Auslieferungsersuchen an Neuseeland Mutmaßlicher Cum-Ex-Strippenzieher soll endlich in Hessen vor Gericht
Ein Neuseeländer ist nach Ansicht der Ermittler mitverantwortlich für den größten Steuerbetrug am deutschen Staat. Seit Jahren soll Paul Mora sich deshalb vor dem Landgericht Wiesbaden verantworten. Es gibt da nur ein großes Problem.
Der Banker und Aktienhändler Paul Mora ist einer der größten mutmaßlichen Steuerverbrecher, die je von der deutschen Justiz gesucht wurden. Fahndungsfotos zeigen den 1,90 Meter großen Mann mit einem fülligen Gesicht und nach hinten gegelten mittelbraunen Haaren in einem weißen Hemd.
Er soll einer der Strippenzieher der Cum-Ex-Geschäfte gewesen sein, mit denen Trader, Banker, Rechtsanwälte und Investoren den deutschen Staat über Jahre hinweg um insgesamt rund zehn Milliarden Euro betrogen haben dürften. Durch eilige Hin-und-Her-Verkäufe von Aktien ließen sie sich eine einmal bezahlte Kapitalertragsteuer mehrmals zurückerstatten. Es gab bereits mehrere Strafurteile in dem Komplex.
Aufenthaltsort ist bekannt
Doch des Neuseeländers Paul Mora ist die deutsche Justiz noch nicht habhaft geworden. Dabei weiß sie, wo er steckt - die Fahndungsfotos bräuchte es streng genommen nicht. Sein Anwalt Gunnar Knorr von der Kölner Kanzlei Oppenhoff schrieb dem hr bereits vor Jahren und bestätigte es auf erneute Anfrage wieder: "Herr Mora lebt und arbeitet in Neuseeland."
Genau darin liegt das Problem: Neuseeland liefert Mora nicht aus.
Für die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt ist das kein Grund, die Fahndung zurückzunehmen und sich zurückzulehnen. Mora gehöre zu den Angeklagten, die alle Möglichkeiten hätten, sich unbemerkt in andere Länder abzusetzen und die Spuren zu verschleiern, sagt Georg Ungefuk, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Es gehe schließlich um einen besonders schweren Fall von Wirtschaftskriminalität.
Dem 56-jährigen Neuseeländer wird vorgeworfen, als Wertpapierhändler der Hypovereinsbank in London gemeinsam mit dem Frankfurter Anwalt Hanno Berger und den Briten Martin S. und Nicholas D. den deutschen Staat um 113 Millionen Euro betrogen zu haben. Das sind die sogenannten Wiesbadener Cum-Ex-Fälle von 2006 bis 2008, die in der hessischen Landeshauptstadt verhandelt werden. Dazu kommen noch Fälle, deretwegen die Kölner Staatsanwaltschaft Mora angeklagt hat. Dabei geht es um rund 450 Millionen Euro.
Hinweise aus Millionenvermögen
Wie viele Millionen Mora selbst mutmaßlich mit Cum-Ex-Betrug eingenommen hat, ist nicht bekannt. Allein eine Villa in Grindelwald in der Schweiz, die ihm und anderen gehört, soll über sieben Millionen Euro wert sein. Sein Anteil wurde konfisziert. Einen Hinweis auf sein mögliches Vermögen gibt auch eine seiner Firmen auf den Cayman Islands, die er gemeinsam mit dem Mitangeklagten Martin S. hatte: Sie soll nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung 250 Millionen britische Pfund schwer gewesen sein.
Wie das Leben und Arbeiten von Paul Mora in Neuseeland aussehen könnte, hat das neuseeländische Internetmagazin Stuff vor drei Jahren beschrieben. Es gibt zum Beispiel ein Foto von einer Adresse in Christchurch, angeblich sein 2,5-Millionen-Dollar-Anwesen. Und es heißt, Mora sei "am Hotelgebäude Crowne Plaza, mehreren großen Milchviehbetrieben in Canterbury und anderen Immobilienprojekten in Christchurch beteiligt".
