50 Jahre Biblis Einst das größte AKW der Welt - heute ein Bauschutt-Problem

Vor genau 50 Jahren ging das Atomkraftwerk Biblis ans Netz - seiner Zeit das größte Kernkraftwerk der Welt. Strom kommt aus dem Meiler schon lange nicht mehr. Und der Rückbau wird sich noch viele Jahre hinziehen.

Atomkraftwerk Biblis
Kein Fallout, sondern nur etwas Nebel über dem Rhein. Bild © Imago Images

Vor 50 Jahren - am 25. August 1974 - lieferte das Kernkraftwerk Biblis zum ersten Mal Strom. Block A wurde in Betrieb genommen. Nach der Katastrophe von Fukushima war im Jahr 2011 Schluss. Das Atomkraftwerk wurde vom Netz genommen. Seit Jahren nun schon befindet sich das Kernkraftwerk im Rückbau. Zuletzt gab es immer wieder Diskussionen, wie mit dem Bauschutt umgegangen werden soll. Eine Chronologie.

1974: Das AKW geht ans Netz

Nach viereinhalb Jahren Bauzeit fließt am 25. August 1974 der erste Strom aus dem Block A des Kernkraftwerks Biblis ins Netz. Mit einer Nettoleistung von 1.158 Megawatt ist Block A der größte Kernreaktor seiner Zeit. Kritische Stimmen gibt es offenbar kaum. Gegen die Genehmigung des Blocks soll es nur eine Einwendung gegeben haben. Rund 800 Millionen D-Mark kostet der Bau. Block B folgt im März 1976. Zu seinen Spitzenzeiten hat das AKW über 1.000 Mitarbeitende.

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1979: Diskussionen über Störfallsicherheit

Das Zeitalter der Atomenergie ist noch jung. Doch ein Kernschmelzunfall im AKW Harrisburg in den USA führt auch zu Debatten über das AKW Biblis. Denn genauso wie dort sind in Biblis Druckwasserreaktoren installiert. Die hessische Genehmigungsbehörde weist damals darauf hin, dass die in Biblis angewandte Technik eine höhere Sicherheit als Harrisburg aufweise.

1986: Ausstiegsszenario durch Joschka Fischer

Am 26. April 1986 explodiert das Atomkraftwerk in Tschernobyl. Eine Kernschmelze setzt massiv radioaktive Strahlung frei. Als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe legt der damalige Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) unter Ministerpräsident Holger Börner (SPD) eine Untersuchung über die Möglichkeiten und Konsequenzen eines Atomausstiegs vor. Das Papier heißt "Ausstiegs-Szenario".

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50 Jahre AKW Biblis - in Bildern

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1987: Schwerer Störfall wird verheimlicht

Am 16. und 17. Dezember 1987 kommt es in Biblis zu einem schweren Störfall, der aber zunächst nicht gemeldet wird. Die Anlage sollte für die Dauer von zwei Tagen zur Durchführung von Reparaturarbeiten stillgelegt werden. Als sie am 16. Dezember erneut in Betrieb genommen wird, interpretiert die diensthabende Schichtmannschaft eine Fehlermeldung über ein offenstehendes Ventil im Nachkühlkreislauf falsch. Genauso wie die nachfolgende Schicht.

Erst die dritten Schichtarbeiter, so heißt es vom Institut für Landesgeschichte, entdecken den Fehler und versuchen ihn zu beheben. Dabei treten 150 Liter radioaktives Wasser innerhalb der Anlage aus. Bekannt wird der Vorfall erst nach den Recherchen eines amerikanischen Fachmagazins über Nukleartechnik.

Es kommt zu dem Schluss, dass durch den Störfall in letzter Konsequenz auch eine Kernschmelze hätte ausgelöst werden können können. Im Laufe der Jahre gibt es in Biblis über 800 Störfälle laut Bundesamt für Strahlenschutz. Damit steht das hessische AKW an erster Stelle in ganz Deutschland.

Anti-Atomkraft-Demos

Gegen Ende der 1970er Jahre fingen sie weltweit an – in den 80ern kam die Anti-Atom-Bewegung auch in Deutschland an. Demonstranten fordert eine Schließung des AKW in Biblis.

Atomkraftgegner 1982 vor dem AKW Biblis
Atomkraftgegner 1982 vor dem AKW Biblis Bild © Imago Images

2011: Fukushima und der Atomausstieg

Obwohl 2010 noch die Laufzeitverlängerung der deutschen Meiler durch den Bundestag beschlossen wird, kommt ein Jahr später die Wende: Nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima wird Block A am 18. März 2011 heruntergefahren. Im Zuge des Atom-Moratorium werden alle deutschen Kernkraftwerke einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Block A und B werden nicht mehr hochgefahren und stillgelegt.

