Trotz Haushaltsdefizit Wie Offenbach dank Nachhaltigkeits-Verpflichtungen Schulen sanieren kann
Offenbach steht wie viele andere Kommunen in Hessen finanziell unter Druck. Als erste in Hessen hat die Stadt nun über sogenannte grüne Schuldscheine Investoren gewonnen, um Hochwasserschutz und Schulsanierungen zu finanzieren - und will damit Vorbild für andere Städte sein.
Dass Offenbachs Stadtkämmerer Martin Wilhelm (SPD) seine Stadt in diesen Tagen als Vorreiterin bezeichnet, mag auf den ersten Blick verwundern. Immerhin sagt er mit Bezug auf den gerade beschlossenen Haushalt für 2025: "Wir haben ein Defizit von 20 Millionen Euro, was aber nach hinten raus noch dramatisch anwächst."
Mittelfristig müsse man sogar von einem 100-Millionen-Defizit ausgehen, rechnet Wilhelm vor. Seine Sorgen mit Blick auf die knappen Kassen der Stadt teilen derzeit viele Städte in Hessen. Insgesamt liegen die Kommunen 2,6 Milliarden Euro im Minus.
Wilhelm sagt dennoch: Sein Team in der Kämmerei habe in den letzten Wochen "hervorragende Arbeit" geleistet, man sei stolz. Denn die Stadt hat einen neuen Weg gefunden, an Geld zu kommen - wenn auch nur an geliehenes.
Neue Schulen dank "grüner" Schulden
Offenbach hat Anfang des Jahres als erste Stadt in Hessen ein sogenanntes grünes Schuldscheindarlehen ausgegeben. Mit 136,5 Millionen Euro sollen dadurch Projekte zum Hochwasserschutz, aber auch energieeffiziente Sanierungen von Schulen und Kitas finanziert werden.
Einige dieser Projekte sind bereits abgeschlossen: So ist der Maindeich zum besseren Schutz vor Hochwasser bereits im vergangenen Jahr saniert und verstärkt worden. Auch die Integrierte Gesamtschule (IGS) Lindenfeld oder die Geschwister-Scholl-Schule sind laut der Stadt über das grüne Schuldscheindarlehen energetisch saniert und teilweise neugebaut worden.
Was grüne Schuldscheindarlehen von klassischen Kommunalkrediten unterscheidet, mit denen Städte in Hessen normalerweise Geld bei Banken leihen: Das Geld ist an bestimmte Projekte gebunden, die als nachhaltig eingestuft werden. Außerdem können neben Banken auch beispielsweise Versicherungen oder Stiftungen investieren.
Was zunächst irritieren mag: Der Maindeich steht bereits, auch die genannten Schulen sind bereits fertig saniert. Laut Wilhelm ist die Stadt gezwungen, mit den Schuldscheinen genau wie mit klassischen Kommunalkrediten "tendenziell nach hinten gerichtet" ihre Maßnahmen zu finanzieren.
Was bedeutet "nachhaltig" oder "grün"?
Anleihen oder Bonds, die als "grün" gelabelt werden, stehen oft in der Kritik, sich letztendlich an einer zu schwammigen Nachhaltigkeitsdefinition zu orientieren und geraten deshalb häufig unter Greenwashing-Verdacht.
So hatte das Land Hessen 2021 seinen Pensionsfonds an nachhaltigen Kriterien ausgerichtet, die Investitonen in Fast-Food-Ketten oder Softdrink-Hersteller ermöglichten - nur weil diese nachhaltigere Produkte anboten, als die Konkurrenz.
Das Umweltbundesamt erklärt den Begriff so: Es gehe um "den Versuch von Organisationen, sich insbesondere durch Maßnahmen im Bereich Kommunikation und Marketing ein 'grünes' beziehungsweise 'nachhaltiges' Image zu geben, ohne entsprechende, nachhaltigkeits-orientierte Aktivitäten im operativen Geschäft tatsächlich systematisch umzusetzen".
Über Greenwashing im Finanzbereich und worauf bei nachhaltigen Geldanlagen zu achten ist, informiert das Umweltbundesamt auf seiner Webseite.
Was ist mit Greenwashing gemeint?
Das Umweltbundesamt erklärt den Begriff so: Es gehe um "den Versuch von Organisationen, sich insbesondere durch Maßnahmen im Bereich Kommunikation und Marketing ein 'grünes' beziehungsweise 'nachhaltiges' Image zu geben, ohne entsprechende, nachhaltigkeits-orientierte Aktivitäten im operativen Geschäft tatsächlich systematisch umzusetzen".
Über Greenwashing im Finanzbereich und worauf bei nachhaltigen Geldanlagen zu achten ist, informiert das Umweltbundesamt auf seiner Webseite.
Kämmerer Martin Wilhelm bekräftigt, dass die Kriterien, an denen sich die Stadt Offenbach orientiert habe, strenger seien. Die Projekte müssten einem von drei Umweltzielen zugeordnet werden. "Eine unabhängige dritte Partei überprüft, ob wir die Kriterien einhalten", sagt Wilhelm. Dabei handle es sich um die europäische Kreditrating-Agentur EthiFinance.
Bei einem einfachen Kommunalkredit wären all diese Kriterien und Überprüfungen nicht notwendig gewesen. Dennoch ist Kämmerer Martin Wilhelm überzeugt, dass sich der Aufwand für die Stadt auszahlt.
