Schleichender Abschied vom Bargeld Immer mehr Geldautomaten in Hessen werden abgebaut
In Hessen ist die Anzahl der Geldautomaten drastisch gesunken – um mehr als 460 in nur vier Jahren. An Bargeld zu kommen, wird besonders auf dem Land immer schwieriger. Verbraucherschützer sind alarmiert.
Die Bürgerproteste haben nichts gebracht. Der letzte Geldautomat in Heppenheims größtem Stadtteil Kirschhausen ist vor etwa zwei Jahren von der Sparkasse Starkenburg abgebaut worden. Der nächste Automat steht jetzt etwa vier Kilometer entfernt im Ortskern von Heppenheim.
"Es ist deutlich umständlicher geworden, an Bargeld zu kommen", erzählt Heiko Kunkelmann. Für ihn als Geschäftsführer eines Ektroinstallationsunternehmens mit Sitz in Kirschhausen ist das ein Problem. Für den Betrieb sei immer wieder mal Bargeld nötig, zum Beispiel wenn Minijobber bar ausgezahlt werden möchten. Oder wenn bei Lieferungen noch Nachzahlungen nötig sind.
Sparkasse: Lage war ein Sicherheitsrisiko
Doch die Sparkasse Starkenburg bleibt bei ihrer Entscheidung. Der Geldautomat sei nicht besonders häufig genutzt worden, so der Sparkassen-Vorstandsvorsitzende Jürgen Schüdde.
Außerdem habe der Geldautomat direkt an einer Durchgangsstraße gelegen, "das hätte Kriminellen gute Fluchtmöglichkeiten geboten", sagt Schüdde. Damit galt das Gerät als Sicherheitsrisiko, auch für die Menschen, die direkt darüber wohnen. Eine Gefahr, die mit rund zwei Dutzend Automatensprengungen in Hessen im Jahr 2024 real erscheint. Im Jahr zuvor waren es sogar 61.
Anwohner machen sich große Sorgen
Auch in Lindenfels (Bergstraße) wurde vor einem halben Jahr ein Automat gesprengt, er gehörte zur Volksbank. "Ich bin aus dem Bett hochgesprungen, das war für mich ein Schock", erinnert sich Tijen Özcan. Sie wohnt in der Nähe des Tatorts - über einer Selbstbedienungsfiliale der Sparkasse. Jetzt sorgt sie sich, dass es direkt unter ihrer Wohnung ebenfalls knallen könnte.
Die Sparkasse und die Volksbank suchen nun einen neuen, sicheren Standort, den sie gemeinsam betreiben wollen. Und damit wäre es wieder ein Geldautomat weniger.
Immer weniger Automaten
Das Automatensterben ist bei den hessischen Sparkassen seit Jahren zu beobachten. Diesen Trend bestätigen auch aktuelle Zahlen des Sparkassen- und Giroverbands Hessen-Thüringen.
Demnach betreiben die 32 Institute zwar hessenweit immer noch die meisten Geräte, nämlich rund 1.590. Allerdings sind es etwa 270 weniger als noch vor vier Jahren.
Es wird immer häufiger bargeldlos gezahlt
Die hessischen Volks- und Raiffeisenbanken haben seitdem rund 190 Geräte abgebaut. Damit kommen die 48 Genossenschaftsbanken hessenweit nun noch auf etwa 1.080 Automaten.
Beim zuständigen Genoverband heißt es, dort, wo weniger Bargeld nachgefragt sei, brauche es weniger Automaten. Und schließlich werde immer häufiger bargeldlos gezahlt, etwa per Smartphone oder mit Karten.
Ähnlich argumentiert Jörg Klinge, Pressesprecher beim Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen. Aber auch die Geldautomaten-Sprengungen seien ein Thema: "Gesprengte Automaten können nicht immer ersetzt werden." Denn oft könnten diese technisch nicht noch besser gesichert werden. Auch würden nicht alle Vermieter die Räumlichkeiten weiter zur Verfügung stellen wollen.
Geldautomaten kosten auch Geld
Bleibt ein Gerät oder verschwindet es dauerhaft? Das dürfte am Ende auch eine Frage des Geldes sein. Denn aus Bankkreisen heißt es, allein die Anschaffung eines solchen Geräts koste zehntausende Euro. Diese Zahl möchte Pressesprecher Klinge nicht kommentieren. Aber auch zusätzliche Sicherheit koste Geld, betont er.
"Die Geldautomaten verschwinden schleichend, insbesondere in Hessen", kritisiert die Frankfurter Verbraucherschützerin Katharina Lawrence. Das erschwere Verbrauchern den Zugang zu Bargeld. Wie viele Geräte es in Hessen insgesamt noch gibt, dazu fehlen der Verbraucherzentrale Hessen allerdings bisher verlässliche Daten. Die erhebt weder die Bundesbank noch der Bankenverband.
Bargeld aus dem Supermarkt – eine Notlösung
Eine hessenweite Übersichtskarte mit allen Standorten von Sparkassen-Geldautomaten kann auch Klinge nicht bieten, trotzdem ist er überzeugt: "Die Versorgung der Bevölkerung mit Bargeld ist sichergestellt." Und letztlich seien Geldautomaten dafür nicht zwingend nötig. Der Handel habe schließlich auch Bargeld.
Das ist aus Sicht der Verbraucherschützerin Lawrence nur eine Notlösung. "Denn in den Supermarkt können Verbraucher nur gehen, wenn er offen hat", so Lawrence. Und Bargeld würden sie nur bekommen, wenn sie auch dort einkaufen.
Wirtschaftsministerium sieht sich nicht in der Pflicht
Bei der Bargeldversorgung sieht Verbraucherschützerin Lawrence vor allem die Sparkassen in der Pflicht. Laut dem hessischen Sparkassengesetz haben die öffentlich-rechtlichen Finanzinstitute die Aufgabe, Verbrauchern auch auf dem Land alle wichtigen Geldgeschäfte und Dienstleistungen anzubieten.
Ob sie dem in Sachen Bargeld gerecht werden, dazu hat sich selbst das Land Hessen als Sparkassenaufsicht bisher keinen Überblick verschafft und vertraut letztlich den Sparkassen, wie das Hessische Wirtschaftsministerium auf hr-Anfrage mitteilte. "Wie die Sparkassen vor Ort diese Aufgabe erfüllen, lässt sich nicht gesetzlich fixieren und obliegt der Entscheidung der Gremien der Sparkassen und ihrer Träger."
Die Versorgung mit Bankdienstleistungen in den ländlichen Räumen sei von Region zu Region unterschiedlich. Doch Zahlen und Daten zu Geldautomaten speziell in Hessen würden auf Ebene der Sparkassenaufsicht nicht erfasst und seien auch nicht aus öffentlich zugänglichen Quellen recherchierbar.
Vereinzelt kommen neue Automaten dazu
Vereinzelt werden auch neue Geräte aufgestellt, etwa in Wüstensachsen, einem Ortsteil der Gemeinde Ehrenberg (Fulda). Nachdem die Anwohner dort erst ohne Geldautomaten auskommen mussten, weil die VR-Bank das letzte Gerät abgebaut hatte, wurde es vor zwei Jahren durch ein neues ersetzt. Das betreibt allerdings nun die Sparkasse Fulda – und zwar in einem Supermarkt.
"Das ist aber eine ganz große Ausnahme", sagt Richard Hartwig, Pressesprecher der Sparkasse. Auch dieser Automat werde im Vergleich zu anderen wenig genutzt. Pro Tag würde etwa 25-mal Geld abgehoben. Trotz allem will die Sparkassen speziell an diesem Gerät aber erst einmal festhalten.