Keine Besetzung, keine Einwendungen Drei Hektar Wald in Frankfurt gerodet - und keiner protestiert
Im Frankfurter Westen sind rund drei Hektar Wald gerodet worden, Proteste dagegen blieben aus. Derweil besetzen Aktivisten seit Monaten ein Waldstück in Langen, obwohl dort aktuell keine Rodungen anstehen. Wieso?
Mit rund acht Grad ist es noch verhältnismäßig mild an diesem Nachmittag Mitte Dezember. Der Holzofen, auf dem ein Eintopf köchelt, strahlt etwas zusätzliche Wärme unter den Baumhäusern ab.
Fünf Aktivisten sind an diesem Tag vor Ort im Wald nordwestlich von Langen (Offenbach). Sie bessern die mit Transparenten behängten Baumhäuser aus, räumen Holzpaletten herum, kümmern sich um den Gemüseeintopf. Einige von ihnen hätten auch die Nacht hier verbracht, berichten sie.
"So hat es eine Besetzung an sich", sagt einer der Aktivisten, der sich bereit erklärt, für die Gruppe zu sprechen, aber anonym bleiben will. "Aktivismus ist eben kein Kinderspiel, es geht ja um etwas".
Seit knapp fünf Monaten besetzen sie das Waldstück im Kreis Offenbach, um gegen Rodungen für den Kiesabbau der dort ansässigen Firma Sehring zu protestieren - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Denn tatsächlich sind laut dem zuständigen Regierungspräsidium (RP) Darmstadt bis August 2025 keine Rodungsarbeiten der Firma zugelassen.
Drei Hektar Bannwald gerodet
Rund 15 Kilometer Luftlinie weiter nördlich, ebenfalls ohne besondere öffentliche Aufmerksamkeit, ist vor wenigen Tagen ein drei Hektar großes Loch im Schwanheimer Wald entstanden. Genau wie in Langen handelte es sich hier im Südwesten von Frankfurt, direkt an der Grenze zu Kelsterbach (Groß-Gerau), um Bannwald, die höchste Schutzkategorie für Wälder in Hessen.
Die Bäume mussten für eines der größten Schienenprojekte im Rhein-Main-Gebiet weichen, den Ausbau der Regionaltangente West (RTW). Proteste oder rechtliche Beschwerden durch Umweltschutzorganisationen gab es dagegen nicht.
Auswirkungen auf den Wald müssten immer abgewogen werden, sagt RTW-Geschäftsführer Horst Amann auf Anfrage. Doch es sei entschieden worden, dass der Eingriff in den Bannwald legitim sei, wenn die RTW andernorts für Aufforstung sorge. "Das setzen wir auch um", sagt er.
Fläche vergleichbar mit Fechenheimer Wald
Dabei ist die Fläche, um die es im Schwanheimer Wald geht, etwa genauso groß wie die, auf der vor knapp zwei Jahren im Fechenheimer Wald für den Ausbau der A66 gerodet wurde - damals unter großem Protest und mit einem tagelangen Polizeieinsatz, bei dem die Baumhäuser der Aktivisten geräumt wurden.
In beiden Fällen wurde der unter Schutz stehende Heldbockkäfer gefunden - im Fechenheimer Wald sorgte dieser Fund immer wieder für Einwendungen, neue Untersuchungen und Verzögerungen. Im Schwanheimer Wald dagegen wurden die besiedelten Bäume gefällt, Einwendungen dagegen gab es laut dem RP Darmstadt nicht.
Aktivist: "Es gibt bei Wäldern kein Ranking"
Er habe von den Rodungen nicht gewusst, sagt der Aktivist aus dem Langener Wald auf Nachfrage. "Das tut natürlich im Herzen weh", sagt er, als er die Bilder aus Schwanheim sieht.
Letztlich sei ihm und seiner Gruppe aber bewusst: "Wir können nicht bei jeder Rodung dabei sein. Das geht einfach nicht." Diese eine Besetzung müsse "repräsentativ" gesehen werden, meint er. Schließlich wolle man allgemein für das Thema Wald- und Umweltschutz sensibilisieren.
Nur, warum dann ausgerechnet hier in Langen, wo gerade in absehbarer Zeit keine Rodungen anstehen? "Es gibt bei Wäldern kein Ranking", ist seine Antwort darauf. Jeder Aktivist habe seine eigenen Gründe, warum er sich an einem ganz bestimmten Ort für sein Anliegen einsetze.
Entscheidend, wofür gerodet wird?
Der Politikwissenschaftler Daniel Saldivia Gonzatti vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) setzt sich wissenschaftlich mit Protestbewegungen auseinander. "Aktivisten müssen sich überlegen, wo sie ihre Ressourcen einsetzen, wo sie stärker und einfacher mobilisieren können - und vielleicht sogar erfolgreicher", sagt er.
Oftmals sei es "logischer", vorhandene Kapazitäten gegen Waldrodungen da einzusetzen, wo es um Projekte wie Autobahnausbau oder Kiesabbau gehe, statt gegen Rodungen zu mobilisieren, durch die etwa der klimafreundlichere Schienenausbau ermöglicht werden solle, erklärt Saldivia Gonzatti.
BUND will Schienenausbau nicht im Wege stehen
Etwa so begründet auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hessen auf Anfrage, warum man sich im Fall Schwanheimer Wald zurückgehalten habe. Sowohl beim Fechenheimer Wald als auch beim Langener Wald hatte die Organisation lange mit rechtlichen Mitteln um den Erhalt der Bäume gekämpft.
Wenn man gegen die Rodungen für den Autobahnausbau sei, dann dürfe man nicht auch die umweltfreundlichere Alternative - den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs - ausbremsen, heißt es.
Schaden für Glaubwürdigkeit?
Doch was macht das mit der Glaubwürdigkeit von Umweltschützern, wenn sie etwa in einem Fall den Heldbockkäfer retten wollen, im anderen Fall aber untätig bleiben?
"Bei Protestbewegungen und -Akteuren sind die gesellschaftlichen Glaubwürdigkeitserwartungen normalerweise flexibler als bei politischen Akteuren", sagt Daniel Saldivia Gonzatti. Schließlich engagierten sich diese Gruppen meist in der Freizeit für ihr Anliegen, bei Waldbesetzungen teils unter Einsatz ihres Körpers.
Besetzer in Langen wollen weiter ausharren
Die Besetzer in Langen wollen das nach eigenen Angaben noch so lange wie möglich tun. Sie müssen davon ausgehen, dass ihr Protestcamp irgendwann geräumt wird, so wie es auch im Fechenheimer Wald passiert ist.
Schließlich ist die Sache auf rechtlicher Ebene geklärt: Sämtliche Klageversuche des BUND sind gescheitert. Die Firma Sehring hat eine grundsätzliche Genehmigung zur Rodung auf über 30 Hektar, wenn auch in den kommenden Monaten keine Zulassung für einen konkreten Abschnitt.
"Geht auch darum, anarchistische Utopie zu leben"
Bei der Besetzung gehe es nicht nur um den öffentlichkeitswirksamen Aufbau der Baumhäuser und deren Räumung am Ende, sagt der Aktivist aus dem Camp. "Es geht ja auch um die Zeit dazwischen." Diese Zeit nutze man, um eine "anarchistische Utopie zu leben, eine alternative Gesellschaftsform, ohne eine hierarchische Struktur".
Das funktioniere nur, solange es für das Anliegen Rückhalt aus der lokalen Bevölkerung gebe. Noch sei das der Fall: Das Gemüse für den Eintopf hätten am Morgen einige Anwohner vorbeigebracht.