Lückenschluss der Autobahn Die Gewinner und Verlierer des A49-Ausbaus
Nach mehr als 50 Jahren Planung, vier Jahren Bauzeit und monatelangem Protest ist das letzte Teilstück der Autobahn 49 für den Verkehr freigegeben. Die Straße spaltet die Region.

1971 - unglaublich, aber wahr. Seit über 50 Jahren wird in Mittel- und Osthessen über den Ausbau der A49 diskutiert. Laut Medienberichten stammen erste Ideen für eine Trasse von Kassel in Richtung Gießen sogar aus dem Jahr 1926.
Die Argumente dafür und dagegen haben sich mit der Zeit gewandelt. Eines ist geblieben: Dieses Autobahnprojekt polarisiert wie wohl kaum ein anderes. Seit Jahrzehnten streiten Befürworter und Gegner erbittert darum, auch vor Gericht.
Konkret ging es zuletzt um eine Lücke von 61,8 Kilometern zwischen Neuental (Schwalm-Eder) und dem Ohmtal-Dreieck an der A5. Jetzt wurden die letzten 31 Kilometer ab Schwalmstadt fertiggestellt und für den Verkehr freigegeben.
Die A49 polarisiert
Jahrzehntelang wurde vor allem über eines gestritten: Wo soll das letzte Teilstück entlang führen? Die Idee, Marburg aus Richtung Kassel direkt anzubinden, wurde verworfen. Nun führt die A49 östlich an Marburg vorbei und passiert Schwalmstadt und Stadtallendorf.

Umweltschützer kritisieren, in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch eine Autobahn zu bauen, verbiete sich - und dann auch noch mitten durch ein Trinkwasserschutzgebiet und einen jahrhundertealten Wald. Andere setzen große Hoffnungen in die Autobahn.
Hoffnung für regionale Wirtschaft
Christian Somogyi (SPD), der Bürgermeister von Stadtallendorf, ist froh, dass die Autobahn fertig ist. "Ich persönlich bin der Auffassung, dass es eine Stärkung des Wirtschaftsraums ist", sagt er.
Insgesamt habe er vier verschiedene Planungen mitbekommen, was zum Teil zu Streitereien sogar innerhalb von Familien geführt habe. Somogyi erwartet für die Anwohner an den viel befahrenen Bundesstraßen - also B62, B454 und B3 - eine Entlastung.
Bündnis JA 49
Auch große und kleine Unternehmen in der Region haben sich in der Vergangenheit immer wieder klar dafür ausgesprochen, etwa die Eisengießerei Fritz Winter, Ferrero oder die Marburger Tapetenfabrik.
Unternehmen, Industrie- und Handelskammern sowie anliegende Städte, Gemeinden und Landkreise unterstützten rund um den Baubeginn im Jahr 2020 das Bündnis JA 49, das die neue Trasse als wichtigen Standortfaktor für die Region bezeichnete.
Verkehrsgewinner, Verkehrsverlierer
Positive Stimmen gibt es auch von Privatleuten, etwa Menschen in Stadtallendorf, die auf eine bessere Anbindung hoffen. Kleine Orte wie Gilserberg und Jesberg (beide Schwalm-Eder) atmen auf, weil tausende Lastwagen künftig wohl eine andere Route nehmen werden.
Andere Orte werden allerdings mehr Verkehr vor ihrer Haustür haben, weil die neue Autobahn schließlich über Zubringer erreicht werden muss. Durch Homberg/Ohm (Vogelsberg) etwa sollen Prognosen zufolge bis zu dreimal mehr Autos und Lastwagen fahren als bisher.

Andere Anwohner kritisieren die Trassenführung, weil Naherholungsgebiete zerschnitten würden. Landwirte klagten gegen Enteignungen - erfolglos.
Die Umwelt bleibt Streitthema Nummer eins
Besonders ein Thema stand in den vergangenen Jahren im Fokus der Kritiker: die Folgen des Autobahnausbaus für Wasser und Wald. Alteingesessene Umweltschützer in der Region kämpfen seit Jahrzehnten dagegen. Als die Rodungen anstanden, schlossen sich dem Protest viele jüngere Aktivistinnen und Aktivisten aus ganz Deutschland und Europa an.
Einige besetzten den Dannenröder Forst seit November 2019 mit Baumhäusern. Analog zu den Baumbesetzern im nordrhein-westfälischen Hambacher Forst wollten sie die Abholzung verhindern. Es folgte ein in Hessen nie dagewesener wochenlanger Polizeieinsatz. Zeitweise waren an die 2.000 Beamte am Tag im Einsatz. Die Trasse wurde schließlich von allen Protestcamps geräumt.
Autobahn durch Trinkwasserschutzgebiet
Neben dem nun dauerhaft durchschnittenen Wald bei Dannenrod geht es den Umweltschützern um Trinkwasserschutz. Die Brunnen in der Region sind von großer Bedeutung für die Trinkwasserversorgung in Mittelhessen und darüber hinaus.

