Ausgezeichnete Arbeit oder Putin-Propaganda? Humanitärer Spagat: So rechtfertigt B. Braun seine Geschäfte in Russland
In Russland versorgt B. Braun Dialysepatienten. Kürzlich erhielt ein Chefarzt dafür einen Staatspreis von Wladimir Putin. Auf Instagram gratuliert die Russland-Tochter des Melsunger Unternehmens zum "Tag des Sieges". Wie viel Nähe zum Kreml ist erlaubt - und moralisch vertretbar?
Februar 2022: Als eines von 28 deutschen Unternehmen steht B. Braun aus Melsungen (Schwalm-Eder) auf der "Liste der Schande" der Universität Yale. Denn nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verließen viele Unternehmen das Land, so wie auch der Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea mit Sitz in Kassel - B. Braun hingegen blieb dort.
Das Unternehmen erklärt auf hr-Anfrage, bei einem Rückzug vom russischen Markt könnten 7.000 Dialysepatienten sterben, wenn eine kontinuierliche Therapie ausbliebe. Deshalb komme das Unternehmen nur seiner Verantwortung einer humanitären Versorgung nach.
Was treibt B. Braun in Russland?
Das Familienunternehmen betreibt nach eigener Aussage weiterhin Dialysezentren und stellt in einer Fabrik bei Sankt Petersburg unter anderem Infusionslösungen und Zubehör her. Das brachte dem Unternehmen 2021 laut Nachrichtenagentur dpa rund 250 Millionen Euro Umsatz ein.
Wie hr-Recherchen zeigen, geht B. Brauns Engagement in Russland aber über die einfache medizinische Versorgung von Patienten hinaus. Immer wieder nahm das Unternehmen in den vergangenen Monaten an Konferenzen teil, bei denen auch russische Regierungsvertreter zu Gast waren.
Im Dezember 2022 ließ sich der Chefarzt von B. Braun Russland in Orenburg von dem dortigen Gouverneur mit einer staatlichen Auszeichnung, unterzeichnet von Wladimir Putin, ehren. Das geht aus Posts des russischen Tochterunternehmens von B. Braun auf Instagram hervor.
Auf hr-Nachfrage bestätigte das Unternehmen die Auszeichnung des Chefarztes für geleistete Dienste im Gesundheitswesen. Die Urkunde sei "wie jede vergleichbare Urkunde in Russland vom Präsidenten unterzeichnet".
Auch auf der Website eines Dialysezentrums des Tochterunternehmens Nephros in Krasnodar findet sich eine Urkunde, auf der ein B.-Braun-Mitarbeiter für seine militärischen Dienste geehrt wird.
Neutralität ist der Schlüssel
Magnus Obermann ist Russland-Experte bei der Londoner Unternehmensberatung Global Counsel. Er hat unter anderem an der Moskauer Hochschule für Internationale Beziehungen und der Peking University studiert und wirkte 2022 für die EU an den Russlandsanktionen mit.
Obermann findet das Verhalten der russischen B.-Braun-Mitarbeitenden problematisch: "Die Argumentation, als Pharma-Unternehmen da zu sein, ist ja, dass man neutral ist." Schließlich seien die Unternehmen vor Ort, um Leben zu retten. "Wenn man sich positioniert und solche Orden annimmt, spricht das nicht für Neutralität", so Obermann. Er würde sich etwas mehr Diskretion wünschen.
Doch nur Monate später gratuliert die russische Tochter von B. Braun mit einer anderen Instagram-Kachel zum sogenannten "Tag des Sieges" in Russland. Begleitet wird der Post von den Worten ""Niemand wird vergessen. Nichts wird vergessen".
Wie ist das mit der Unternehmenslinie einer Verurteilung des Krieges vereinbar? Bei dem Post bestehe kein Zusammenhang zum russischen Angriffskrieg, so eine Sprecherin des Unternehmens. Vielmehr werde am 9. Mai in Russland vor allem der im 2. Weltkrieg Gefallenen gedacht. Der Satz "Niemand wird vergessen. Nichts wird vergessen" beziehe sich auf dieses Gedenken.
Obermann sieht durchaus einen Zusammenhang. Immerhin sei der Tag des Sieges unter Putin neben vielen ultraorthodoxen Festen enorm aufgewertet worden. So sei er quasi zum inoffiziellen Nationalfeiertag geworden. Die auf dem Bild gezeigte Friedenstaube ähnelt den deutschen Friedensbewegungen, die auf ihren Kundgebungen immer wieder einen Friedensschluss mit der russischen Putin-Regierung fordern.
Auch russische Soldaten bekommen B. Braun-Produkte
Als Grund für den Verbleib in Russland betont B. Braun selbst immer wieder seine humanitäre Verantwortung als Medizinhersteller. Man kenne die Situation der Patienten vor Ort sehr genau, schreibt die Sprecherin des Unternehmens, und wisse, "dass sie aktuell auf eine kontinuierliche Versorgung und zum Teil lebensnotwendige Produkte und Therapien von B. Braun angewiesen sind".
In der ersten Genfer Konvention ist festgehalten, dass eine humanitäre Versorgung in Kriegszeiten nötig ist. Das bedeutet: Zivilisten und auch russische Soldaten haben nach dem völkerrechtlichen Abkommen ein universelles Recht auf medizinische Hilfe und Versorgung.
