HSG-Wetzlar-Trainer Hrvoje Horvat im Interview Kritik nach der WM: "Das war respektlos"

Von der WM direkt in den Abstiegskampf: Wetzlars Trainer Hrvoje Horvat erlebt wilde Wochen. Auch ein wortloser Streit in seiner Heimat sorgt für Aufsehen. Im Interview spricht er über die Turbulenzen in Kroatien und in Hessen.

Hrvoje Horvat bei der Handball-WM 2023.
Hrvoje Horvat bei der Handball-WM 2023. Bild © Imago Images
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Ausgerechnet in der 25. Saison der Erstklassigkeit schwächelt die HSG Wetzlar in der Handball-Bundesliga. Nach dem Abrutschen in den Tabellenkeller wurde im Dezember Hrvoje Horvat als neuer Trainer vorgestellt, der gleichzeitig die kroatische Nationalmannschaft coachte. Nach dem neunten Platz bei der WM gab der Verband aber nun die Trennung bekannt.

Für Horvat und die HSG steht am Samstag (18 Uhr) das Pokal-Viertelfinale in Flensburg an, in der kommenden Woche geht die Rückrunde weiter. In einem TV-Interview bewegte Horvat zuletzt nur die Lippen, hier spricht er über seine Gründe für diesen Protest und den Druck im Geschäft. Zum Interview in der Sporthalle Dutenhofen kommt er zu Fuß, Horvat wohnt bezeichnenderweise unweit des Trainingsplatzes.

hessenschau:de Hrvoje Horvat, erst WM mit Kroatien, dann Abstiegskampf mit der HSG Wetzlar. Wie liefen Ihre vergangenen Wochen?

Horvat: Natürlich aufregend. Wir sind mit der Nationalmannschaft Neunter geworden, haben am Ende noch die Teilnahme an der Qualifikation für die olympischen Spiele ermöglicht. In Kroatien hagelte es sehr viel Kritik, aber das ist immer so: Wenn wir etwas gewinnen, sind wir Weltmeister im Feiern. Wenn nicht, sind wir Weltmeister im Schwarzmalen. Es ist schade, dass alles an einer Niederlage gegen Ägypten hing, aber so ist der Sport. Manchmal gehört auch fehlendes Glück dazu.

hessenschau.de: Woran lag das Abschneiden aus Ihrer Sicht?

Horvat: Wir hatten Verletzungssorgen, die man nicht wegdiskutieren kann: Die ersten zwei Torleute, die ersten vier Halblinken, der erste Linksaußen und der erste Rechtsaußen sind ausgefallen. Doch ich will es auch nicht als Ausrede benutzen. Wenn wir mit diesem Team gegen Dänemark unentschieden spielen, hätten wir auch gegen Ägypten gewinnen können...

hessenschau.de: ...das war das Knackpunkt-Spiel, bei dem Sie auf Ihren Kollegen Roberto Garcia Parrondo trafen, der Ägypten und in Hessen die MT Melsungen trainierte.

Horvat: Ja, es war besonders, wir haben uns auch darüber ausgetauscht. Er hat ja Ägypten nun verlassen aufgrund seiner Doppelrolle. Im Spiel selbst hat man gesehen, dass wir mit dem Druck nicht zurechtgekommen sind. Wir wollten in jedem Angriff zwei Tore auf einmal machen. Das hat uns aus der Bahn geworfen.

hessenschau.de: Auch Ihre Doppelrolle als Vereins- und Nationaltrainer ist nun beendet. Der kroatische Verband hat die Trennung bekanntgegeben.

Horvat: Ja, der Verband hat seine Entscheidung getroffen. Auch wenn ein Teil des Verbandes mit mir weitermachen wollte. Doch selbst wenn sie sich anders entschieden hätten, hätte ich mir Bedenkzeit erbeten. Ich war mir nicht sicher, ob ich das Amt unter diesen Umständen weiter ausgeübt hätte.

hessenschau.de: Sie spielen auf die harsche Kritik in der Heimat an. Nach dem letzten WM-Spiel sorgte ein TV-Interview von Ihnen für Aufsehen, in dem Sie nur die Lippen bewegten und dann mit den Händen ein Herz geformt haben. Was war da los?

Horvat: Es ist eine normale menschliche Reaktion: Wenn Sie Blumen werfen, bekommen Sie Blumen zurück. Wenn Sie Steine werfen, bekommen Sie Steine zurück. Es war respektlos, wie uns die Medien und die Öffentlichkeit angegangen haben. Also habe ich mich genauso verhalten. Ich wollte nicht reden, weil ich mich sonst auf das Niveau meiner Kritiker begeben hätte. Dann habe ich einfach ein Zeichen gesetzt.

hessenschau.de: Haben Sie das im Nachgang noch einmal angesprochen – also mit Worten?

Horvat: Nein, ich brauche keinen Austausch mehr. Mein Interview war Futter für alle: Wer mich vorher negativ gesehen hatte, wird sich bestätigt gefühlt haben. Wer positiv gestimmt war, wird mich verstehen. Mir ist es aber auch egal, was die Leute denken.

hessenschau.de: Zum Sportlichen: Wie sahen Sie generell die Handball-WM? Konnte man den Trend zu mehr Tempo durch die Regeländerungen erkennen?

Horvat: Definitiv. Aber mir gefällt das nicht. Handball war immer ein Kampfsport mit Gladiatoren. Deswegen hatten wir unser Publikum. Jetzt geht es nur noch um Athletik, um Lauferei, weniger um Taktik. Wir Trainer und Spieler müssen natürlich die Regeln einhalten, aber es ist nicht der richtige Weg.

hessenschau.de: Wird der Sport dadurch nicht attraktiver?