"24 von 25 Kreditgebern, die im Rahmen des Schuldscheins zustande gekommen sind, sind neue Kreditgeber, die wir sonst nicht erreicht haben." Wie erhofft handle es sich neben Banken dabei auch um Versicherungen.
Worin Investoren die Anreize sehen
Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzwirtschaft an der Uni Kassel, erklärt: "Es gibt Anlegerinnen und Anleger, die ihr Geld gezielt in nachhaltige Vorhaben stecken wollen." Auch dadurch ermögliche ein grünes Schuldscheindarlehen, neue Kapitalquellen zu erschließen.
Auch wenn es durch die neue Administration der USA auf den Märkten im Bereich Nachhaltigkeit momentan Gegenwind gebe, "innerhalb von Europa und innerhalb von Deutschland ist das Interesse an solchen Finanzierungen sehr, sehr stark", sagt Klein.
Offenbacher Schuldschein schnell vermarktet
Martin Wilhelm bestätigt das große Interesse der Investoren im Fall von Offenbachs erstem grünen Schuldscheindarlehen. Statt geplanter drei Wochen habe man die Vermarktung schon nach einer Woche beenden können, der Schuldschein sei zu diesem Zeitpunkt bereits dreifach überzeichnet gewesen.
Aus seiner Sicht liegt das aber nicht nur an dem "grünen" Label. Auch wenn es mit Blick auf Zinsen im Vergleich zu herkömmlichen Krediten laut Wilhelm keinen Unterschied gibt, läuft die Tilgung anders: Der größte Teil des durch den Schuldschein bereitgestellten Geldes muss nach der Laufzeit in einem Schritt zurückgezahlt werden.
Für Offenbach bedeute das, in 30 Jahren auf einen Schlag 80 Millionen Euro zahlen zu müssen - doch für die Geldgeber abseits von Banken sei genau diese "Endfälligkeit" attraktiv. Das damit verbundene Risiko für die Stadt wolle man abfedern, indem man schon jetzt jährlich Geld dafür zur Seite lege, so Wilhelm.
Trotz knapper Kassen: Offenbach wächst
Warum eine sowieso schon verschuldete Stadt wie Offenbach überhaupt noch weitere Schulden aufnimmt? "Wir sind eine wachsende Stadt und müssen deswegen neue Schulen und Kitas bauen", sagt SPD-Politiker Wilhelm. Auch um das eigens gesteckte Ziel der Klimaneutralität 2045 erreichen zu können, führe kein Weg an neuen Investitionen vorbei.
Diese Aussage dürfte auf viele Kommunen in Hessen zutreffen, die teilweise noch ehrgeizigere Klimaziele und noch höhere Haushaltdefizite haben als Offenbach.
Lohnt sich das auch für andere Städte?
"Es macht absolut Sinn, jetzt so früh wie möglich so viel wie möglich umzusetzen", sagt Wissenschaftler Christian Klein mit Blick auf kommunale Investitionen in den Klimaschutz. "Das sind keine Luxusprojekte, das ist Daseinsfürsorge."
Außerdem ließen sich durch Investitionen in den Klimaschutz potenziell künftige Ausgaben einsparen - etwa bei den Energiekosten. Letztendlich gehe es auch um Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, betont er. "Wer nachhaltig investiert, der investiert ja nicht nur in Busse oder Gebäude, sondern auch in die Zukunft unserer Kinder."
Wie hoch die erwarteten Ausgaben der hessischen Kommunen für Klimaschutz in den kommenden Jahren sind, lässt aus Sicht des Hessischen Städtetags nicht seriös beantworten.
"Gigantische Summen" für Klimaschutz erforderlich
Nur soviel: "Ob Wärmeplanung, Gebäudesanierung oder Hochwasserschutz: Das bedeutet gigantische Summen für die Kommunen", so der Städtetag auf hr-Anfrage. Die Verantwortung für die Finanzierung sehe man jedoch beim Bund und beim Land Hessen.
Nach Rechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) werden die Kommunen um eigene Ausgaben aber nicht herumkommen: 2023 schätzte die KfW, dass rund 150 Milliarden Euro für die Kommunen deutschlandweit anfallen dürften. Und auch die KfW empfiehlt Städten (PDF), grüne Finanzierungsmodelle zu nutzen.
Wilhelm: "Weg nicht ganz so einfach"
Bundesweit sind Städte wie Köln, Münster und München bereits diesen Weg gegangen, in Hessen hat sich das für die Aufsicht zuständige Regierungspräsidium Darmstadt im Fall von Offenbach zum ersten Mal mit dem Thema auseinandergesetzt.
"Wenn man etwas Neues macht, ist es immer so, dass der Weg nicht ganz so einfach ist", sagt der Offenbacher Stadtkämmerer Wilhelm rückblickend. "Da muss man dranbleiben und lösungsorientiert denken - und am Ende haben wir da eine gute Lösung gefunden."
Er räumt jedoch ein: Für eine kleinere Stadt und Summen unter 100 Millionen Euro lohne sich der Aufwand für grüne Schuldscheine nicht wirklich. Für andere, größere Städte in Hessen könnte es nun aber einfacher werden - weil Offenbach bereits vorgemacht habe, wie es funktionieren könne.