Unternehmen aus der Pharma- oder Medizinbranche sind deshalb zum Großteil von den westlichen Sanktionen gegen Russland ausgenommen. "Für die Lieferung zu medizinischen oder pharmazeutischen Zwecken oder für humanitäre Zwecke können Ausnahmegenehmigungen erteilt werden", schreibt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle dazu auf hr-Anfrage.
Keine rechtliche Pflicht, den russischen Markt zu verlassen
Doch viele Unternehmen produzierten durch Tochterfirmen bereits vor Kriegsbeginn direkt in Russland. Oft sind sie auch danach dortgeblieben - wie B. Braun. Für sie gibt es keine rechtliche Pflicht, den russischen Markt zu verlassen.
Unternehmensberater Magnus Obermann findet diese Ausnahmen korrekt: "Es wäre mit dem humanitären Völkerrecht schwerlich vereinbar zu sagen: Gut, dann verbluten die russischen Soldaten." Auch im Krieg gälten gewisse Gesetze.
An der russischen Front gebraucht
Dass die Produkte von B. Braun an der Front gebraucht werden, darauf gibt es Hinweise in russischen Internetforen. Auf der russischen Facebook-Kopie "VK" suchen viele Freiwillige nach Spenden für die Front.
Sie fragen dabei auch explizit nach B.-Braun-Produkten, wie etwa die Wundbehandlungslösung Prontosan. Dieses Prontosan handelte eine Tagungsschrift bei einer russischen Wissenschaftskonferenz bereits im Jahr 2018 als mögliches Behandlungsmittel für Schussverletzungen. Ob die Produkte dafür genutzt werden, ist allerdings unklar.
Man habe im letzten Jahr die russischen Kunden überprüft, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Melsunger Unternehmens, und könne sicherstellen, "dass wir nicht direkt an sanktionierte Personen liefern".
Wenn ein Unternehmen aber die Entscheidung treffe, in Russland zu bleiben und dort Geschäfte zu machen, dann nehme es in Kauf, dass diese Produkte auch im Krieg eingesetzt würden, so Russland-Experte Obermann: "Genau das ist die moralische Schwierigkeit hier, gerade, wenn es sich um medizinische Produkte handelt."
Eine "zynische Ausrede"?
Der US-amerikanischen Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld, der die Liste der Schande federführend zusammenstellt, hält die humanitäre Verantwortung B. Brauns für einen Vorwand.
Für die Dialysemöglichkeiten gäbe es laut Sonnenfeld aber lokale Alternativen: "Also ist das Wohlergehen dieser Russen nicht gefährdet", sagt er. "Das ist lediglich eine zynische Ausrede, eine Ausrede für Feigheit und Gier und institutionelle Trägheit."
Sonnenfeld forscht bereits seit 35 Jahren an wirtschaftsethischen Phänomenen. Das Argument seiner Forschungsgruppe: Erst wenn die russische Bevölkerung sich unter den Sanktionen wirklich unwohl fühle, könne ein voller wirtschaftlicher Druck entfaltet werden.
Dieses Denken habe er vom Friedensnobelpreisträger und Menschenrechtsaktivisten Desmond Tutu gelernt, so Sonnenfeld: "Anders als die staatlichen Sanktionen stärkt der mutige und massive Rückzug von Unternehmen des Privatsektors den Protest in einer tiefgreifenden, sichtbaren und symbolischen Weise."
Im Vorgehen gegen Südafrikas Apartheid-Regime habe diese Art des Boykotts bereits funktioniert. Auch nach dem Überfall auf die Ukraine verließen andere hessische Unternehmen wie Wintershall DEA den russischen Markt.
Ohne Zustimmung der Regierung, kein Verlassen des Marktes
Doch ist das oft sehr kompliziert. Mehr darüber weiß Thomas Heidemann. Er ist Rechtsanwalt bei der Düsseldorfer Sozietät CMS und darauf spezialisiert, Unternehmen beim Verlassen des russischen Marktes zu beraten. "Es gibt russische Gegenmaßnahmen, die eben genau das verhindern wollen", sagt er.
Seit Kriegsbeginn und dem Inkrafttreten der EU-Sanktionen benötige es für einen Verkauf oder das Verlassen des Landes die Zustimmung einer Regierungskommission. Diese Prozedur dauere mindestens drei Monate und laufe höchst intransparent ab. So gäbe es in Russland keine Notare mehr, die solche Geschäfte beurkunden würden. "Mit anderen Worten: Das funktioniert so nicht", erklärt Heidemann. Auch die Registrierungsbehörden würden keine Eintragung mehr vornehmen, wenn keine Erlaubnis der Kommission vorgelegt wird.
Internationale Risiken vermeiden
An der russischen Regierung führe also kein Weg vorbei, wenn ein Unternehmen den Markt verlassen wolle, so Heidemann. Durch Rechtshilfeabkommen könnten international tätige Unternehmen zudem auch im Ausland belangt werden, wenn sie die Verträge mit Russland brechen.
Dann kämen auch in China oder Indien hohe Schadensersatzforderungen auf die Unternehmen zu. Ob ein Unternehmen dieses Risiko in Kauf nehmen wolle, müsse es also am Ende selbst entscheiden.
B. Braun hat diese Entscheidung offenbar schon getroffen. In einer E-Mail der Firma an den hr heißt es: "Seit Beginn des Krieges haben wir bei B. Braun die Menschen vor Ort sowie unsere Kolleginnen und Kollegen auf vielfältige Weise unterstützt und werden dies auch weiterhin tun." Den russischen Angriffskrieg verurteilt das Unternehmen offiziell aufs Schärfste.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 09.06.2023, 19.30 Uhr
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