"Eine Katastrophe für unsere Zukunft" Akw-Bauschutt in Büttelborn: Anwohner empört über Gerichtsurteil

Die Menschen in Büttelborn kämpften lange gegen die Einlagerung von Bauschutt aus dem AKW Biblis – doch der Verwaltungsgerichtshof in Kassel entschied anders. Die Enttäuschung ist groß, die Gemeinde sieht ihre Entwicklungsmöglichkeiten in Gefahr.

Strommast und Kühltürme des Atomkraftwerks in Biblis.
Das Atomkraftwerk in Biblis wird seit fünf Jahren rückgebaut. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

In Büttelborn (Groß-Gerau) sind Enttäuschung und Sorge groß. Nach einem Gerichtsentscheid soll auf der dortigen Mülldeponie in absehbarer Zeit freigemessener Bauschutt des im Rückbau befindlichen Atomkraftwerks Biblis (Bergstraße) eingelagert werden. Bis zuletzt hatten sich die Büttelborner dagegen gewehrt.

"Wir haben den Kampf verloren"

"Kurzfristig betrachtet haben wir den Kampf verloren", sagt Armin Hanus von der Bürgerinitiative Büttelborn21. Der Weg sei nun frei für den Kraftwerksbetreiber RWE, die Abfälle nach Büttelborn zu bringen. Daran ändern auch zwei noch laufende Klagen beim Verwaltungsgericht Darmstadt erst einmal nichts.

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VGH bestätigt: Büttelborn muss Biblis-Bauschutt annehmen

hs 10.02.2025
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Vergangenen Freitag hatte der Verwaltungsgerichtshof in Kassel (VGH) den Weg frei gemacht für die Einlagerung von 3.200 Tonnen freigemessenem Bauschutt auf der Büttelborner Mülldeponie. Eine Beschwerde gegen den vom VG angeordneten Sofortvollzug wurde zurückgewiesen – aus formal-juristischen Gründen.

"Menschen spielen überhaupt keine Rolle"

Hanus ärgert das. "In dem Urteil spielen Menschen überhaupt keine Rolle", sagt er. Dann hätten sie ja auch einen Roboter dorthin setzen können." Und die Kreisbeigeordnete Ute Kroiß fasst es so zusammen: "Es ist eine Katastrophe für unsere Zukunft, für unsere Landwirtschaft, für unsere ganze Gemeinde."

Darum geht es: Nach dem Atomausstieg Deutschlands wird das Kernkraftwerk in Biblis seit 2017 zurückgebaut. Dabei fällt auch Bauschutt an, der schwach radioaktiv strahlt. Er gilt als "freigemessen", wenn die von ihm ausgehende Strahlenbelastung den Wert von 10 Mikrosievert pro Jahr und Einzelperson nicht übersteigt.

Zweifel an Unbedenklichkeit

Angesichts einer laut Bundesumweltministerium jährlichen Belastung von 2.400 Mikrosievert pro Person und Jahr durch Umwelteinflüsse erscheint dieser Wert zunächst vernachlässigbar. Dennoch darf dieser Schutt nicht in den Verkehr zurückgebracht werden - etwa im Straßenbau - und muss auf einer Deponie sicher entsorgt werden.

An die Unbedenklichkeit des Materials will man in Büttelborn dennoch nicht so recht glauben. Laut Hanus handelt es sich bei dem Grenzwert um einen Durchschnittwert. Es könne in dem Bauschutt also Ausreißer geben, die stärker strahlen - und das sei ein Problem.

Landwirte befürchten Imageverlust

"Wir haben eine Deponie, die umgeben ist von Naturschutzgebieten und Sonderkulturen der Landwirtschaft", sagt Hanus. Neben möglichen Risiken für die Bevölkerung und die Natur drohe somit auch ein Imageverlust. Landwirte könnten Probleme bekommen, ihre Produkte abzusetzen, wenn bekannt werde, dass diese neben einer Deponie mit atomaren Abfällen gewachsen sind.

