Fulda-Main-Leitung durch Osthessen "Schockiert und verärgert": Sorgen wegen Stromtrassen-Plänen
Die Pläne für eine neue Stromtrasse stoßen in Osthessen auf wenig Gegenliebe: Bürgermeister betroffener Gemeinden befürchten Belastungen für die Bewohner. Netzbetreiber Tennet beschwichtigt: Die vorgestellte Variante sei die verträglichste für Anwohner und Umwelt.
Nachdenklich und mit sorgenvoller Miene verfolgten mehrere Bürgermeister aus Osthessen die Präsentation zu einem folgenschweren Bauprojekt. Der Netzbetreiber Tennet erläuterte in dieser Woche seine Pläne für eine neue Starkstromtrasse: die Fulda-Main-Leitung.
Zu der öffentlichen Versammlung waren rund 100 Menschen ins Bürgerzentrum nach Eichenzell-Rothemann (Fulda) gekommen. Denn das Bauprojekt im Rahmen der Energiewende wird weitreichende Folgen haben - "ein Einschnitt für Mensch und Natur", wie es der Sinntaler Bürgermeister Thomas Henfling (parteilos) formuliert.
Einige Menschen in der Region werden künftig auf über 70 Meter hohe Strommasten nahe des eigenen Wohnorts blicken. Für viele eine unangenehme Vorstellung, glaubt der Bürgermeister. "Die Leitung soll quer durch die Gemeinde gehen."
Von Dipperz über Sinntal nach Bayern
Tennet stellte wenige Tage vor der Bürgerversammlung einen sogenannten Vorschlagskorridor vor. Nach jahrelangen Planungen und Voruntersuchungen soll dieser Verlauf der beste Weg für die Stromtrasse sein: Vom Umspannwerk Dipperz nahe Fulda geht es vorbei an Künzell, Eichenzell, Kalbach (alle Fulda), Schlüchtern und Sinntal (beide Main-Kinzig) bis nach Bergrheinfeld bei Schweinfurt (Bayern).
Eine böse Überraschung für Bürgermeister Henfling: "Wir hatten mit einem Korridor weiter westlich entlang der A7 gerechnet und dachten, dass der Kelch an uns vorübergeht."
Nach den aktuellen Plänen würde auch der Blick auf Sinntals Wahrzeichen, die Burg Schwarzenfels, verändert. Man werde sich vorbehalten, auch mit juristischen Mitteln zu reagieren, wenn die Planung Schwächen aufweise, kündigte Henfling an.
Mehrfach-Belastung für Eichenzell
Wenig begeistert ist auch sein Amtskollege in Eichenzell. Laut Johannes Rothmund (CDU) ist die Kommune auf jeden Fall betroffen. In welchem Ausmaß, das müsse nun in den Tennet-Plänen im Detail geprüft werden.
Die Situation sei schwierig, denn Eichenzell sei schon durch Bahngleise, andere Stromtrassen und Autobahnen belastet. "Für die Wohngebiete entstehen nun weitere optische Belastungen durch hohe Masten." Da könne er die Sorgen verstehen.
"Extrem schockiert und verärgert"
Auch in Dipperz sorgen die Pläne für Aufregung. Die bange Frage dort: Wie groß fällt die Erweiterung des Umspannwerks aus und wie weit rückt es an die Wohnhäuser im Ortsteil Wisselsrod heran? Ortsvorsteher Niklas Schieder erklärte: "Die Bewohner sind extrem schockiert und auch verärgert." Sie befürchteten Lärm, optische Eingriffe in die Landschaft und eine verminderte Wohnqualität durch das Umspannwerk. "Das können wir so nicht akzeptieren."
Tennet-Sprecher Thomas Wagner sagte, dass neue Leitungen für die Energiewende nötig sind, habe die Bevölkerung vielerorts erkannt. Doch niemand wolle sie bei sich vor der Haustür haben. "Die Begeisterung hält sich überall in Grenzen, wenn wir mit Vorschlägen für eine neue Leitung kommen. Uns ist bewusst, dass wir nicht die schönste Infrastruktur bauen."