Hinzu kommt: Sie werden durch ein komplexes hydraulisches System mit Schöpfbrunnen gesichert. In Stadtallendorf befand sich in der NS-Zeit die größte Sprengstofffabrik Europas. Altlasten im Boden sind heute noch ein Thema in der Region.
Die Sorge der Aktivisten war etwa, dass dieses System durch tiefe Fundamentbauten für Brücken gestört werden könnte. Auch der Zweckverband Mittelhessischer Wasserwerke hatte zu Baubeginn darauf hingewiesen, dass der Bau nicht ohne Risiken sei. Zu tatsächlichen Beeinträchtigungen des Trinkwassers kam es nach heutigem Kenntnisstand aber nicht.
Kritische Stimmen bleiben laut
Barbara Schlemmer ist eine Linken-Kommunalpolitikerin und die Sprecherin der Schutzgemeinschaft Ohmtal. Sie beharrt bis heute darauf: Die A49 hätte wasserrechtlich nicht genehmigt werden dürfen und erfülle weiterhin die Anforderungen nicht.
Die Umweltschützerin verweist auf ihrer Meinung nach fehlerhafte Berechnungen. Seit Jahren thematisieren sie und andere immer wieder sogenannte Regenrückhaltebecken. Rollt Verkehr über die Autobahn, entstehen Abgase, es kommt zu Reifenabrieb. Dafür gibt es Rückhaltebecken, die verhindern sollen, dass Schadstoffe in den Boden und ins Grundwasser gelangen.
Vor allem bei Maulbach seien die Regenrückhaltebecken noch gar nicht fertiggestellt. "Wir ziehen in Zweifel, dass der derzeitige Stand der Entwässerung überhaupt rechtskonform zur Freigabe ist", sagt Schlemmer.
Die Firma Deges, die den Autobahnbau durchgeführt hat, teilt dazu auf Anfrage mit: Alle Regenrückhaltebecken seien einsatzbereit. "Es erfolgen lediglich kleinere Nacharbeiten entlang der Autobahn."
Immer wieder kam es während der etwa vierjährigen Bauzeit zu Sabotageakten an Baumaschinen und zu kleineren Protesten. Nach Giftstoff-Funden auf der Baustelle gab es zwischenzeitlich einen Teil-Baustopp. Dann wurde jedoch weitergebaut.
Verkehrsfreigabe am Freitag

Die Vorwürfe der Kritiker sind geblieben, an der Fertigstellung änderte das nichts. Gegner haben für Freitag einen symbolischen Trauermarsch durch die Stadt geplant. Die umstrittenen Autobahnbrücken wurden schon vor der Eröffnung mit Protestparolen beschrieben.
Von den Befürwortern hört man nun rund um die Eröffnung immer wieder: Die Sache sei jetzt lange diskutiert worden, es solle nun endlich Ruhe geben.
Mit ein paar Monaten Bauverzögerung wird die Autobahneröffnung am Freitag offiziell in Stadtallendorf gefeiert.
Ihre Kommentare Wie stehen Sie zu Autobahn-Projekten wie dem Ausbau der A49?
34 Kommentare
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Der Ausbau war notwendig und spart Kosten, Zeit und große Umwege. Diese sogenannten Klimaaktivisten sollten sich mal um wichtige Dinge fürs Klima sorgen. Für Windräder werden Wälder abgeholzt, deren Herstellung und Transporte verschlingen Unsummen und wenn kein Wind ist, dann holt man Strom von ausländischen Atomkraftwerken, der dann erst verbraucht werden muss, bevor die Windparks wieder Volllast laufen dürfen. Also solche Projekte machen wirklich da Sinn, wo sie Wege verkürzen etc etc
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Ich wette, viele die hier gegen die Autobahn diskutieren, weil dadurch Wald verloren geht, keine Probleme mit den riesigen Windkraftwerken im Reinhardswald haben...
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Es wäre mir deutlich lieber wenn Deutschland mal endlich den zugesagten Nordzulauf zum Brenner Basistunnel baut oder wenigstens zu Ende plant, um mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen. Leider sind die Italiener und Österreicher deshalb zurecht sauer auf Deutschland. Man hat sie schlichtweg angelogen damals mit der Zusage. Von dieser sinnlosen Waldzerstörung halte ich hingegen nicht viel (von der A49).
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