Wegen Lärmbeschwerden Frankfurter Gastronomen fürchten "Sperrstunde" für Außenbereiche
Für Restaurants ist die Außengastronomie im Sommer unverzichtbar. Wegen Anwohnerbeschwerden über Gaststättenlärm fürchten Gastronomen in Frankfurt nun, früher schließen zu müssen. Mit einer Kampagne wollen sie auf ihre Situation aufmerksam machen.
"Im Moment habe ich jeden Abend ein blödes Gefühl im Bauch", sagt Sascha Euler. Seit mittlerweile elf Jahren betreibt er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Christian Daam das "Naiv" in der Frankfurter Innenstadt, zu dem unter anderem eine Bar, ein Tasting Room und eine Pizzeria gehören.
Jetzt fürchtet Euler aber, "dass uns jemand den Hahn abdreht". Denn obwohl er die Fahrgasse für "die coolste Straße der Stadt" hält, ist die Stimmung dort zuletzt alles andere als gut: Einige Anwohnerinnen und Anwohner fühlen sich gestört durch den Lärm, der besonders im Sommer von den Außenflächen der umliegenden Gastronomie ausgeht.
Lärmbeschwerden eingereicht
In der Fahrgasse und dem angrenzenden Fischerplätzchen in unmittelbarer Nähe zum Main haben sich verschiedene Cafés, Bars und Lokale angesiedelt. Alles "Individualgastronomen mit Herzblut", wie Euler sagt. Dem Ordnungsamt liegen offizielle Lärmbeschwerden gegen den Platz vor, wie die Behörde dem hr bestätigt.
Im vergangenen Oktober hat der zuständige Ortsbeirat I deshalb den Magistrat aufgefordert, für eine Einhaltung der Lärmgrenzwerte zu sorgen und begrenzte Öffnungszeiten der Außenbereiche bis 22 Uhr ins Spiel gebracht.
Die Stadt habe wiederum habe einen Runden Tisch zwischen unter anderen den Beschwerdeführern und den Gastronomen angeregt, sagt Euler. Dieser sei bisher aber nicht zustandegekommen.
Grenzwerte für Tag und Nacht
Geräusche durch Gäste, Abluftanlagen oder Lieferverkehr – Gaststättenlärm gilt rechtlich als Gewerbelärm. Die rechtlichen Bestimmungen finden sich im Bundes-Immissionsschutzgesetz, in der "Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm" (TA Lärm).
Sie sieht Grenzwerte für den Tag (6 bis 22 Uhr) und die Nacht (22 bis 6 Uhr) vor. Die Nachtgrenzwerte sind zum Anwohnerschutz deutlich niedriger als die Tagwerte, außerdem wird nach Wohn-, Gewerbe- oder Mischgebiet unterschieden. Laut Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt erlaubt die Regelung den Betreibern einer Außengastronomie aber auch nach 22 Uhr zu öffnen – wenn die anwohnenden Menschen dadurch nicht gestört werden.
Gastronom: Außenflächen kein Extra-Geschäft
Wenn die Öffnungszeiten tatsächlich auf 22 Uhr begrenzt würden, sei das "eine Katastrophe", sagt Euler, der normalerweise bis 1 Uhr nachts öffnet. Es gehe nicht darum, mit der Außengastronomie einen "Reibach" zu machen.
"Das ist eine falsche Wahrnehmung", betont der Gastronom. "Wir haben im Sommer nicht mehr Gäste als im Winter, sie sitzen nur einfach alle draußen." Viele der Gäste kämen zudem erst um 20 Uhr, direkt nach der Arbeit. Die Außenflächen zeitlich zu begrenzen, könne Betriebe in eine Existenzkrise treiben – und die Lebensqualität ihrer Gäste einschränken.
Aus Eulers Sicht besonders ärgerlich: Durch die Umgestaltung des Fischerplätzchens vor einigen Jahren habe die Stadt die Aufenthaltsqualität erhöht. "Und damit auch uns angelockt."
Initiative will Kompromiss finden
Auch anderswo in der Stadt gibt es Lärmschutzbeschwerden gegen Betriebe. Die Initiative Gastronomie Frankfurt (IGF) hat deshalb eine Kampagne gestartet und stadtbekannte Unterstützerinnen und Unterstützer an Bord geholt, darunter Messe-Geschäftsführer Detlef Braun, Fotograf Helmut Fricke und den ehemaligen Betreiber des legendären Clubs Dorian Gray, Gerd Schüler. Auf der Kampagnen-Website sind auch die CDU-Landtagsabgeordnete Tanja Jost sowie der FDP-Stadtverordnete Nathaniel Ritter als Unterstützer genannt.
Die Initiative spricht sich gegen eine "Sperrstunde" und für eine unbegrenzte Außengastronomie aus. Nur so könne die Stadt ihrem Ruf als Metropole weiter gerecht werden, lautet der Tenor.
Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Hessen unterstützt die Forderung der IGF, hält "Sperrstunde" aber für den falschen Begriff. Das sei rechtlich nicht korrekt, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Kerstin Junghans. Die Sperrstunde sei vor mehr als 20 Jahren abgeschafft worden, seitdem gebe es nur noch die sogenannte Putzstunde zwischen 5 und 6 Uhr morgens. Mittelpunkt der aktuellen Diskussion sei eine zeitliche Beschränkung der Außengastronomie bis 22 Uhr. Diese könne Betrieben vom Ordnungsamt auferlegt werden, wenn die Lärmgrenze nachweislich überschritten sei.
hessenschau.de hat sich dafür entschieden, den Begriff "Sperrstunde" dennoch zu verwenden, weil er eher geläufig ist. Auch die IGF nutzt den Begriff, ebenso die Stadt Frankfurt.
"Sperrstunde": Der richtige Begriff?
Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Hessen unterstützt die Forderung der IGF, hält "Sperrstunde" aber für den falschen Begriff. Das sei rechtlich nicht korrekt, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Kerstin Junghans. Die Sperrstunde sei vor mehr als 20 Jahren abgeschafft worden, seitdem gebe es nur noch die sogenannte Putzstunde zwischen 5 und 6 Uhr morgens. Mittelpunkt der aktuellen Diskussion sei eine zeitliche Beschränkung der Außengastronomie bis 22 Uhr. Diese könne Betrieben vom Ordnungsamt auferlegt werden, wenn die Lärmgrenze nachweislich überschritten sei.
hessenschau.de hat sich dafür entschieden, den Begriff "Sperrstunde" dennoch zu verwenden, weil er eher geläufig ist. Auch die IGF nutzt den Begriff, ebenso die Stadt Frankfurt.
"Wir wollen uns damit Gehör verschaffen", sagt Euler, der die Gastro-Vereinigung vor fast zehn Jahren mitbegründet hat. Das Ziel: mit Stadtgesellschaft und Politik in den Dialog kommen und einen Kompromiss finden.
Sonderschutzzonen für Gastro, Kultur und Sport
Die IGF schlägt etwa vor, unter der Woche eine letzte Runde bis 23 Uhr und am Wochenende bis Mitternacht zu ermöglichen. Das sei zwar immer noch ein Einschnitt im Vergleich zu den Öffnungszeiten im Winter, aber eher zu verschmerzen, sagt Euler.
Außerdem sollen sogenannte Sonderschutzzonen in der Innenstadt mit verlängerten Öffnungszeiten nicht nur für die Gastronomie, sondern auch Sport und Kultur gelten.
Stadt: Keine "Sperrstunde" geplant
Auf hr-Nachfrage gibt die Stadt an, derzeit keine "Sperrstunde" zum Lärmschutz einführen zu wollen. Für die Zeit der Fußball-EM in diesem Sommer sei zudem geplant, Public Viewing in Gastronomiegärten zuzulassen. Der Bund habe eine entsprechende Verordnung auf den Weg gebracht, die die Immissionsrichtwerte für die Vorrunde bis 24 Uhr und der Finalrunde bis 1 Uhr verlängert.
Alternativangebote sollen Plätze entlasten
Die Menschen lösten sich allerdings nicht mit der Schließung eines Lokals in Luft auf, sagt Euler. Zwar wolle man mit Planen verhindern, dass sich nach der Öffnungszeit Gäste auf die zum "Naiv" gehörenden Möbel setzten. "Aber dann sitzen sie auf dem Mäuerchen oder auf den Treppenstufen am Platz", meint der Gastronom. "Der Kiosk hier darf ja weiterhin nach draußen verkaufen."
Dadurch könnten weitere Zusammenkünfte wie am Friedberger Platz oder am Luisenplatz entstehen, die den Anwohnerinnen und Anwohnern dort schon länger ein Dorn im Auge sind, fürchtet Euler. "Wenn das ein Problem ist, schafft man doch nicht an anderer Stelle eine Erweiterung."
Zuletzt hatte die Stadt mit mäßigem Erfolg versucht, die Menschen vom "Friedi" mit einer Art offizieller Gegenveranstaltung an die Hauptwache zu locken. In diesem Jahr seien Alternativangebote an der Konstablerwache sowie auf dem Giséle-Freund-Platz geplant, teilte das Ordnungsamt auf Nachfrage mit.
IHK sieht geändertes Ausgehverhalten
Laut IHK Frankfurt hat sich das Ausgehverhalten in den Sommermonaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend nach draußen verlagert. Das müsse berücksichtigt werden, zum Beispiel durch eine "Liberalisierung der derzeit bestehenden Regelung", so Präsident Ulrich Caspar.
Betriebe, denen wegen des Lärmschutzes eine Außengastronomie nach 22 Uhr untersagt werde, müssten sich "im Sinne des fairen Wettbewerbs" zudem rehabilitieren können, fordert Caspar. Er regt dazu eine Neuüberprüfung nach beispielsweise drei bis fünf Jahren an.
"Könnten Vorzeigestadt werden"
Das fordert auch der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Solange die TA Lärm und damit die Immissionsgrenzen nicht angepasst würden, könne die Stadt der Gastronomie zumindest dadurch entgegenkommen, dass ausgesprochene Auflagen nach einer gewissen Zeit wieder verwirkt würden.
Sascha Euler hofft derweil, durch die IGF-Kampagne zu einem Kompromiss mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zu kommen. "Dann könnten wir zu einer Vorzeigestadt in Deutschland werden."
Sendung: hr3, 08.05.2024, 7.30 Uhr
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