Mora bestreitet Vorwürfe energisch
Mora bestreite die Vorwürfe energisch, teilte sein Anwalt Knorr mit: "Er hat grundlegende Fehler in den durch die Staatsanwaltschaft gegen ihn erhobenen Vorwürfen und in dem Verfahren in Deutschland mehrfach deutlich aufgezeigt." Der Anwalt sieht Moras Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Und: "Er behält sich seine Rechte vor, als neuseeländischer Staatsbürger in seinem Heimatland zu verbleiben."
Darüber hinaus lege Mora Wert darauf, dass er kein "Flüchtiger" sei, da sein Aufenthaltsort ja bekannt sei, informiert sein Anwalt. Daraus folge, "dass die getätigten öffentlichen Maßnahmen vollkommen überflüssig sind".
Die Frankfurter Staatsanwälte brauchen bei Paul Mora einen besonders langen Atem. Sie haben ihn schon 2017 angeklagt. Sieben zähe Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Der Prozess sollte 2021 vor dem Wiesbadener Landgericht beginnen. Mora kam nicht. Seitdem gibt es den internationalen Haftbefehl.
Seit 2023 liegt dazu die Bitte um Auslieferung vor. Doch die neuseeländische Polizei verhaftet ihn nicht. Möglicherweise soll vorher geklärt werden, ob der neuseeländische Staat überhaupt bereit wäre, Mora nach Deutschland auszuliefern. Und das ist eine komplizierte Entscheidung.
Deutschland würde im umgekehrten Fall nicht ausliefern
"Es ist nicht verwunderlich, dass eher zögerlich auf das Auslieferungsersuchen geantwortet wird", sagte Fachanwältin Elisabeth Baier von der Kanzlei Dankert, Bärlein und Partner dem hr. Und zwar, weil Mora Neuseeländer sei. Deutschland würde im umgekehrten Fall auch keinen deutschen Staatsbürger ausliefern. Das stehe im Grundgesetz. Ausnahmen gebe es bei Gesuchen von EU-Ländern und zum Beispiel dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Trotzdem scheint eine Auslieferung von Mora nicht komplett aussichtslos. Baier schätzt, dass zurzeit auf diplomatischem Weg verhandelt werde.
Das Bundesjustizministerium in Berlin schreibt dem hr dazu: "Ein Auslieferungsabkommen zwischen Deutschland und Neuseeland besteht nicht." Maßgeblich für eine mögliche Auslieferung sei das neuseeländische Auslieferungsgesetz (Extradition Act).
Weil es kompliziert ist, haben die Frankfurter Staatsanwälte ein besonders ausführliches Auslieferungsersuchen geschrieben. Es umfasst neun Aktenordner. Die Übersetzung ins Englische hat eine Weile gedauert. Voriges Jahr war sie fertig, seit einem Jahr sind die neun Bände in Neuseeland.
Ermittler wollen beharrlich bleiben
Dort liegt der Fall beim Crown Law Office in Wellington, der rechtlichen Vertretung der neuseeländischen Regierung. Sie schreibt auf hr-Anfrage: "Wir kommentieren das nicht." Bei Auslieferungen würden die Staaten untereinander kommunizieren, man spreche nicht über Auslieferungsanfragen.
Georg Ungefuk von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt sagt, es gebe eine gute und enge Zusammenarbeit mit den neuseeländischen Behörden: "In diesem Fall ist Beharrlichkeit wichtig." Er hat die Hoffnung, dass Neuseeland kein Rückzugsort für Kriminelle sein will und es deshalb am Ende doch zu einer Auslieferung kommt. Ungefuk betont: "In diesem Fall werden wir bis zum Schluss alles, was uns an Maßnahmen zur Verfügung steht, auch umsetzen."
Hoffnung macht den hessischen Ermittlern vielleicht, dass es auch im Fall von Hanno Berger lange so aussah, als könne er sich dem Zugriff der deutschen Behörden entziehen. Letztlich wurde er dann doch in der Schweiz festgenommen. Im vergangenen Jahr wurde er vom Landgericht Wiesbaden zu acht Jahren Haft verurteilt.