Büttelborn sieht sich ohnehin schon stark belastet: "Fluglärm, Autobahn, Bahnlärm." Und jetzt noch der Atom-Schutt. "Ich kann schon verstehen, dass die Leute hier sauer sind", sagt Hanus. Die allgemeine Stimmungslage sei: irgendwann reicht es.

Geplanter Erlebnispark noch machbar?

Der Bürgermeister von Büttelborn, Marcus Merkel (SPD), zählt einen weiteren Nachteil auf: Wenn die Deponie 2030 geschlossen wird, wollte man auf dem Gelände eigentlich einen Erlebnispark mit Sommerrodelbahn errichten. "Ich denke, dass jetzt wenige Eltern bereit sein werden, ihre Kinder da runterfahren zu lassen."

Hinzu komme, dass der Müll auf der Deponie im Sommer bereits öfters in Flammen aufgegangen ist. "Das ist in den letzten Jahren mehrfach passiert, dass der Hausmüll gebrannt hat." Und die Feuerwehr habe angekündigt, dort nicht mehr löschen zu wollen, wenn erst der Bauschutt aus dem Atomkraftwerk dort liegt.

"Entscheidung vom Schreibtisch"

Stefan Metzger vom Zweckverband Riedwerke, dem auch der Deponiebetreiber Savag angehört, kritisiert, dass die Gerichtsentscheide "vom Schreibtisch aus" gefällt worden seien. Büttelborn sei eine sehr kleine Deponie mit begrenzten Kapazitäten.

"Wir haben immer wieder gesagt, dass Büttelborn denkbar ungeeignet ist", erklärt Metzger. "Es wäre unser Wunsch gewesen, dass sich auch mal ein Richter vor Ort ein Bild von der Situation macht."

ZAKB: "Von der Kernenergie haben alle profitiert"

Freude über das Urteil herrscht hingegen beim Zweckverband Abfallwirtschaft des Kreises Bergstraße (ZAKB). Damit könnten nun endlich die ersten Tonnen Bauschutt aus Biblis auf den Weg gebracht werden, kündigt ZAKB-Vorstandschef Matthias Schimpf an. Und das findet er auch richtig so.

"Von der Kernenergie haben alle profitiert", sagt Schimpf. Das Kraftwerk habe der gesamten Region jahrelang kostengünstigen Strom geliefert. Nun müssten auch alle ein Stück weit die Last getragen. "Die Entscheidung ist gefallen, und wir sind gehalten, sie umzusetzen."

Entgeltfrage bleibt strittig

Allein, wann genau die ersten Lkw mit Biblis-Schutt in Richtung Büttelborn rollen werden, ist unklar. "In Vorbereitung hat RWE 40 bis 60 Tonnen", erläutert Schimpf. Nach der Freimessung müsse nun die Freigabe erfolgen und dazu müsse erst der Entsorgungsweg gesichert sein.

Ein großer Knackpunkt ist die Frage nach dem Entgelt für die Entsorgung, bei der ZAKB und Betreiber Savag in ihren Vorstellungen weit auseinanderliegen. Laut Metzger hat ein Gutachten einen vierstelligen Preis pro Tonne für diese spezielle Art von Abfall errechnet. Das decke sich auch mit einer eigenen Marktrecherche.

Muss Regierungsspräsidium Preis festlegen?

Der ZAKB dagegen gehe von einer zweistelligen Summe pro Tonne aus, ähnlich wie beim Hausmüll. "Ich denke nicht, dass wir uns da bilateral einigen werden", sagt Metzger. Und das hieße, dass das Regierungspräsidium einen angemessenen Preis festlegen muss.

All das dürfte Zeit in Anspruch nehmen, und so wird es wohl noch eine Weile dauern, bis der Biblis-Bauschutt tatsächlich in Büttelborn ankommt. Zudem hoffen Bürger wie Armin Hanus noch immer, dass im Hauptverfahren zugunsten der Büttelborner entschieden wird und der Biblis-Abfall die Stadt wieder verlassen wird.

Redaktion: Uwe Gerritz

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de