Staat ist wenig vorbildlich Kaum Energie: Mühsamer Solarausbau auf Hessens Dächern
Strom aus Sonne soll Hessen und die anderen Bundesländer bei der Energiewende voranbringen. Doch es hakt schon bei Solaranlagen auf den öffentlichen Gebäuden. Selbst Neubauten von Universitäten zum Beispiel sind oben ohne. Eine Solardach-Pflicht und Zuschüsse sollen das ändern.
Lass die Sonne rein - für die Energiewende braucht es die Solarenergie auf möglichst allen Dächern. Doch der Blick von oben auf öffentliche Gebäude wie Universitäten, Rathäuser, Schulen und Ämter sieht in Hessen oftmals düster aus: Kaum eine Fläche glänzt vor Photovoltaik-Modulen. Dabei bieten die riesigen Flächen beste Voraussetzungen, um Sonnenenergie wirtschaftlich zu nutzen.
Selbst bei Neubauten geht der Staat nicht gerade mit gutem Beispiel voran: So hat zum Beispiel das anderthalb Jahre alte Gebäude der Sprach- und Kulturwissenschaften der Goethe-Universität in Frankfurt keine Solaranlage auf dem Dach.
Das liegt allerdings nicht an der Hochschule selbst. Sie wollte eine Photovoltaik-Anlage auf ihrem Neubau haben. "Bis vor einigen Jahren scheiterte die von der Universität Frankfurt dringend gewünschte Errichtung von PV-Anlagen auf den Dächern von Neubauten sehr häufig an Bauvorschriften", schrieb sie auf Anfrage des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus. Deshalb hätten zu ihrem großen Bedauern auch in jüngster Zeit errichtete Bauten keine Solaranlagen auf den Dächern. Dabei geht es zum Beispiel um Brandschutzauflagen.
Es schlummert viel Solarpotenzial auf den Dächern
Dabei weiß das Land Hessen genau, wieviel Solarpotenzial auf den Dächern schlummert. Laut einer Studie, die im Auftrag des Landes im Jahr 2022 erstellt wurde, beläuft sich das technische Solarpotenzial aller Dachflächen in Hessen auf rund 20.000 Gigawattstunden (GWh) im Jahr.
"Das heißt, wenn alle potenziell geeigneten Dachflächen für die Solarstromerzeugung genutzt würden, könnten 20.000 GWh Strom pro Jahr erzeugt werden", teilte das Wirtschaftsministerium auf hr-Anfrage mit. Ende 2023 waren laut Ministerium schätzungsweise 12 Prozent dieses Potenzials erschlossen.
Es könnten also zehntausende Haushalte versorgt werden, der Stromverbrauch in einem 2-Personen-Haushalt liegt durchschnittlich bei 2.000 bis 3.500 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr.
Rund 87.000 öffentliche Gebäude in Hessen
Die rund 87.000 öffentlichen Gebäude in Hessen haben laut der Studie insgesamt eine Dachflächengröße von 3.414 Hektar. Davon seien etwa 796 Hektar für Photovoltaik geeignet. "Auf diesen Dachflächen könnten pro Jahr etwa 1.466 GWh Solarstrom erzeugt werden", erklärte ein Sprecherin. Dies entspreche etwa 7,3 Prozent des gesamten Solarstrompotenzials aller hessischer Dachflächen.
Tierklinik-Neubau ohne Solardach
Auch die erst im vergangenen Jahr eröffnete Kleintierklinik der Justus-Liebig-Universität Gießen nutzt ihr Dach nicht, um Energie zu gewinnen. Vor 15 Jahren, als der Neubau geplant wurde, fand man das noch nicht so wichtig, wie Susanne Krause, Kanzlerin der Uni Gießen, erklärt. Das sei "nice to have" gewesen.
"Bei öffentlichen Bauten geht es auch immer ums Geld", so Krause. Und da seien die Photovoltaikanlagen, die damals technisch noch nicht so ausgereift gewesen seien, die ersten Maßnahmen gewesen, die gestrichen wurden.
Bis 2030 soll es dreimal so viel Photovoltaik geben
Künftig soll sich das aber ändern. In Hessen wurde bereits die Solardach-Pflicht für alle landeseigenen Gebäude mit einer Nutzungsfläche von über 50 Quadratmetern eingeführt. Die Regelung gilt für Neubauten seit dem 29. November 2023 und für Bestandsgebäude genau ein Jahr später. Bei neuen, für Photovoltaik geeigneten Parkplätzen besteht die Pflicht, über der landeseigenen Stellplatzfläche eine Anlage zu installieren.
