Cool in der Crunchtime Melsungen untermauert in Wetzlar den Spitzenteam-Status
Die Handballer der MT Melsungen erarbeiten sich im Hessenderby die Tabellenführung der Bundesliga zurück. In Wetzlar spielen die Nordhessen zwar fehlerhaft, zum Schluss aber behalten sie die Nerven - das Merkmal eines Spitzenteams.
Ganz am Ende, etwa zehn Sekunden vor der Schlusssirene, bekam er dann doch noch einen Hand an den Ball, der Türsteher von Melsungen, MT-Torwart Nebojsa Simic. Zuvor war der 31-Jährige mit der ligaweit besten Fangquote (34 Prozent) kein Faktor in der Wetzlarer Arena gewesen. Die Parade kurz vor Ultimo, die letztlich für die endgültige Entscheidung beim 29:27 (14:14)-Auswärtserfolg des Tabellenführers bei der HSG sorgte, war erst seine dritte an diesem Abend.
Ja, die MT hatte sich im Gesamten schwer getan wie Simic im Speziellen. Es war kein Handball-Fest, dieses Hessenderby der Bundesliga, keine Partie auf hohem Niveau. Aber doch eine, die die 4.000 lautstarken Fans in der Halle und jene vor den Flimmerkisten in ihren Bann zog. Denn Wetzlar machte das, was Wetzlar häufig in Derbys macht: Es spielt besser als sonst. Die Gastgeber, lediglich auf Rang 14, hielten die Partie über die volle Spielzeit offen, zwischenzeitlich sahen sie sogar wie der mögliche Sieger aus.
"Harter Kampf", "tolle Atmosphäre"
Als Frank Carstens, HSG-Coach, trotz eines Drei-Tore-Rückstands zwanzig Minuten vor dem Ende seinen Mannen in einer Auszeit beschied: "Jungs, alles cool". Da begann die stärkste Phase der Mittelhessen. Till Klimpke, Wetzlars Ballfänger von Niveau, der zuvor fast nichts hielt, lief plötzlich zur Hochform auf. Drei Paraden am Stück brachten die Hausherren in Führung, sie waren im Flow, am Drücker. "Alles war angerichtet", sagte Carstens nach dem Spiel, "dann aber leisten wir uns einige der wenigen Ballverluste genau in der entscheidenden Phase". Kleinigkeiten hätten gefehlt, so der Trainer.
Es zeichnete dies das Spiel aus: unnötige Fehler – auf beiden Seiten, wohlgemerkt. So schwappte das Momentum hin und her, nie konnte sich ein Team absetzen. "Es war ein hartes Spiel“, rekapitulierte MT-Profi Nicolaj Enderleit. Sein Trainer, Roberto Garcia Parrondo, sah ebenfalls einen "harten Kampf, aber so sind Derbys eben". Aufgeheizt, nicklig, voller Debatten mit den beiden Schiedsrichterinnen. Eine Begegnung also, die alles in allem etwas losgelöst zu betrachten ist von der restlichen Saison. "Es war eine tolle Atmosphäre", sagten Carstens und Parrondo unisono.
Melsungen veredelt den Flensburg-Triumph
Während die Wetzlarer weiterhin im Tabellenkeller festsitzen, hat Melsungen, das vom überragenden und kurz vor Schluss mit einer Roten Karte vom Feld gestellten Elvar Örn Jónsson angeführt wurde (acht Tore), die Spitze erneut erklommen. Tags zuvor war Hannover-Burgdorf vorbeigezogen. Für die MT bedeutete der hart erarbeitete Erfolg gleichzeitig auch, dass sie gegen vergleichsweise Kleine die großen Erfolge veredeln kann.
War auf die Machtdemonstration gegen Magdeburg noch eine Niederlage in Eisenach gefolgt, vergoldeten die Nordhessen nun den Triumph gegen Flensburg-Handewitt aus der Vorwoche. Bereits am Mittwoch sind die Melsunger wieder gegen den HSV Hamburg gefordert, dann in Gummersbach und einen Tag vor Weihnachten im absoluten Highlight-Spiel gegen Hannover-Burgdorf. Für Wetzlar geht es am Mittwoch gegen Leipzig weiter, dann in Göppingen und gegen Gummersbach.
Wetzlar-Trainer sieht "Riesenleistung"
Frank Carstens blickt voller Zuversicht auf die nächsten, gewiss sehr intensiven Wochen, schließlich "haben wir eine Riesenleistung gebracht und sind zum ersten Mal in dieser Saison gegen eine Spitzenmannschaft für einen Sieg in Frage gekommen". Eine Spitzenmannschaft, nicht mehr und nicht weniger ist die MT Melsungen in dieser Saison. Gerade dann, wenn sie in der Crunchtime cool bleibt und Spiele zieht, die sie vom Spielverlauf her nicht unbedingt hätte ziehen müssen.