Gammelfleisch-Skandal Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen Wilke-Wurst-Chefs
Die Staatsanwaltschaft Kassel wirft den früheren Chefs von Wilke Wurst etliche Vergehen vor, darunter fahrlässige Tötung in elf Fällen. Der nordhessische Betrieb brachte 2019 Gammelfleisch in Umlauf.
Die Staatsanwaltschaft Kassel hat Anklage gegen den früheren Geschäftsführer von Wilke Wurst, seine Stellvertreterin und den Produktionsleiter des Fleischbetriebs aus Twistetal (Waldeck-Frankenberg) erhoben.
Wie ein Sprecher am Donnerstag mitteilte, sollen sich die drei wegen fahrlässiger Tötung in elf Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in sieben Fällen vor Gericht verantworten. Darüber hinaus wirft die Behörde ihnen Betrug in 17 Fällen und Verstöße gegen das Lebens- und Futtermittelgesetz in 101 Fällen vor.
Den beiden Geschäftsführern wirft die Staatsanwaltschaft außerdem vierfache versuchte gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen vor. Sämtliche Anklagepunkte stehen in Zusammenhang mit dem Gammelfleisch-Skandal, mit dem Wilke Wurst im Sommer 2019 bundesweit Schlagzeilen machte.
Schlechte hygienische Bedingungen
Damals kam ans Licht, dass zwischen Januar 2017 und März 2019 vier Menschen in Nordrhein-Westfalen, eine Frau in Bayern, eine Frau in Baden-Württemberg, ein Mann in Brandenburg, ein Mann in Niedersachsen, ein Mann in Sachsen, eine Frau in Berlin und ein Mann im Saarland an Listeriose erkrankt und ums Leben gekommen waren. Als Ursache für die Infektionskrankheit wurden Bakterien identifiziert, die sie über Wurstwaren von Wilke zu sich genommen hatten.
Von einer derartigen Erkrankung ernsthaft gefährdet sind insbesondere immunabwehrgeschwächte Personen, zum Beispiel alte oder chronisch kranke Menschen, wie die Staatsanwaltschaft hinweist. Die Toten wurden zwischen 47 und 86 Jahre alt. Wilke-Produkte gab es unter anderem in Kliniken und Altenheimen.
Die Ermittler brachten ans Licht, dass bei dem Fleischverarbeitungsbetrieb in Twistetal schlechte hygienische Bedingungen herrschten, so dass sich dort Listerien ansiedeln und vermehren konnten. Manche Ware habe dort zu lange gelagert und sei verdorben - und dennoch verarbeitet oder mit einem falschen Mindesthaltbarkeitsdatum in den Handel gebracht worden.
Testergebnisse ignoriert
Die nun Angeklagten kannten nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft die unzureichenden Produktionsbedingungen und den Umgang mit dem Gammelfleisch. Daher wird ihnen auch vorgeworfen, für die nicht tödlich verlaufenen Listeriose-Infektionen einer Frau in Baden-Württemberg, von drei Menschen in Nordrhein-Westfalen, von zwei Menschen in Hessen und eines Mannes in Bayern verantwortlich zu sein.
Dreimal hätten der Chef und seine Stellvertreterin erfahren, dass bei einer sogenannten Eigenbeprobung ihrer Ware Salmonellen gefunden worden waren - und die betroffenen Produkte dennoch nicht zurückgerufen. Ein weiteres Mal hätten sie einen positiven Listerienbefund ignoriert.
Laut Mitteilung erhob die Staatsanwaltschaft bereits im November 2022 Anklage bei der Wirtschaftskammer des Landgerichts Kassel. Jetzt erst wurde sie bekannt. Eine Entscheidung, ob und wann das Gericht in dem Fall verhandeln will, liege noch nicht vor. Die Staatsanwaltschaft weist darauf hin, dass der Umfang der Ermittlungsakten beträchtlich sei und sich allein die Beweise auf rund 160 Aktenordner erstreckten.
Hinz verschärfte Aufsicht - Kritik an Ministerin
Der Betrieb wurde im Herbst 2019 geschlossen. Ein Jahr später erwarb die Gemeinde Twistetal das Gelände. Sie ließ die Gebäude von Wilke Wurst abreißen.
Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) kritisierte die Lebensmittelaufsicht des Kreises damals heftig. Der Betrieb habe einmal pro Monat kontrolliert werden sollen, stattdessen kamen die Prüfer nur alle drei Monate. Hinz forderte mehr unangemeldete Kontrollen und kündigte an, die Lebensmittelaufsicht zu stärken.
Im vergangenen Jahr kam es jedoch infolge von vergammelten Gurken des Betriebs Maus aus Gernsheim (Groß-Gerau) zu einem Todesfall und mehreren Erkrankungen - wieder wegen Listerien. Die Opposition im Landtag hielt Hinz vor, nicht die richtigen Lehren aus dem Wilke-Skandal gezogen zu haben. Die Ministerin sah die Verantwortung beim Kreis.
Sendung. hr-iNFO, 16.02.2023, 17.30 Uhr
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