Bilanz nach einem Monat A49-Freigabe Für die einen mehr Lebensqualität, für andere existenzbedrohend
Seit einem Monat heißt es freie Fahrt auf dem A49-Teilstück zwischen Schwalmstadt und Homberg (Ohm). Eine erste Bilanz von Anwohnern, Geschäftsleuten und Politik fällt unterschiedlich aus.
Kein Lärm mehr, eine entspannte Verkehrssituation auf den Hauptstraßen und eine Verbesserung der Lebensqualität - so fasst es Heidi Mattheis zusammen. Sie wohnt in Josbach, einem Ortsteil von Rauschenberg (Marburg-Biedenkopf), und sagt: "Wir leben völlig auf!"
Das kann Carina Mayr, Besitzerin der Fleischerei Kügler von sich nicht behaupten. Seit das Teilstück der A49 geöffnet ist, rauschen die Lkw und ihre hungrigen Fahrerinnen und Fahrer an ihrem Imbiss an einer Tankstelle vorbei. Schlaflose Nächte sind bei der 40-Jährigen derzeit "Standard".
Existenzängste bei Imbissbetrieb
Schon die Vollsperrung der B3 hat Mayr nach eigenen Angaben bereits 35.000 Euro gekostet. Seit die A49 offen ist, bedeutet das Bistro für sie ein Verlustgeschäft: Keiner steht auf dem Parkplatz, auch der Gastraum ist leer. Auf dem Grill brutzeln drei einsame Bratwürste.
Für die Geschäftsfrau bedeutet das: Viel weniger Einnahmen bei bleibenden Kosten für Lohn und Pacht. Sie fürchte, dass sie die beiden Angestellten des Familienbetriebs so langfristig nicht halten könne, berichtet sie. 90 Prozent ihres Geschäfts hat sie hier bisher mit Lkw-Fahrern gemacht.
Was lange währt...?
Jahrelang haben Gegner und Befürworter um die A49 gestritten und protestiert: Vor allem die Trassenführung des 61,8 Kilometer langen Teilstücks zwischen Neuental (Schwalm-Eder) und dem Ohmtal-Dreieck (Vogelsberg) an der A5 wurde heiß diskutiert.
Am 21. März wurden die letzten 31 Kilometer ab Schwalmstadt fertiggestellt und für den Verkehr freigegeben. Der Abschnitt führt durch den Dannenröder Forst. Hier hatten 2020 heftige Proteste gegen die Waldrodungen für wochenlange Polizeieinsätze geführt.
Schon nach der Freigabe des Teilstücks hatten Betroffene sowohl Zuspruch als auch Kritik und Ängste formuliert. Diese beziehen sich vor allem auf Aspekte wie Umwelt- und Trinkwasserschutz.
Weniger Lkw-Verkehr: Drei Minuten bis zur Autobahn
Profiteur des neuen Autobahnabschnitts sind neben den Anwohnern auch Firmen wie die Eisengießerei Fritz Winter aus Stadtallendorf. Nur 1,5 Kilometer trennen das Werksgelände von der neuen Autobahnauffahrt. Für die Fahrer bedeute das eine Zeitersparnis und weniger Kurverei durch enge Ortschaften, sagt Thomas von Reth, Leiter der Entwicklung.
Bis zu 180 Lkw kommen hier pro Tag an und fahren wieder weg. Vor allem für Anwohner in Richtung Neustadt und Homberg (Ohm) bedeute der neue Autobahnabschnitt eine deutliche Entlastung, so von Reth.
Dazu hofft das Unternehmen auf neue Fachkräfte. Durch die direkte Autobahnanbindung sei man als Arbeitgeber für Menschen aus dem Raum Frankfurt oder Kassel deutlich attraktiver geworden.
40 Minuten Lebenszeit mehr
Mitarbeiter Jakob Glück kann das bestätigen: Der Projektleiter pendelt täglich von Kassel nach Stadtallendorf. Bis zur Fertigstellung des Teilstücks dauerte Hin- und Rückfahrt zur Arbeit jeweils etwa eine Stunde.
Jetzt ist der 38-Jährige deutlich schneller unterwegs - pro Fahrt seien es 20 Minuten und damit "40 Minuten, die ich weniger im Auto sitze".
Eine Region zwischen Entlastung und Abwarten
Etwa 20 Kilometer weiter südlich liegt Homberg (Ohm). Hier wurde noch im Dezember vergangenen Jahres gegen den Ausbau der Autobahn protestiert. Jetzt liegt der Ort direkt neben der A49. Prognosen zufolge sollen hier bis zu dreimal mehr Autos und Lastwagen fahren als bisher.
Bürgermeisterin Simke Ried (parteilos) beobachtet bis jetzt eine spürbare Entlastung der Orte vom bisherigen Durchgangsverkehr, insbesondere beim Lkw-Verkehr zur A5. Gleichzeitig sei in den direkt an der Autobahn gelegenen Bereichen noch unklar, wie sich Lärm und Verkehrsaufkommen langfristig entwickeln werden.
Erste belastbare Erkenntnisse erwartet sie frühestens in einem Jahr, da sich die neuen Verkehrsströme zunächst einpendeln müssten. Die Stadt sammelt in dieser Zeit Daten, um mit dem Land Hessen Lärmschutzmaßnahmen wie beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen abzustimmen.
Wirtschaftliche Impulse erhofft
Neben Herausforderungen sieht man im Homberger Rathaus auch Chancen: Die bessere Anbindung könnte wirtschaftliche Impulse geben, ein neues Gewerbegebiet sei bereits in Planung, ebenso wie eine Stärkung des Orts als Wohn- und Wanderstandort, so Ried. An der Sanierung von Ortsdurchfahrten, die teils stark beansprucht wurden, wird in den nächsten Jahren gearbeitet.
Gearbeitet werden soll auch im Juli wieder an der B3 bei Gilserberg. Dann wird sie erneut voll gesperrt. Ob ihr Imbiss danach noch besteht - diese Frage stellt sich Mayr schon heute.