Weniger Arbeit, mehr Lebensqualität Wie ein Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen den Alltag verändert

1.200 Euro monatlich, keine Bedingungen, Bienen und Yoga: Was machen Menschen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen und was macht es mit ihrem Leben? Dazu hat der Verein "Mein Grundeinkommen" ein Experiment gemacht. Ein Hesse berichtet von prägenden drei Jahren.

Ein Mann steht an einem Baum in einem Garten und schaut in die Kamera
Sergej Justus im Garten Bild © Ursula Mayer

Sergej Justus liebt seinen Garten. Der 44-Jährige aus Linden in der Nähe von Gießen verbringt dort nach eigenen Angaben viel Zeit, kümmert sich um seine Bienen und produziert seinen eigenen Honig. "Morgens setze ich mich gerne mit einer Tasse Kaffee hierher und sehe dem Gras beim Wachsen zu", sagt Justus. Das sei wie ein kleiner Urlaub.

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1.200 Euro monatlich - einfach so

Drei Jahre lang hat der Lindener 1.200 Euro monatlich bekommen – einfach so. Er ist einer von 122 Menschen, die im Rahmen einer Verlosung für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgewählt wurden. Das habe ihm ein zweites Leben ermöglicht, erzählt Justus: "Ich habe mehr Zeit in der Natur verbracht, meine sozialen Kontakte aufgefrischt, bin mit Freunden feiern gegangen oder habe mit ihnen Sport gemacht."

Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ist ein festgelegter Geldbetrag, den jede Person regelmäßig erhält, ohne dafür arbeiten zu müssen. Dieses Geld soll helfen, dass alle Menschen ihre grundlegenden Bedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und Kleidung bezahlen können. Jeder bekommt dieses Geld, egal, ob er schon anderes Einkommen hat oder nicht, und man muss nichts Bestimmtes tun oder nachweisen, um es zu erhalten. Die Idee hinter diesem Grundeinkommen ist, dass es allen Menschen eine finanzielle Grundabsicherung bietet.

Befürworter argumentieren, dass ein BGE die Lösung für viele soziale Probleme sein könnte, darunter Armut, Ungleichheit und die Auswirkungen der Automatisierung auf den Arbeitsmarkt. Das BGE könnte die Flexibilität und Wahlfreiheit der Menschen erhöhen.

Kritiker hingegen befürchten, dass ein BGE zu hohen Kosten führen, die Arbeitsmotivation verringern und letztlich die Wirtschaft belasten könnte.

In Deutschland gab es mehrere kleinere Pilotprojekte und Studien. Ein bekanntes Beispiel ist das Pilotprojekt des Vereins "Mein Grundeinkommen", das durch Crowdfunding finanziert wird und regelmäßig Grundeinkommen verlost.

Arbeit reduzieren, aber nicht völlig aufgeben

Bei seinem Hobby Yoga wollte sich der 44-Jährige weiterentwickeln und hat eine Ausbildung zum Lehrer absolviert. Dass ihm das alles guttut, merkt man ihm an. Er spricht mit ruhiger Stimme und wirkt entspannt. All die Freizeitaktivitäten seien nur dadurch möglich geworden, dass er seine Arbeitszeit reduziert hat, sagt Justus.

Ein Mann sitzt im Schneidersitz auf einer Rasenfläche in einem Garten.
Sergej Justus meditiert Bild © Ursula Mayer

Beruflich kümmert er sich bei einem Versandhändler um Reklamationen, statt bisher 40 jetzt nur noch 30 Stunden pro Woche: "Die Idee war schon vorher da, aber ich habe mich erst nicht getraut", meint Justus: "Mit dem Grundeinkommen gab es aber keinen Grund, das Ganze aufzuschieben." Da sei das zusätzliche Geld hilfreich gewesen.

Wird Arbeit gesellschaftlich abgewertet?

Von 2021 bis 2024 hat Justus das Grundeinkommen bekommen. Obwohl diese Unterstützung also vor einem Jahr zu Ende gegangen ist, will Sergej Justus weiter beruflich kürzertreten, wie er sagt. Die Arbeit ganz aufzugeben sei für ihn dagegen nie eine Option gewesen - nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Tag eine gewisse Struktur gebe. Weil Justus bereits ein geregeltes Einkommen und Mieteinnahmen hat, war er auf das Grundeinkommen nicht angewiesen.

Für Geringverdiener dagegen könne es eine wichtige Absicherung sein, meint Oliver Sträter, Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Kassel. "Es besteht allerdings die Gefahr, dass dadurch die Begriffe Einkommen und letztlich auch Arbeit gesellschaftlich abgewertet werden könnten."

Weniger Stress, mehr Schlaf und soziale Kontakte

Faul und träge, wie von Kritikern der Idee befürchtet, mache das Grundeinkommen nicht. Zu dem Ergebnis kommt der Berliner Verein "Mein Grundeinkommen", der die Verlosung unter rund 1.700 Menschen bundesweit durchgeführt und zusammen mit Wissenschaftlern die 122 Gewinner über die drei Jahre immer wieder befragt hat. Daraus entstand die erste Langzeitstudie zu dem Thema, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Die Teilnehmer hätten sich weder aus dem Arbeitsmarkt massiv zurückgezogen noch ihre Arbeitsstunden signifikant reduziert, teilt der Verein mit.

Laut der Studie von "Mein Grundeinkommen" hat das Grundeinkommen stattdessen vor allem positive Auswirkungen: Viele Teilnehmer hätten sich weitergebildet, sie seien zufriedener und gesünder. Sie hätten weniger Stress, würden besser schlafen und mehr mit anderen Menschen unternehmen. Eine weitere Beobachtung ist, dass etliche das Geld anlegen und sich lang gehegte Wünsche erfüllen würden.

Wie viel Geld braucht ein Mensch zum Leben?

Das gilt auch für Sergej Justus. Er hat sich beispielsweise ein Elektroauto und einen Beamer zugelegt. "Die hätte ich aber sowieso irgendwann gekauft", meint der 44-Jährige. In erster Linie habe ihn das Grundeinkommen zum Nachdenken gebracht: "Ich habe mich gefragt, wie viel Geld brauche ich zum Leben." Vermutlich weniger als angenommen, würde das Grundeinkommen in Deutschland eingeführt, so Justus.

Manchmal bekomme er im Alltag auch Neid zu spüren, erzählt der Hesse. "Weil ich früher zu arbeiten aufhöre, musste ich mir schon den ein oder anderen Spruch gefallen lassen." Aber auch ohne Grundeinkommen könnten die Kollegen ihre Arbeitsstunden wie er reduzieren, findet er.

Der 44-Jährige ist dankbar dafür, dass er im Zuge des Experiments insgesamt 43.200 Euro geschenkt bekommen hat. Blickt er zurück, dann hat er dadurch vor allem gelernt, sein Leben mehr zu genießen.

Redaktion: Katrin Kimpel

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de