Auch die klimapolitische Strategie der Bundesregierung ist klar: Bis 2030 soll dreimal so viel Photovoltaik wie heute zur Energiegewinnung genutzt werden.
Zudem stellt das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst den 14 Hochschulen im Land bis zum Jahr 2025 insgesamt rund 20,9 Millionen Euro zusätzlich zum Ausbau von Photovoltaikanlagen und zur Optimierung der technischen Ausrüstung in Gebäuden zur Verfügung.
Gute Aussichten, findet Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Wir brauchen Solarenergie gerade auf den öffentlichen Gebäuden, und das wird hoffentlich jetzt auch schneller zunehmen." In der Vergangenheit habe es viele bürokratische Hemmnisse gegeben. Der Staat sei beim Ausbau für Photovoltaik nicht besonders vorbildlich gewesen.
Uni Kassel: Solaranlage fertig, Nutzung verboten
Die Universität Kassel ist im Vergleich zu Frankfurt und Gießen einen Schritt weiter. Sie hat gerade ihre neueste Photovoltaikanlage fertiggestellt. Probleme gibt es dennoch: Die jüngste Anlage der Solar-Vorzeige-Uni darf keinen Strom liefern, denn sie benötigt ein bestimmtes Zertifikat. Das braucht die Uni, wenn sie Strom ins öffentliche Netz einspeisen will oder auch selbst nutzt. Und die Fachleute, die solche Zertifikate für rund 20.000 Euro ausstellen, fehlen überall.
Der Kasseler Uni-Kanzler Oliver Fromm fühlt sich vom Behördendschungel ausgebremst. "Ich brauche jetzt ein Zertifikat dafür, dass ich weniger Strom aus dem Netz ziehe, was ja eigentlich wünschenswert ist", kritisiert er. Er frage sich, "welcher Lobbyist sich diese Hürde für den Ausbau und die Nutzung von Photovoltaik ausgedacht hat und wie es ihm auch noch gelungen ist, das in entsprechende Gesetze einzuspeisen". Das sei absurd.
Gießen: Limeshalle ohne Solar auf dem Dach
Den deutschen Bürokratiedschungel beklagt auch Volker Klös vom Verein Sonneninitiative. Der Verein betreut eine Reihe von Solaranlagen, etwa auf Frankfurter Schulen und anderen kommunalen Gebäuden.
So soll das Dach der Limeshalle in Polheim (Gießen) auch eine Photovoltaikanlage bekommen. Widerstand in der Kommunalpolitik verzögere das allerdings, meint Klös, der seit rund 20 Jahren Kommunen und Bürger beim Photovoltaikausbau zusammenbringt. Es gibt seiner Meinung nach ganz unterschiedliche Gründe, die die Ausbaupläne scheitern lassen.
"Eine Sache ist zum Beispiel, dass sich viele Kommunen dann auf ihre eigenen Stadtwerke, also die Netzbetreiber, verlassen und mit ihnen gemeinsam solche Projekte umsetzen wollen. Nur der Netzbetreiber macht das dann einfach nicht", sagt Klös. Das sei so ähnlich, wie wenn man den örtlichen Metzger bitten würde, einen veganen Speiseplan zu entwickeln. Das funktioniere nicht.
Fachkräftemangel und Lieferengpässe
Zu Lieferengpässen und teils veralteter Elektrik kommt die föderale Struktur mit 16 Bundesländern dazu, die Verwirrung stiftet. "Es gibt 16 Baugesetzbücher, 16 Kulturhoheiten, dazu noch über 800 Netzbetreiber mit eigenen Regeln", sagt Klös von der Sonneninitiative. Dazu verschärfe sich der Fachkräftemangel in Deutschland.
Das neue Solarpaket der Bundesregierung, dessen Verabschiebung im Bundestag verschoben wurde, könnte viele Probleme lösen. Es sieht erhebliche Beschleunigungen und Entlastungen vor: Unter anderem müssen dann die kleinen Balkonkraftwerke nicht mehr beim Netzbetreiber gemeldet werden. Laut hessischem Wirtschaftsministerium wird auch die Zertifikatspflicht vereinfacht: "Insgesamt wird das Verfahren massentauglich ausgestaltet".
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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 21.02.2024, 16.45 Uhr
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