 Jahren. Sonnys Schwester, Lilo Günzler, hat die Schicksalsschläge eindrücklich in ihrem Buch beschrieben: "endlich reden".

Parallelen zu Reiner Calmund

Ja, das alles – oder wahrscheinlich nur ein Teil davon – vermag einen Menschen zu brechen, ihn verbittert werden zu lassen und ihm das Grundvertrauen in eine Gesellschaft auszutreiben. Wie sangen die "Smiths"? "The life I’ve had can make a good man turn bad" (Das Leben, das ich hatte, kann einen guten Mann in einen bösen verwandeln). Allein – und das bemerkt jeder, der Sonny besser kennenlernt: Er ist nicht verbittert oder böse. Ganz im Gegenteil. Er ist warmherzig und sensibel, er umsorgt seine Nächsten, er hat sich den Schalk bewahrt.

Sonny würde es selbst schaffen, Reiner Calmund an die Wand zu reden. Und vielleicht gibt es Parallelen: Calmunds unbändige Plauderei kommt daher, dass er als Kind seinem blinden Opa die Welt erklärte. Und vielleicht kann man Sonnys Redseligkeit auch mit seinen frühesten Erfahrungen besser verstehen. Wer jahrelang fast niemanden zum Reden hatte, erkennt den Austausch mit anderen viel eher als Freiheit an.

17 Jobs, 1 Verein

Nach dem Krieg und der schlimmen Zeit hat Sonny seine Freiheiten in vielerlei Hinsicht genossen. Insgesamt übte er 17 verschiedene Jobs aus, als Taxifahrer, bei der Feuerwehr, am Flughafen oder in seiner Kneipe. Die große Erfüllung fand er, als er für die Stadtbücherei den Bücherbus fuhr – waren doch die Bücher seine Ersatzfreunde gewesen, als ihn die Nazis von der Welt wegsperren wollten.

Die wohl größte Freiheit und Erfüllung fand Sonny aber beim Fußball – und dabei bei Eintracht Frankfurt. Er trat dem Klub direkt nach dem Krieg bei, der Obmann bemängelte zunächst, dass Sonny noch zu schmächtig sei. Doch die Kilos schaffte er sich drauf, er spielte mit "offenem Bein", also den Verwundungen aus Theresienstadt, radelte der ersten Mannschaft zunächst mit dem Fahrrad hinterher.

Die Eintracht als "zweite Familie"

Bei der Meisterschaft 1959 fuhr er in einem Käfer nach Berlin zum Endspiel, bemalte den Wagen und sein Hemd. Dazu trug er stilecht einen Zylinder mit dem Vereinswappen, den ihm seine Schwester gefertigt hatte. An der Zonengrenze schossen die Beamten in die Luft, in Berlin schlug ihm ein Arzt einen Zahn raus und irgendwann trug Sonny die großen Spieler auf den Schultern. Zeit seines Lebens folgte er dem Klub überallhin.

"Eintracht Frankfurt ist mein Herzblut, meine zweite Familie", sagt Sonny. Der Klub hat ihm nicht nur Lebensfreude und Freunde gegeben; er hat auch zu Sonnys mutigster Leistung beigetragen: dass er nach Jahrzehnten sein Schweigen über den Holocaust gebrochen hat.

Sonny hat einen gut

Eintracht-Museumsleiter Matthias Thoma bewegte ihn behutsam und sensibel in kleinen Schritten zum Reden über das eigentlich Unaussprechliche. Der Verein hat sich in den vergangenen Jahren wie nur wenige andere klar gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus positioniert.

Und so ist diese Geschichte – die Doppeldeutigkeit sei erlaubt – eine über Eintracht. Über ein deutsches Leben. Die Nazis wollten Sonny genau dies entreißen, doch seine Biografie steht eben auch für den Fußball, seine Bedeutung, für Frankfurt und die Geschichte dieses Landes.

Die bewegende Geschichte Sonnys hat der hr-sport in der Dokumentation "Sonny - eine Geschichte über den Holocaust, Eintracht und Frankfurt" zusammengefasst. Wenn er nach einem der fünf Drehtage, die er für einen 90-Jährigen in unglaublicher Weise absolviert hatte, im Auto saß, zurück nach Hause zu seiner geliebten Emmi, sagte er manchmal: "Ich kenne viele in meinem Alter, die schon gestorben sind. So recht weiß ich auch nicht, warum ich noch so viel schaffe. Vielleicht denkt Gott, dass ich wegen der ganzen Geschichte noch einen gut habe." Und man kann sagen: Sonny hat mindestens einen gut.

Quelle: hessenschau.de