Streit um Bauschutt 15.000 Tonnen in fünf Sekunden: Erster Kühlturm in Biblis gefallen
Der erste Kühlturm des stillgelegten Atomkraftwerks im südhessischen Biblis ist mit Baggern zum Einsturz gebracht worden. Sechs Stützen wurden abmontiert, ehe der 80 Meter hohe Turm in sich zusammenfiel.
Der Rückbau am stillgelegten Atomkraftwerk Biblis (Bergstraße) ist nun auch von außen sichtbar: Der erste von vier Kühltürmen ist am Donnerstag abgerissen worden. Nach Angaben des Energiekonzerns RWE wurde der Turm mit ferngesteuerten Baggern destabilisiert. In den vergangenen Tagen war der 80 Meter hohe und 15.000 Tonnen schwere Turm bereits durch Schlitze "geschwächt" worden, die von Baggern in den Beton gesägt wurden.
Am Donnerstag wurden nach und nach sechs Stützen entfernt. Als die sechste Stütze weg war, knickte der Kühlturm um 11.29 Uhr nach links um und fiel binnen fünf Sekunden kontrolliert in sich zusammen. Dadurch seien umliegende Gebäude sowie Hochspannungsleitungen nicht beeinträchtigt worden, sagte ein RWE-Sprecher. Es sei alles nach Plan verlaufen. Um den Turm war eine Sicherheitszone eingerichtet worden.
Zweiter Kühlturm-Abriss noch im Februar
Nach RWE-Angaben dienten die Kühltürme dazu, den Rhein bei heißen Sommertemperaturen oder Niedrigwasser nicht zu stark mit Wärme zu belasten. Die Kühltürme seien in der Betriebsphase nie mit Radioaktivität in Berührung gekommen. Der daher konventionelle Bauschutt soll aufbereitet werden. Das Material werde zum größten Teil als Kiesersatz für die Beton-Produktion oder in der Zementindustrie wiederverwendet.
Das Kernkraftwerk wurde nach dem Atomausstieg Deutschlands nach der Fukushima-Katastrophe 2011 stillgelegt. Seit 2017 wird die Anlage abgerissen. Die beiden Druckwasserreaktoren in Block A und Block B mit ihren vier Kühltürmen gingen 1974 beziehungsweise 1976 in Betrieb. Der zweite Kühlturm von Block A soll in der zweiten Februarhälfte abgerissen werden, die Kühltürme von Block B sollen 2024 fallen.
Der Abriss des ersten von vier Kühltürme stehe für das Ende des Atomkraftwerks - "und damit für das Ende einer falschen Energiepolitik", sagte die klima- und umweltpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Martina Feldmayer. Die AfD widersprach: Der Kühlturm-Abriss stehe für "energiepolitischen Irrsinn". Die Linke forderte, die Bürgerinnen und Bürger über den Rückbau umfassender und transparenter zu informieren. Ein entsprechendes Bürgerforum habe seit Oktober 2021 nicht mehr getagt.
Widerstand in Büttelborn
Derzeit gibt es Streit, wo rund 3.200 Tonnen Schutt vom Rückbau in Biblis – vor allem Beton, Ziegel, Fliesen und Keramik – deponiert werden sollen. Bundesweit gab es Absagen von Deponien, die die leicht kontaminierte Fracht von dem ehemaligen Kraftwerk nicht haben wollen. Das hessische Umweltministerium und das zuständige Regierungspräsidium in Darmstadt haben eine Deponie in Büttelborn im benachbarten Kreis Groß-Gerau auserkoren. Dort aber regt sich heftiger Widerstand.
Kreis, Stadt und Deponiebetreiber lehnen eine Lagerung des Kraftwerk-Schutts auf der Halde kategorisch ab. In einer Sitzung des Kreistages hatten sich über Parteigrenzen hinweg alle Abgeordneten gegen eine dortige Lagerung ausgesprochen und angekündigt, juristische Schritte zu prüfen. Alle Gesellschafter des Betreibers seien gegen eine Deponierung in Büttelborn. "Sie wollen diese Art von Abfall nicht mehr annehmen", sagte Bürgermeister Marcus Merkel (SPD). Nach Paragraf 29 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes kann das Regierungspräsidium den Betreiber einer Abfallbeseitigungsanlage verpflichten, den Müll aufzunehmen.
Ein Million Tonnen Rückbaumaterial
Konkret geht es bei den 3.200 von insgesamt einer Million Tonnen um Rückbaumaterial, das unter einem Grenzwert von jährlich zehn Mikrosievert Strahlenbelastung liegt. Das ist nach Behördenangaben nicht gesundheitsbelastend, muss aber speziell freigegeben werden. Eine natürliche Strahlenbelastung für Einwohner in Deutschland liege durchschnittlich bei 2.100 Mikrosievert im Jahr.
Der Bauschutt wird derzeit auf dem Geländes des alten Atomkraftwerks in Biblis gelagert. Dort gibt es auch ein Zwischenlager mit Castoren mit hoch radioaktivem Müll.
Anm. d. Red.: In einer früheren Version dieses Beitrags haben wir den Turm fälschlicherweise als 15 Tonnen schwer bezeichnet. Wir haben die Angabe korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Sendung: hr-iNFO, 02.02.2023, 12 Uhr
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