Sternenkinder Dominik: Ein ganzes Leben in fünf Tagen

Stefanie Goldbrich hat drei Kinder, doch ihr Sohn Dominik hat nur fünf Tage gelebt. Er ist ein Sternenkind. Beim Umgang mit der Trauer können Eltern die Fotos von Sternenkindfotografen wie Cris Dollhopff helfen.

Die Hand eines Sternenkindes mit einer Blume.
So fotografiert Cris Dollhopff Sternenkinder. Bild © Cris Dollhopff
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Bild © Cris Dollhopff| zur Audio-Einzelseite
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Die Babysachen lagen im Schrank, die Wiege und die Windeln lagen bereit. Alles war vorbereitet für Dominik. Doch Stefanie Goldbrich kommt allein, ohne ihren Sohn zurück nach Hause in ihre Wohnung in Neu-Isenburg. Dominik ist ein Sternenkind. Sternenkinder sind Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben.

Stefanie und Tobias Goldbrich schauen in die Kamera
Stefanie und Tobias Goldbrich sind Sternenkindeltern Bild © Stefanie Goldbrich

Während der Schwangerschaft vor sechs Jahren deutet nichts auf Probleme hin. "Wie im Bilderbuch" seien die Monate verlaufen, erinnert sich Stefanie Goldbrich. Eines Nachts wacht sie auf, läuft ins Badezimmer und überall ist Blut. Stefanie und Tobias Goldbrich fahren ins Krankenhaus. Die Herztöne des Babys fallen ab, Stefanie Goldbrich kommt in den OP, Dominik wird per Kaiserschnitt geholt und auf die Neo-Intensivstation gebracht.

Es folgen fünf Tage zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Die Mutter pumpt Milch ab und gibt sie ihrem Sohn durch die Kanüle. Sie wickelt ihn, wäscht ihn, singt ihm vor. "Ich habe mich jeden Tag mehr in meinen Sohn verliebt." Die anderen Neugeborenen im Raum sind viel kleiner und gebrechlicher als Dominik. "Ich dachte, wenn die anderen das schaffen, muss er das erst recht schaffen. Ich hatte keine Zweifel."

Die schwierige Entscheidung

Doch dann kommt die nächste Visite: Dominik hat eine Blutung im Kopf. Die Eltern beschäftigen drei Fragen: Wird er jemals ein eigenes Leben führen können? Wird er jemals laufen und sprechen können? Wird er je seine Augen öffnen und uns sehen können? Die Ärztin beantwortet alle Fragen mit Nein. Wenig später fällt die Entscheidung, die Geräte werden abgestellt.

In dieser Situation bittet Stefanie Goldbrich ihren Schwiegervater, ein Foto von der Familie zu machen. Er zittert so sehr, dass es nur zwei verwackelte Fotoschnipsel gibt, die Goldbrich im Fotoalbum zusammengeklebt hat. "Ich habe nichts von Dominik. Keine Haarsträhne, keinen Fingernagel."

Sternenkindfotos schaffen Erinnerungen

Den Eltern in diesen schweren Momenten etwas für die Zukunft mitzugeben - darum kümmert sich Cris Dollhopff von der Dein Sternenkind Stiftung. Seit zwei Jahren fotografiert er Sternenkinder. Wenn ein Fotograf gebraucht wird, leuchtet Dollhopffs Handydisplay rot. Über eine App wird er alarmiert. Er erfährt die Postleitzahl seines Einsatzortes und das Alter des Kindes. Der Fotograf kann den Alarm annehmen, pausieren oder ablehnen.

Teile einer Kameraausrüstung, Decken, Baby-Kleidung und Unterlagen liegen auf einem Boden.
Mit Baby-Kleidung und seiner Kamera-Ausrüstung fährt Sternenkindfotograf Cris Dollhopff zum Einsatz. Bild © Cris Dollhopff

Ein kurzes Telefonat mit der Hebamme oder den Eltern, dann fährt er in die Klinik: Mit dabei hat er ein Köfferchen mit Baby-Kleidung und seine Kameraausrüstung. "Der Moment, wenn ich dort ankomme, ist spannend, weil ich nicht weiß, was mich hinter der Tür erwartet. Es kann ein Moment voller Trauer sein oder ein positiver und liebevoller Moment."