2017: Stilllegung und Rückbau

Am 1. Juni 2017 gibt Betreiber RWE Power AG bekannt, die Genehmigung für den Abbau des Kernkraftwerks in Anspruch zu nehmen. Der Rückbau beginnt. Laut RWE müssen innerhalb des Kontrollbereichs des AKW 63.000 Tonnen Masse abgebaut werden – hinzu kommen noch die eigentlichen Gebäude.

Es wird damit gerechnet, dass insgesamt eine Million Tonnen Schutt anfallen. Viel davon kann laut Umweltministerium einfach freigemessen werden, weil die Kontaminierung nicht sonderlich hoch sei. Bei rund 7.900 Tonnen müsse vorher die radioaktive Verunreinigung entfernt werden.

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Was sind freigemessene Abfälle?

Abfälle gelten dann als freigemessen, wenn von ihnen eine Belastung von maximal 10 Mikrosievert im Kalenderjahr pro Einzelperson in der Bevölkerung ausgeht. Laut dem Bundesumweltministerium liegt die durchschnittliche Strahlenbelastung in Deutschland durchschnittlich bei 2.400 Mikrosievert im Jahr. Ein Nordatlantikflug wird mit rund 100 Mikrosievert angegeben, eine Röntgenaufnahme mit rund 100 bis 1.000 Mikrosievert.

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2019: Letzter Castor-Behälter wird ins Zwischenlager gebracht

Der Rückbau verzögert sich, weil sich noch Brennelemente im Reaktor befinden. Im Juni 2019 teilt RWE mit, dass man den letzten Castor-Behälter, in dem hochradioaktive Brennstäbe lagern, in das hauseigene Zwischenlager verfrachtet habe.

Über 100 der gigantischen Castorbehälter stehen im Zwischenlager Biblis und warten auf ihre endgültige Lagerung.
Das Zwischenlager von Biblis mit den Castor-Behältern. (Archivbild) Bild © picture-alliance/dpa

"Im Zeitraum von Ende 2015 bis Juni 2019 konnten somit 51 Castoren erfolgreich und störungsfrei beladen werden. Dadurch wurden über 99 Prozent der Aktivität aus den beiden Blöcken entfernt", heißt es damals vom Energieunternehmen.

2023: Der erste Kühlturm fällt

Der Rückbau am stillgelegten Atomkraftwerk Biblis ist nun auch von außen sichtbar: Anfang Februar 2023 fällt der erste von vier Kühltürmen. Mit ferngesteuerten Baggern wird er zunächst destabilisiert und fällt dann innerhalb von Sekunden kontrolliert in sich zusammen. Etwas später folgt der zweite Kühlturm.

Rückbau bis in die 2030er und die Frage des Bauschutts

Ziel sei es, teilt ein Sprecher von Betreiber RWE kurz vor dem 50. Jahrestag mit, die Anlage Anfang bis Mitte der 2030er Jahre aus dem Atomgesetz zu entlassen – sprich: vollständig rückgebaut zu haben. Gut möglich also, dass das Kraftwerksgelände seinen 60. Geburtstag im Jahr 2034 auch noch erlebt.

Aktuell laufen verschiedene Abbauprojekte. Die vier Dampferzeuger aus Block A, je 300 Tonnen schwer und 20 Meter hoch, sind nach Unternehmensangaben bereits vollständig abgebaut. Im Abklingbecken befindet sich aber immer noch Wasser. Die Brennstäbe sind inzwischen entfernt, in dem Becken wird aber immer noch kontaminiertes Material gelagert - das Wasser dient als Strahlenschutz.

Unklar ist noch, was mit dem ganzen Bauschutt passieren soll, der an der Anlage beim Rückbau anfällt. Ziel sei es 55.000 Tonnen als freigegebenes Material in den Wertstoffkreislauf zurückführen und zu recyclen. Der Rest muss auf eine Deponie – doch auch eine bundesweite Suche nach einer, blieb bislang erfolglos. Keine der 200 Deponien in Deutschland wollte den Schutt annehmen. Daraufhin wurde der Betreiber der Deponie im benachbarten Büttelborn (Groß-Gerau) zur Aufnahme verpflichtet - unter Protest.

Auch die Stadt und der Kreis stellen sich gegen die Lagerung des Bauschutts. Landrat Thomas Will (SPD) kündigt im November 2022 an, sämtliche rechtliche Mittel auszuschöpfen.

Mehrere Menschen halten ein Transparent hoch mit der Aufschrift "Bleibt mit dem Dreck weg".
Protest vor einer Sitzung des Umweltausschusses im Hessischen Landtag (Archiv) Bild © hr

Im April urteilt das Verwaltungsgericht Darmstadt, dass die Deponie Büttelborn 3.200 Tonnen Bauschutt aufnehmen muss. Damit ist der Streit aber nicht beiseitegelegt. Ein Gerichtssprecher sagt, das Hauptverfahren dürfte sich noch jahrelang hinziehen.

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Redaktion: Andreas Bauer

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de