Frankfurter Can rückt ins EM-Aufgebot Emre aus der Nordweststadt
Emre Can rückt ins DFB-Aufgebot für die Heim-EM nach. Er wird mutmaßlich kaum eine Rolle spielen. Etwas, das eigentlich so ganz und gar nicht zum gebürtigen Frankfurter passt.
Als Emre Can den Nachwuchstrainern der Frankfurter Eintracht das erste Mal auffiel, war er zarte neun Jahre alt, ein schüchterner Junge obendrein. Das blieb eine ganze Weile so, auch wenn das heute beim Blick auf den gewiss nicht an mangelndem Selbstvertrauen leidenden Spieler von Borussia Dortmund kaum noch vorstellbar ist. Aber damals, ja, "da habe ich kaum meinen Mund aufbekommen".
Der neunjährige Emre spielte bei Blau-Gelb in Frankfurt, stets gegen ältere Kinder, seine Trainer wollten ihn fördern, nicht unterfordern. Denn er war besser als die anderen, für sehr lange Zeit. Das erkannte auch die Eintracht, wollte ihn holen, scheiterte jedoch mit ihrem Anliegen an den Eltern, die ihrem Filius verboten, täglich alleine aus der Nordweststadt mit der Bahn an den Riederwald zu fahren. Zu gefährlich für solch einen Knirps.
Stationen beim europäischen Fußballadel
Can reifte weiter, auf den Bolzplätzen der Stadt, wurde härter, zu sich, zu anderen. Und größer, deutlich robuster. Drei Jahre später hatte er seine Eltern überzeugt, im Falle der Eintracht war das gar nicht mehr nötig. Denn damals ahnten schon viele, die ihn als Zwölfjährigen schließlich im Dress der Adler spielen sahen, wohin das alles führen würde: zu einem Profifußballer, ebenfalls mit dem Adler auf der Brust.
Tatsächlich machte der Frankfurter Emre Can, dessen Eltern noch heute dort wohnen, nie ein Spiel für die Profis von Eintracht Frankfurt. Die Bayern schnappten vorher zu, holten den U17-Spieler nach München, der alsbald auch die goldene Fritz-Walter-Medaille als bester Nachwuchskicker seines Jahrgangs erhielt.
Der weitere Weg ist bekannt: Bayern München, Bayer Leverkusen, der FC Liverpool, Juventus Turin, aktuell Borussia Dortmund – etliche Clubs des europäischen Fußballadels. Und überall war Can Stammkraft, nicht unumstritten, aber er spielte fast immer. Der "Junge von der Straße", wie er sich selbst bezeichnet, hat sich durchgesetzt.
Nationalspieler des Jahres - aus purer Ironie
Am Mittwoch also wurde der 30-Jährige für die Europameisterschaft im eigenen Land nachnominiert. Er ersetzt Bayern-Youngster Aleksandar Pavlovic. Can ist ganz gut in Schuss zurzeit, hat kürzlich erst über 81 Minuten ein gutes Finale in der Champions League gespielt. Dass er den Vorzug vor dem Münchner Leon Goretzka erhielt, überrascht dennoch.
Denn Can ist eher keiner, den die 80 Millionen Bundestrainer und -trainerinnen hierzulande für EM-tauglich halten würden. Bezeichnend, als er von den Fans 2023 zum Nationalspieler des Jahres gewählt wurde. Die pure Ironie.
Emre Can - der Ersatz-Ersatz-Spieler
Can absolvierte bisher 43 Länderspiele in einer Zeit, in der es nicht lief für den DFB. Bei den Europameisterschaften 2016 und 2021 war er schon dabei, Spuren aber hinterließ er keine. Can war und ist ein Kader-Auffüllspieler, half zwischenzeitlich sogar als Innenverteidiger aus. Bei der Heim-EM dürfte der Nachzügler kaum Chancen auf Einsatzminuten haben, ist er doch nur der Backup vom Backup Pascal Groß. Auch Eintracht-Profi Robin Koch könnte ja notfalls noch als Sechser aushelfen.
Nach seiner nun überholten Nicht-Nominierung ließ Can durchblitzen, was er davon hielt: nichts. "Für mich ist die Karriere in der Nationalmannschaft noch lange nicht abgehakt", sagte er trotzig gegenüber der Bild-Zeitung. Es waren die Worte eines selbstbewussten Mannes. Des in der Frankfurter Nordweststadt gestählten Emre.