Horvat: In meinen Augen nicht. Wir wollen immer mehr wie der Basketball werden. Das Credo lautet: Bei mehr Toren kommen auch mehr Zuschauer! Doch beispielsweise im Fußball gehen Spiele auch 0:0 aus – und trotzdem schaut die ganze Welt zu. Mir sind Ergebnisse wie 18:17 lieber als 39:38, weil da jedes Tor auch richtig gefeiert wird.

hessenschau.de: Wie fanden Sie den Auftritt der deutschen Mannschaft?

Horvat: Deutschland hat ein gutes Turnier gespielt. 12 bis 14 Mannschaften kämpfen ums Halbfinale, dabei entscheiden Millimeter und auch Glück. Der fünfte Platz für Deutschland ist hervorragend, der Torwart Andreas Wolff war fantastisch.

hessenschau.de: Ihr Torwart Till Klimpke wurde überraschend nicht nominiert. Mussten Sie ihn aufbauen?

Horvat: Natürlich haben wir direkt nach der Entscheidung miteinander gesprochen. Aber Till hat einen super Charakter. Er war sofort klar im Kopf. Wenn er in solch schwierige Situationen kommt, macht ihn das besser und er schaltet automatisch einen Gang höher.

hessenschau.de: Sie waren durch die WM bei der Vorbereitung der HSG im Januar nicht dabei. Ist das nicht ein klarer Nachteil?

Horvat: Vor der WM haben wir ein Programm ausgegeben, mein Co-Trainer und Konditionstrainer haben es umgesetzt. Auch wenn ich nicht da war, hat es den Jungs an nichts gefehlt. Wir hatten eine gute Vorbereitung und ich habe das Gefühl, dass jeder weiß, in welcher Situation wir stecken.

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hessenschau.de: Ihr Fokus soll auf der Abwehrarbeit liegen, sagen die Spieler. Stimmt das?

Horvat: Wir befinden uns im Abstiegskampf, da geht es nicht um Schönheit, sondern einfach um Arbeit in der Defensive. Der Klassenerhalt entscheidet sich im Rückzugsverhalten und in der Deckung. Wir brauchen Aggressivität, Bewegung und auch Selbstvertrauen. Für den Angriff benötigt man länger Zeit, da machen wir bewusst kleinere Schritte.

hessenschau.de: Beim letzten Spiel in Flensburg probierten Sie eine aggressive 6:0-Deckung. Ist das auch die Marschroute, wenn es am Samstag im Pokal wieder nach Flensburg geht?

Horvat: Das ist sicher unsere erste Deckung, aber wir wollen auch im 5:1 agieren. Diese Variante bietet immer die Möglichkeit, sich mit dem gegnerischen Trainer zu messen und dessen Angriff zu irritieren. Ich finde es gut, dass wir gegen Flensburg spielen. Wir haben zum einen nichts zu verlieren, zum anderen wird gegen eine solche Top-Mannschaft klar, wo wir stehen.

hessenschau.de: Sollten Sie tatsächlich gewinnen, steht die HSG im "Final Four" und gleichzeitig im Abstiegskampf. Wäre das ein schwieriger Spagat?

Horvat: Absolut. Es wäre schwer für die Jungs, weil sie natürlich daran denken, sich vor so einer großen Kulisse zu präsentieren. Solche Spiele nehmen dir viel Konzentration. Aber sollte es so kommen, ist uns das bewusst.

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hessenschau.de: In der Stadt sieht man überall Aufkleber "25 Jahre erstklassig", auch auf Ihrem Trainingspullover ist es aufgedruckt. Erhöht dieses Jubiläum den Druck im Kampf um den Klassenerhalt?

Horvat: Der Druck ist nur so groß, wie du es zulässt. Es bringt jetzt nichts, wenn wir die ganze Zeit über "Klassenerhalt, Klassenerhalt, Klassenerhalt" reden. Wir dürfen uns nicht an dem großen Ziel orientieren, sondern an dem Weg dorthin, auf jedes einzelne Training. Die einzige Gefahr besteht, dass andere Mannschaften schon in dieser Situation waren und wir noch nicht. Aber dafür sind wir Profis, um die Lage anzunehmen.

hessenschau.de: Mit Stefan Cavor und Magnus Fredriksen kehren zwei Leistungsträger nach langen Verletzungen zurück. Wie geht es den beiden?

Horvat: Sehr gut. Cavor wird schon in Flensburg beginnen, bei Fredriksen entscheiden wir, ob es für das Spiel gegen Hannover oder Berlin reicht. Er selbst wollte schon jetzt loslegen, aber die medizinische Abteilung hat noch zur Geduld geraten. Die beiden sind Führungsfiguren, die Verantwortung übernehmen. So wird es für alle anderen leichter und unsere Mannschaft wird ganz anders aussehen.

hessenschau.de: Ihr Vertrag läuft nur bis zum Sommer. Hängt ein Verbleib am Klassenerhalt?

Horvat: Natürlich werde ich daran gemessen. Mehr kann ich aber nicht sagen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werden wir über die Zukunft reden.

hessenschau.de: Abschließend: Warum bleibt die HSG in der Liga?

Horvat: Erstens: Wir genießen hier eine super Umgebung und ein gutes Umfeld. Handball ist in Hessen zu Hause. Zweitens: Die Fans geben uns wichtige Energie. Drittens: Unsere Leistungsträger kehren zurück und wir verfügen über ausreichend Qualität. Wir werden also alles haben, was für den Klassenerhalt nötig ist.

Das Gespräch führte Ron Ulrich.

Quelle: hessenschau.de