Gegentrend zu Fast Fashion Frankfurter Designer: "Wegwerfen ist für uns keine Option"
Die Fashion Week in Berlin zeigte Mode aus Recycling-Stoffen. Wie weit sind Designer aus Hessen bei der nachhaltigen Produktion? Die Modemacher des Frankfurter Labels leonid matthias zum Beispiel verwenden Sicherheitsgurte und Sojasoßen-Plastikfische.
Fernab der schnell drehenden Modewelt entwirft das Designer-Duo Leonid Sladkevich und Matthias Gruner in Frankfurt-Sachsenhausen Mode, die langlebig ist: Slow Fashion. Seit 2023 sind die beiden Mentoren beim Fashion Designer Mentoring Programm Hessen und beraten junge Modemacherinnen und Modemacher in Sachen Nachhaltigkeit. Sie gaben auf Einladung des Goethe-Instituts auch schon Kurse in Odessa (Ukraine) für die dortige Designerszene.
"Wir als Konsumenten können ein Signal schicken: Hey, Hersteller, pass auf! Das kaufe ich nicht!", sagt Gruner im Gespräch mit hessenschau.de. Und Sladkevich, der alle Kreationen für das Label leonid matthias entwirft, erklärt, wie zero waste funktionieren kann.
Die Fragen stellte Susanne Reininger.
Ende der weiteren Informationenhessenschau.de: Sie gelten als Pioniere für Slow Fashion. Welchen Anspruch haben Sie?
Leonid Sladkevich: Junge Designer, die ein neues Label starten, müssen sich erst mal Gedanken machen, ob die Welt es überhaupt braucht. Wenn Du etwas machst, was es schon gibt, ist das Ressourcenverschwendung. Die Welt ist so überfüllt. Bevor man noch mehr Sachen entwirft, sollte man sich als Kreativer fragen: Warum nicht die Materialien und Stoffe hernehmen, die schon bestehen und daraus etwas Neues entwerfen? Wir waren schon immer nachhaltig und haben uns gewundert, als dieser Begriff aufkam. Für uns war das selbstverständlich.
Wegwerfen ist für uns keine Option. Wir verarbeiten ausschließlich Stoffe aus Überhängen von Mode- und Interior-Herstellern. Wenn wir Stoffreste haben, verschenken wir sie an unsere Kunden zum Basteln. Es kommen aber auch Kunden, die sich alte Sachen umarbeiten lassen, um sich ein Stück Geschichte zu bewahren. Eine Kundin brachte uns den alten Aktenkoffer ihres Vaters. Aus einem Teil des Lederdeckels und einem Innenverschluss mache ich ihr ein Brillenetui.
hessenschau.de: Was genau bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
Leonid Sladkevich: Wir produzieren fünf Minuten von unserem Ladengeschäft im Frankfurter Brückenviertel entfernt. So entsteht erst gar kein CO2-Abdruck, wir können schneller produzieren und sind unabhängig, haben selten ein Lieferkettenproblem. Wir verarbeiten nur Stoffe von europäischen Manufakturen, die öko-zertifiziert sind. Wir versuchen, zero waste zu arbeiten und andere Sachen für die Mode zu recyceln. Wir machen sehr viel Kleidung mit den Stoffen aus Musterbüchern und -laschen.
Matthias Gruner: Das sind Textilmuster mit sehr hochwertigen Stoffstücken zum Beispiel für Kleidung, Vorhänge, Dekostoffe, Stuhl- und Sofabezüge. Diese Bücher werden nur für eine Saison hergestellt und danach entsorgt. Wir kaufen sie palettenweise. So haben wir immer wieder neue Muster, Farben und Materialien von Baumwoll-Samt über Brokat und Seide bis zu Samtvelours. So werden aus einer Saison mehrere Jahre. Das bedeutet Nachhaltigkeit für uns.
hessenschau.de: Muss man sich Slow Fashion leisten können?
Matthias Gruner: Nein. Das ist Notwendigkeit. Wir als Konsumenten können ein Signal schicken: Hey, Hersteller, pass auf! Das kaufe ich nicht! Wenn du das aber so und so machst, dann bin ich bereit, dafür Geld auszugeben. Nachhaltigkeit muss nicht teurer sein, wenn man mit den Kleidungsstücken bewusster umgeht.