Konflikte auf fast jedem Kilometer
Bei der Trassenplanung ergäben sich "auf fast jedem Kilometer Konflikte unterschiedlichster Art", schilderte Wagner. "Manch einer will seine schöne Aussicht nicht verlieren. Oder Wertverluste von Immobilien werden befürchtet. Landwirte fragen sich, welche Auswirkungen die Leitungen auf Betrieb und Erträge haben."
Zuweilen höre er auch Sorgen um die Gesundheit. "Dabei geht von solchen Leitungen keine Gesundheitsgefährdung aus. Wir halten alle Grenzwerte ein, die laut Gesetz gelten."
Die bei der Bürgerversammlung vorgestellte Variante habe sich nach der Prüfung des Korridornetze "als am verträglichsten für Mensch, Umwelt und Natur herausgestellt", versicherte Wagner.
Beachtet werden musste bei der Findung der Fulda-Main-Leitung: Wo gibt es Raumwiderstände in Form bestehender Verkehrswege und Versorgungsleitungen? Was ist mit Bebauungen und Entwicklungsplänen von Städten und Gemeinden? Und was ist der für den Umweltschutz verantwortungsvollste Verlauf?
Kosten auf halbe Milliarde Euro geschätzt
Der nun vorgestellte Vorschlagskorridor ist nur ein Teil der geplanten Fulda-Main-Leitung. Der Abschnitt B von Osthessen nach Unterfranken schließt sich an den weiter nördlich gelegenen Abschnitt A zwischen Mecklar (Hersfeld-Rotenburg) und Dipperz an, gegen den es ebenfalls Widerstand gibt. Dieser Abschnitt ist rund 50 Kilometer lang.
92 Kilometer misst der neue Vorschlagskorridor. Er ist derzeit noch einen Kilometer breit. Präzisiert werden muss nun im nächsten Schritt, wo genau hohe Strommasten errichtet oder auch Kabel im Erdboden verlegt werden können. Solche Erdkabel werden von betroffenen Kommunen und Bürgern favorisiert, weil sie unsichtbar unter der Erde verschwinden.
Doch der Erdkabel-Anteil wird nach ersten Schätzungen von Tennet nur bei etwa zehn Prozent liegen. Der Kosten wegen. Erdkabel sind laut Tennet drei- bis sechsmal teurer im Vergleich zu Freileitungen mit Masten. Beobachter rechnen ohnehin schon mit Kosten von etwa einer halben Milliarde Euro für die 380-Kilovolt-Wechselstromleitung.
9.000 Seiten Text und 350 Karten
Vor vier Jahren hatte Tennet mit der Planung der neuen Stromtrasse begonnen. Die Planungen brauchten viel Zeit aufgrund der Komplexität des Bauvorhabens, sagte Wagner. Die Unterlagen des Netzbetreibers umfassen rund 30 Aktenordner, gefüllt mit 9.000 Seiten Text und 350 Karten. Dieses Konvolut wird nun die Bundesnetzagentur prüfen, an die der Vorschlagskorridor zur Genehmigung gesandt wurde.
Die Behörde muss nicht dem Tennet-Vorschlag folgen. Die Entscheidung, wo genau die Trasse verlaufen wird, ist also noch ein Stück weit offen. Der Zuschlag soll im Sommer 2024 erteilt werden. 2027/2028 soll mit dem Bau begonnen werden und 2031 alles fertig sein, wie Tennet skizzierte.
Keine Informations-Einbahnstraße
Im Eichenzeller Bürgerzentrum bekamen die Besucher der Bürgerversammlung die Pläne zunächst in verträglichen Häppchen serviert. Hausbesitzer und Bürgermeister werden sie in den kommenden Wochen wohl trotzdem erst einmal verdauen müssen.
Tennet betonte, dass die Veranstaltung keine Informations-Einbahnstraße sei. Die Anwesenden konnten auch Hinweise zu möglichen Problemen auf einzelnen Bauabschnitte geben - das gehe auch weiterhin online.
Sprecher Wagner empfand die Versammlung als "konstruktiven Austausch mit sachlichem Umgangston". Für den Netzbetreiber hätten sich einige Erkenntnisse und wertvolle Hinweis ergeben, "die wir in die Planung aufnehmen können."
Sendung: hr4, 18.10.2023, 12.30 Uhr
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