Eltern haben Berührungsängste

Cris Dollhopff aus Maintal (Main-Kinzig) ist einer von rund 700 ehrenamtlichen Sternenkindfotografen und -fotografinnen im deutschsprachigen Raum. 2022 haben sie 4.143 Sternenkinder fotografiert. Davon allein 328 in Hessen. Sein jüngstes Kind war eine 13. Schwangerschaftswoche. "Das war schon sehr klein. Es hat gerade mal sieben Zentimeter gemessen." Damit die Sternenkinder möglichst lange so aussehen wie direkt nach der Geburt, werden sie oft ins Wasser gelegt – ähnlich wie in der Fruchtblase.

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Sternenkinder

Wie viele Sternenkinder es gibt, ist unklar. Sie werden in keiner Statistik erfasst. Lediglich Totgeburten, also Kinder, die ungefähr ab der 24. Schwangerschaftswoche sterben, werden vom Statistischen Bundesamt gezählt. 2021 waren es in Hessen 257. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Sternenkinder.

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Oft erlebt Dollhopff bei den Eltern Berührungsängste. Er tastet sich vorsichtig vor. Ein Foto von den Händen, von den Füßchen, ein Portrait und erst, wenn die Eltern sich bereit fühlen, ein gemeinsames Foto. Die Abzüge verschickt er in einem versiegelten Umschlag. Er weiß, dass nur wenige Eltern es schaffen, diesen direkt zu öffnen. Manchmal dauert es bis zum ersten Geburtstag des Sternchens oder länger.

Was passiert mit Sternenkindern?

Fünf Tage hat Dominik gelebt. Er wird auf dem Friedhof bestattet. Die Familie besucht sein Grab jeden Sonntag. Nicht alle Sternenkinder werden so wie Dominik beigesetzt. In Hessen gilt eine Bestattungspflicht für Kinder ab der 24. Schwangerschaftswoche oder ab einem Gewicht von 500 Gramm.

Seit 2013 können auch Kinder unter 500 Gramm als Personen registriert und so bestattet werden. An festen Terminen im Jahr gibt es für sie sogenannte Sammelbestattungen. Die sind kostenlos. Bis dahin werden die Kinder in der Pathologie der Kliniken aufbewahrt. Auf vielen Friedhöfen sind die Sternenkind-Felder schon von weitem zu erkennen: Oft sind sie mit Stofftieren und buntem Spielzeug geschmückt.

Sternenkinder bleiben ein Tabu

Wenn Stefanie Goldbrich heute von Dominik erzählt und das Foto aus ihrem Album zeigen will, sind die Reaktionen fast immer gleich. "Die meisten sagen: 'Ich traue mich nicht.' Auch wenn ich sage: 'Er sieht nicht anders aus als andere Babys.' Das ist ein Thema, über das niemand sprechen möchte."

Für viele sind Sternenkinder immer noch ein Tabu. Deshalb hat Goldbrich ein Buch mit dem Titel "Eine Handvoll Sonnenschein" geschrieben und tauscht sich heute mit anderen Sternenkindeltern auf Instagram aus. Ihr Erkennungszeichen ist das Sternenband, ein schwarzes Gummiband mit einem silbernen Stern. "So traut man sich, andere Sterneneltern auch im echten Leben anzusprechen", erklärt Goldbrich.

Stefanie und Tobias Goldbrich leben heute zusammen mit ihren zwei Kindern Valerie und Rafael. Und auch wenn Dominik nicht mehr da ist, steht für sie fest: Er ist Teil der Familie.

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Sendung: hr-iNFO, 27.01.2023, 7.20 Uhr

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Quelle: hessenschau.de