Worum es bei den UKGM-Verhandlungen geht
Bis spätestens Jahresende muss beim Streit zwischen dem Land und dem Betreiber des privatisierten Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) eine Einigung erzielt werden, sonst droht der Verlust von Arbeitsplätzen. Wie geht es nach dem Rücktritt des Rhön-Vorstandsvorsitzenden weiter? Ein Überblick.
Seit dem Sommer gibt es Streit um das privatisierte Uniklinikum Gießen Marburg (UKGM). Nach der Aufkündigung eines alten Vertrags liegen die Verhandlungen zwischen dem Land und dem Haupteigentümer des UKGM, der Rhön-Klinikum AG, um Fördermittel seit Wochen auf Eis. Dann ist auch noch der Vorstandsvorsitzende von Rhön, Christian Höftberger, zurückgetreten. Wie ist die aktuelle Lage? Wie könnte es weitergehen? Und was geschieht, wenn es keine Einigung gibt? Ein Überblick.
- Wie ist die Lage aktuell an der Klinik?
- Um was geht es bei den Verhandlungen?
- Was sind die Streitpunkte?
- Kann das Land Fördermittel zurückverlangen?
- Was geschieht, wenn es keine Einigung gibt?
- Wie könnte es weitergehen?
Wie ist die Lage aktuell am Uniklinikum Gießen Marburg?
Die Situation an den Standorten Gießen und Marburg ist äußerst angespannt. Beschäftigtenvertreter berichten dem hr, dass zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Zukunftsängsten leiden. Ihre Sorge: Gekündigt oder ausgegliedert zu werden. Das wäre ab Januar möglich, wenn es keine Einigung gibt.
Auch die Klinikdirektoren hatten zuletzt in einem Brief an Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Asklepios von "einer existentiellen Bedrohung mit Verlust einer realistischen Zukunftsperspektive" gesprochen. Zudem hatten sie beklagt, "dass das UKGM einen vom Krankenhausbetreiber Asklepios/Rhön forcierten Sparkurs, verbunden mit einem bedrohlichen Investitionstopp" erlebe.
Um was geht es bei den Verhandlungen?
Auch wenn das Uniklinikum Gießen Marburg seit 2006 privatisiert ist - das Land Hessen hat ein Interesse daran, dass das UKGM seinem Auftrag als Lehr- und Forschungskrankenhaus und als wichtiger Maximalversorger gerecht wird. Das heißt beispielsweise, dass die Geräte und die Infrastruktur in einem guten Zustand sein müssen – aber auch, dass das Personal nicht überbelastet wird. Vereinbarungen, die das regeln, gab es schon mehrfach zwischen dem Land und dem Betreiber. Auch jetzt wird um eine solche Vereinbarung gerungen.
Im Januar hatten sich beide Seiten in einer Absichtserklärung verständigt– dem sogenannten Letter of Intent. Daraus hätte eigentlich ein neuer Vertrag entstehen sollen. Das ist aber bis heute nicht geschehen. Stattdessen kündigte der Klinik-Betreiber Rhön im Juni sogar noch einen alten Vertrag, die Zukunftsvereinbarung von 2017. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld am bisherigen Scheitern der Verhandlungen.
Im Letter of Intent war vorgesehen, dass das Land dem UKGM in den kommenden zehn Jahren knapp eine halbe Milliarde Euro an Fördermitteln gibt – im Gegenzug zu Beschäftigungsgarantien sowie Investitionsversprechen vom Betreiber Rhön.
Was sind die aktuellen Streitpunkte?
Nach dem, was offiziell bekannt ist, gibt es vor allem zwei Streitpunkte in den Verhandlungen. Es geht zum einen um die Höhe der Fördermittel. Zwar sind vom Land eine knappe halbe Milliarde Euro für den Klinikbetreiber für die kommenden zehn Jahre in Aussicht gestellt worden – aber Rhön will mehr. Die Argumentation: Auch wenn man das UKGM gekauft habe, habe man den gleichen Anspruch wie alle anderen Uniklinken in Hessen auf Investitionsfördermittel. Dementsprechend möchte man gerne mehr Geld haben. Auch entsprechende Gutachten zu dem Anspruch hat Rhön vorgelegt. Eine konkrete Summe kursiert aber nicht.
