Steuerbetrug mit illegalen Aktiengeschäften "Möglich sind die Cum-Ex-Deals definitiv immer noch"

Jahre nach der Aufdeckung der Cum-Ex-Deals läuft der Steuerbetrug mit Aktiengeschäften weiter - dieser Meinung ist die Geschäftsführerin vom Verein Bürgerbewegung Finanzwende, Anne Brorhilker. Die frühere Oberstaatsanwältin glaubt: Banken nutzen heute Schlupflöcher im Ausland.

Cum-Ex-Geschäfte an der Börse, Symbolfoto
(Symbolbild) Bild © Imago Images

Die ehemalige Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker ist fest davon überzeugt, dass Steuerbetrug mit illegalen Aktiengeschäften noch immer verbreitet ist in der Finanzwelt.

"Cum-Ex läuft weiter - auch lange nach der Gesetzesänderung von 2012", sagte die frühere Oberstaatsanwältin und heutige Geschäftsführerin der Berliner Bürgerbewegung Finanzwende.

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Auch Jahre nach der Enthüllung des Betrugssystems läuft die Strafverfolgung. Erst Mitte Dezember sind zwei weitere Männer aus Frankfurt und Neu-Isenburg (Offenbach) angeklagt worden, weil sie sich an den betrügerischen Cum-Ex-Geschäften beteiligt haben sollen.

Einer der Wegbereiter des milliardenschweren Betrugssystems, Hanno Berger, kommt aus Schlüchtern (Main-Kinzig): Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft, nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Wiesbaden bestätigte.

Banken erhielten nicht geleistete Steuer-Erstattungen

Cum-Ex-Deals, die ihre Hochphase zwischen 2006 und 2011 hatten, gelten als größter Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik. Dabei inszenierten Banken und andere Investoren ein Verwirrspiel mit Aktien und bekamen von Finanzämtern Kapitalertragsteuer erstattet, die sie gar nicht gezahlt hatten.

Der Staat büßte geschätzt mindestens zehn Milliarden Euro ein, die Politik reagierte mit einer 2012 greifenden Gesetzänderung. Doch Brorhilker zufolge ging der Steuerraub danach weiter.

Täter müssten Deals heute nur anders abwickeln

Als Beispiel nennt sie eine von mutmaßlichen Kriminellen aufgesetzte Stiftung, die 2016 für Cum-Ex-Deals genutzt worden sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass Cum-Ex-Geschäfte und artverwandte Cum-Cum-Deals noch heute durchgeführt werden, ist nach ihrer Einschätzung hoch. 

Anne Brorhilker ist im Porträt zu sehen, sie trägt eine Brille und einen roten Cardigan.
Die frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist inzwischen Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende. Bild © picture alliance/dpa | Carsten Koall

"Es heißt immer, die Geschäfte seien technisch inzwischen unmöglich, weil die Regelungen geändert wurden", sagte Brorhilker. Aber die Täter hätten Cum-Ex-Deals europaweit durchgeführt und damit auch in Ländern mit anderen Regelungen und Systemen als in Deutschland.

"Die Täter müssen die Deals vielleicht etwas anders abwickeln, möglich sind sie aber definitiv immer noch", betonte die frühere Oberstaatsanwältin.

Strafverfolgung schwer - Daten im Ausland

Nach wie vor sei das Risiko für Banken, bei kriminellen Machenschaften entdeckt zu werden, sehr gering, sagte Brorhilker, die von 2013 bis Frühjahr 2024 bei der Kölner Staatsanwaltschaft für Cum-Ex-Fälle zuständig war. "Die Banken wissen: Keiner kann es uns beweisen. Wir haben ein Kontrolldefizit, egal, welche Regeln wir aufstellen. Und die kriminelle Energie der Branche versiegt nicht."

Ein großes Problem bei der Cum-Ex-Aufklärung sei, dass Banken Daten im Ausland horteten, sagte Brorhilker. "Banken und Steuerberater verschieben große Datenmengen in nahezu rechtsfreie Räume in anderen europäischen Staaten, doch die Strafverfolgung endet faktisch an der deutschen Grenze."

Sie habe bei Cum-Ex-Ermittlungen erlebt, dass Banken falsche Angaben gegenüber Behörden machten, dies aber nur sehr schwer überprüft werden könne. Die 51-Jährige fordert, dass Banken ihre Daten in Deutschland lagern müssen.

Erst kleiner Teil des Geldes zurückgeholt

Nach wie vor verlaufe die Aufklärung illegaler Aktiendeals schleppend, kritisierte Brorhilker. Nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums (BMF) von Ende 2023 hat sich der Staat erst 3,1 Milliarden Euro der entgangenen Cum-Ex-Gelder rechtssicher zurückgeholt. 380 Fälle mit einem Volumen von 3,8 Milliarden Euro sind in Bearbeitung.

Redaktion: Sophia Averesch

Quelle: hessenschau.de, Alexander Sturm, Wolf von Dewitz (dpa/lhe)