Kaum noch Ausbildungsplätze Feintäschner-Azubis in Hessen - fast schon Unikate
Robin Stolz wusste schon nach der Schule, dass sie ins Handwerk wollte. Heute arbeitet sie als Feintäschnerin bei einem Lederwarenhersteller in Obertshausen. Doch die Branche kämpft mit schwierigen Bedingungen.
Dass es irgendetwas Handwerkliches werden sollte, war Robin Stolz direkt nach der Schule klar. Studieren sei nicht ihr Ding, sagt die 25-Jährige, während sie mit einem kleinem Gummihammer den Träger einer Lederhandtasche bearbeitet. "Alles, was ich gerne machen wollte, ging in Richtung Handwerk."
Schusterin sei eine Option gewesen oder Hutmacherin. "Alles so ein bisschen außergewöhnlich", sagt Stolz. Heute arbeitet sie als Feintäschnerin beim Lederwarenhersteller Picard in Obertshausen (Offenbach). Und das ist inzwischen mehr als nur "ein bisschen außergewöhnlich".
Große Werkstatt - aber nur noch vier Mitarbeiterinnen
Feintäschnerei ist das Gegenteil von Massenproduktion. Es geht um recht exklusive Produkte: Hand- und Brieftaschen, Portemonnaies und Mappen nach Maß oder in Kleinserien. "Handgemacht. Und mit Liebe" verspricht Hersteller Picard in einem seiner Werbeslogans.
Robin Stolz hat sich auf Portemonnaies spezialisiert. "Alles, was winzig ist und klein" - ganz feine Arbeit sei ihr Ding, sagt sie. Auch Herrentaschen, die aus 110 bis 120 Einzelteilen bestehen, fertigt sie.
Stolz ist ein Picard-Eigengewächs. 2016 begann sie ihre Ausbildung als Feintäschnerin. Überstand die Corona-Pandemie, während der Picard in die Insolvenz schlitterte und 30 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen musste. Die große Werkstatt mit Dutzenden Arbeitsplätzen teilt sie sich inzwischen nur noch mit drei Kolleginnen.
Nachfrage eingebrochen
Produktionsleiter Steffen Meyer erinnert sich an bessere Zeiten. "Den ganzen Tag haben hier die Maschinen gerappelt, die Nähmaschinen gesurrt. Am Tisch ist gearbeitet worden", sagt er. "Es hat geklopft, gehämmert. Das hat sich die letzten Jahre sehr reduziert."
40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählte die Produktion Obertshausen - das war einmal. Corona war der Gipfel. Doch auch abseits der Pandemie hat die Produktion exklusiver Lederwaren in Deutschland so ihre Tücken. Die Kosten sind hoch. Auch Picard hat deshalb die Produktion teilweise ausgelagert - unter anderem in die Ukraine.
Ein Teil der Klientel ist weggebrochen - unter anderem wohlhabende russische Touristinnen und Touristen. Und schließlich leidet der stationäre Verkauf durch den Niedergang der großen Kaufhausketten.
Azubis nur noch im kaufmännischen Bereich
Picard hat seine Konsequenzen gezogen. So wird unter anderem in der Produktion derzeit nicht ausgebildet. Azubis sucht der Lederwarenhersteller nur noch im kaufmännischen Bereich. Wer sich für die "exotische" Handwerksausbildung zum "Feintäschner" interessiert, kann diese zumindest im Moment nicht in Obertshausen absolvieren.
"Wir haben nur noch ein ganz kleines Team und für uns ist es sehr schwierig, den jungen Leuten in diesem Rahmen Perspektiven zu bieten", sagt Steffen Meyer. Nachfragen gäbe es noch ab und zu, aber er müsse den Interessentinnen und Interessenten dann erklären, dass es "derzeit schwierig" sei.
Noch sechs Feintäschnerei-Azubis in Hessen
Bei Robin Stolz war das noch ganz anders: "Ich habe hier zweieinhalb Tage Probe gearbeitet, und freitags kam dann der Anruf, ob ich grundsätzlich noch Interesse an der Ausbildung hätte. Damit hatte ich dann meinen Ausbildungsvertrag hier", erzählt sie.
Heute könnte man fast sagen, dass Stolz und ihre verbliebenen Kolleginnen und Kollegen dabei sind, selbst zu Unikaten zu werden. Bundesweit gab es nach Angaben der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main (HWK) nur noch 24 Betriebe, welche die Ausbildung zum Feintäschner anboten. In Hessen waren im vergangenen Jahr noch drei Feintäschner in Ausbildung, drei weitere begannen ihre Ausbildung.
HWK: Betriebe sollen frühzeitig suchen
Dabei erlebten eher nischige Handwerks-Berufe wie etwa Goldschmied in den letzten Jahren ein kleines Comeback. An der Feintäschnerei scheint dieser Trend jedoch vorbeizugehen.
"Das liegt vielleicht an den Betriebsstandorten, aber auch an den Rahmenbedingungen", sagt Florian Schöll, Geschäftsführer für Berufliche Bildung bei der Frankfurter HWK. "Wir können den Betrieben immer nur empfehlen, sehr frühzeitig auf Schulen zuzugehen, dort auf den Messen vertreten zu sein, einfach auch durch attraktive Angebote auf sich aufmerksam zu machen."
Picard will wieder ausbilden - wenn möglich
Ein Mangel an Interessentinen und Interessen herrscht in Hessen derzeit nicht. Doch auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Picard erklärt auf Anfrage des hr, man plane wieder auszubilden, "sobald es sie wirtschaftliche Lage erlaubt".
Dafür müsste sich das Verbraucherverhalten ändern, meint Steffen Meyer: "Sie sehen ja selbst in der Produktion, was an Arbeitsgängen notwendig ist, um eine Tasche herzustellen. Die Wertschätzung dafür sehe ich nicht immer."