Das Land wiederum betont auf hr-Anfrage: Rhön habe mit dem Kauf auf solche Fördermittel ohne zeitliche Befristung verzichtet. Tatsächlich ist diese Argumentation seitens des UKGM-Betreibers Rhön neu. Über Jahre hinweg hatte das Klinikum auf diese Mittel verzichtet. Nun argumentiert Rhön aber, dass das eine rechtswidrige Ungleichbehandlung sei und man eben nicht dauerhaft verzichtet habe.
Der zweite und vermutlich noch zentralere Streitpunkt ist die Frage, ob das Land im Falle eines Verkaufs die Fördermittel wieder in Teilen zurückfordern kann. Die Argumentation: Durch die Gelder trete an den Krankenhäusern eine Wertsteigerung ein. Und man wolle das Klinikum durch diese Gelder nicht für einen Verkauf aufhübschen, erklärt das Wissenschaftsministerium auf hr-Anfrage. Rhön wiederum hält diese Klausel für rechtswidrig.
Nach Ansicht von Thomas Kolb, Professor für Gesundheitsmanagement und Rechnungswesen an der Hochschule RheinMain, ist die Lage verzwickt - denn die ursprünglichen Verträge sind geheim und damit unklar, was genau zum Thema Fördermittelverzicht vereinbart wurde und mit welchem Wortlaut.
Kann das Land Fördermittel zurückverlangen?
Experte Kolb sagt: "Mir ist kein Fall bekannt, wo so etwas versucht wurde. Das sehe ich auch nicht wirklich gedeckt vom Krankenhausfinanzierungsgesetz." Nur wenn ein Käufer ganz aus dem Klinikbetrieb aussteige, könnten Fördermittel zurückgefordert werden. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn aus den Krankenhäusern auf einmal Hotelanlagen würden. Aber Kolb sagt auch: "Es könnte sein, dass es Informationen gibt, die der Öffentlichkeit nicht vorliegen und die das Ganze anders darstellen."
Was geschieht, wenn es keine Einigung gibt?
Ist bis Ende des Jahres keine neue Vereinbarung zwischen dem Betreiber des UKGMs und dem Land unterzeichnet, gäbe es ab dem 1. Januar für das Klinikum, verglichen mit den in Aussicht gestellten Fördermitteln des Landes, weiter nur die Gelder wie bisher. Das wären Mittel, die das UKGM als Pauschale für Geräte und Bauvorhaben bekommt, für gemeinwohlorientierte Aufgaben als Uniklinik sowie die Gelder, die es aus dem Krankenhausfonds erhält. Allerdings entstünden dem UKGM zusätzliche Kosten durch die Trennungsrechnung, da die bisherige Vereinbarung dazu mit der bisherigen Vereinbarung ausläuft, erklärte das Wissenschaftsministerium auf hr-Anfrage.
Die Garantien für die Beschäftigten würden zum Jahreswechsel auslaufen. Pflegekräfte, Reinigungspersonal und Co. könnten dann betriebsbedingt gekündigt werden. Zudem wäre es dann erlaubt, Unternehmensteile auszugliedern und mögliche Gewinne abzuschöpfen. Vor allem könnte dann ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen den beiden Parteien drohen.
Wie könnte es weitergehen?
Laut Informationen des Wissenschaftsministeriums hat es seit Wochen keine Gespräche mehr zwischen den Parteien gegeben. Ein Schreiben aus dem September von der Landesregierung blieb demnach zuletzt unbeantwortet. Nach dem Rücktritt des Rhön-AG-Vorstandsvorsitzenden, Christian Höftberger, rechnen Beobachter damit, dass die Verhandlungen neuen Schwung bekommen. Zumal auch Rhön und Asklepios daran gelegen sein dürfte, einen jahrelangen Rechtsstreit zu vermeiden.
Sendung: hr4, 20.10.2022, 14.30 Uhr
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