Leonid Sladkevich: Seit 16 Jahren machen wir Halsketten aus kleinen Plastikfischen, die sonst mit Sojasauce gefüllt sind, wenn man japanisches Essen nach Hause bestellt. Die Idee hatte ich schon vor der Gründung unseres Modelabels, habe die Soja-Fische einzeln ausgespült und in einem großen Glas gesammelt. Mittlerweile sind die Fischketten unser Markenzeichen. Sie sind auch ein Symbol, zu Hause nicht alles wegzuwerfen, sondern aus einem Wegwerfprodukt etwas Neues zu machen, das auch ästhetisch funktioniert.
hessenschau.de: Ein Couture-Kleid aus Corona-Stoffmasken war im Historischen Museum in Frankfurt zu sehen. Ist das Kleid ein Symbol? Oder ist es auch tragbar?
Leonid Sladkevich: Ja und ja. Das Kleid ist tragbar. Damit der Rock schön schwingt, ist ein Petticoat drunter. In der Pandemie 2020 ging ja nichts mehr ohne Masken. Deshalb haben wir dieses Kleid aus 150 Masken entworfen, es zum It-Piece erklärt und es damals in unserer virtuellen Fashion Show vorgeführt.
hessenschau.de: Sie schauen sich also überall nach Stoffen zum Recyceln um. Und arbeiten sogar mit einem Autozulieferer zusammen. Wie kam es dazu?
Leonid Sladkevich: Wir konnten vor einigen Jahren von einem Hersteller für Sicherheitsgurte den Teil einer Fehlproduktion aufkaufen. Daraus haben wir mit einem Produktdesigner die "Wonderbag" entwickelt: nur aus recycelten Gurten, die falsch eingefärbt worden waren. Genau diese unregelmäßige Färbung macht eine Tasche von uns nun zum Unikat.
Matthias Gruner: Gurtzulieferer müssen immer meterlange Musterrollen für ihre Kunden fertigen. Die entscheiden, ob die Farbe zur neuen Ausstattung passt. Bevor die Rollen entsorgt werden, kommen wir ins Spiel. In unserem Taschensortiment haben wir auch Bags in original Ferrari-Rot, BMW-Blau und Bentley-Beige.
Die Farben Mokka und Lila zum Beispiel wurden von einem Autohersteller abgelehnt. Wir haben uns gefreut und unser Sortiment erweitert: Die "Wonderbag" ist unser nachhaltigstes Designstück. Ein Autogurt kann nicht kaputtgehen.
hessenschau.de: Stoffe (fast) für die Ewigkeit machen noch keine nachhaltige Mode. Wo kommen Sie als Designer ins Spiel?
Leonid Sladkevich: Das fängt schon bei der Idee an. Ich entwerfe nichts Trendgebundenes, aber trotzdem im Zeitgeist. Ich entwerfe meine Sachen so, dass man sie heute tragen kann, aber auch noch in fünf und zehn Jahren. Dass sie nicht aus der Mode kommen und wirklich immer modern und gut aussehen. Das funktioniert, weil die Qualität unserer Stoffe hoch ist. Qualität ist auch Nachhaltigkeit.
Matthias Gruner: Wir haben nur Markenstoffe, benutzen deutsche Näh- und Stickgarne. Diese Garne sind wesentlich haltbarer als Billigware aus China, die für Fast Fashion verwendet wird. Besondere Knöpfe kaufen wir bei unserem Händler Jim Knopf in der Nachbarschaft. Und unsere Stammkundschaft bringt uns schöne Knöpfe vorbei.
hessenschau.de: Sie planen eine neue Kollektion. Arbeiten Sie daran, noch nachhaltiger zu arbeiten?
Matthias Gruner: Die Kollektion, an der wir momentan arbeiten, haben wir so konzipiert, dass sie absolut zero waste bleibt.
Leonid Sladkevich: Bei der vergangenen Kollektion haben wir mit Stoffresten Knöpfe bezogen oder daraus Schmuck gemacht. Jetzt gehe ich noch einen Schritt weiter, nehme auch die kleinsten Schnipsel, die beim Zuschnitt abfallen, lege sie auf den neuen Stoff und appliziere sie. Sogar die langen Nähfäden, die übrigbleiben, sticke ich mit auf. Bis auch der kleinste Faden weg ist.