Zu viel Arbeit, zu schlechte Bezahlung Werbeaktion für neue Mitarbeiter fällt Finanzamt auf die Füße
Das hessische Finanzministerium sucht Nachwuchs für die Steuerbehörden, per E-Mail im persönlichen Umfeld der Beschäftigten. Es locken Prämien bis zu 800 Euro. Das Echo ist groß - allerdings gibt es hauptsächlich Kritik an der Idee der Behörde.
Ende November hat das hessische Finanzministerium das eigene Personal aufgerufen, für die Ausbildung in der Steuerverwaltung ein gutes Wort einzulegen. "Für das Gewinnen von talentierten Anwärterinnen und Anwärtern sind Sie, die Beschäftigten, nach wie vor unser bester Werbeträger. Sie erzählen Ihrer Familie, Ihren Bekannten und Freundinnen und Freunden von unserem Studium oder der Ausbildung und machen Lust darauf, Teil unserer Steuerverwaltung zu werden."
So steht es in einer E-Mail, die die Zentralabteilung großflächig verschickt hat. Und es winkt eine großzügige Prämie von bis zu 800 Euro. "400 Euro bei der Einstellung und 400 Euro, wenn im gehobenen Dienst die Zwischenprüfung bestanden, beziehungsweise wenn im mittleren Dienst das erste halbe Jahr der Ausbildung erfolgreich absolviert worden ist."
"Übervorteilt und nach Gutsherrenart besoldet"
Die Initiative mit dem Titel "Boost your Team" soll helfen, bis August 800 Ausbildungsstellen in Hessens Steuerverwaltung zu besetzen, die bislang noch nicht besetzt werden konnten, weil es nicht ausreichend Bewerber gibt.
Doch die Reaktion auf die Mail ist nicht so ausgefallen, wie sich das Ministerium das wohl gewünscht hat. Ein südhessischer Finanzbeamter hat den großen Mailverteiler sogleich für eine Retourkutsche genutzt. Es sei "schlimm genug, vom eigenen Dienstherrn - durch schamlose Ausnutzung des Streikverbots bei den Beamten - übervorteilt und nach Gutsherrenart besoldet beziehungsweise behandelt zu werden", antwortet der Mann an den Verteiler. Er werde "sicherlich nicht dabei mithelfen, dies meiner Familie, Bekannten und Freundinnen und Freunden ebenfalls anzutun".
Hunderte kritisieren die Behörde
Der Beamte traf mit seiner Reaktion offenbar einen Nerv. Nach seiner Replik hagelte es zahlreiche Stellungnahmen - tagelang. Um die 800 Mails dazu sollen inzwischen aufgelaufen sein. Der Kritiker erfährt massive Unterstützung. Hier eine kleine Auswahl der Antworten, die dem hr vorliegen.
Endlich spricht jemand die unbequeme Wahrheit aus. Wann merken eigentlich unsere Politiker, wie tief die Stimmung bei den Kolleginnen und Kollegen gesunken ist?Zitat Ende
Was hier in den Postfächern passiert, ist ein deutlicher und legitimer Protest, der zeigt, wie weit sich die Situation zugespitzt hat.Zitat Ende
In allen Ämtern, die ich besuche, herrscht die gleiche schlechte Stimmungslage vor.Zitat Ende
Ich finde es mehr als bedauerlich, wenn ich nach mehr als 40 Jahren in der Finanzverwaltung sage: Das ist nicht mehr mein Finanzamt.Zitat Ende
In vielen E-Mails ist von Überlastung und langen Arbeitszeiten die Rede. Im Mittelpunkt der Kritik steht aber die Bezahlung. Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat die Beamtenbesoldung in Hessen zwischen 2013 und 2020 für verfassungswidrig erklärt. Ganz unten im Tableau war dem Gericht zufolge der Abstand zur Grundsicherung zu gering - oder gar nicht vorhanden. Inzwischen hat das Land nachgebessert.
Steuergewerkschaft: Es ist nicht genug
Nicht genug, findet der Landesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Michael Volz. "Die Nachbesserung reicht bei weitem nicht aus. Die Landesregierung erwartet von ihren Beschäftigten, dass sie die Gesetze befolgen und administrieren." Mit dem gleichen Recht erwarteten die rund 16.000 Beschäftigten der Finanzbehörden von der Landesregierung eine verfassungskonforme Besoldung, so der Gewerkschafter.
Er bestätigt die allgemein schlechte Stimmung in Hessens Finanzbehörden. Gewerkschaften und Personalräte seien als Gesprächspartner gar nicht mehr gefragt. "Inzwischen wird entschieden und nach unten durchregiert." Über Kritik an "Kopfgeld-Prämien", wie sie nun angeboten werden, müsse man sich in einem solchen Umfeld nicht wundern.
Tausende legen Widerspruch gegen Besoldung ein
Viele tausend Beamtinnen und Beamte aus der Lehrerschaft, der Polizei oder eben aus der Finanzverwaltung haben gegen ihre Besoldung in Hessen Widerspruch eingelegt. Das letzte Wort hat nun das Bundesverfassungsgericht.
Auch wer beim Land Hessen als Angestellte oder Angestellter arbeitet, hat bei der Bezahlung wenig Grund zur Freude: Der neue Tarifabschluss gilt für sie nicht. Aus dem Länderbündnis, das den Abschluss ausgehandelt hat, hat sich Hessen schon vor langer Zeit verabschiedet - und muss nun im Februar selbst einen neuen Tarif aushandeln.
Ministerium vom Prämienprogramm überzeugt
Im Wiesbadener Finanzministerium glaubt man trotz alledem, dass die Personalsuche mit Prämien für Beschäftigte ein Erfolg wird. In einer schriftlichen Antwort an den hr heißt es: "Da sich der Kampf um die besten Köpfe bei gleichzeitig sinkenden Schülerzahlen und größeren Personalbedarfen in Wirtschaft und Betrieben Jahr für Jahr schwieriger gestaltet, bedarf es fortwährend kluger und kreativer Ideen der Personalgewinnung."
Die direkten Rückmeldungen per E-Mail sehe man positiv, geballte Kritik kann das Ministerium darin offenbar nicht erkennen. "Das Prämienprogramm wird tatsächlich als weiterer, äußerst positiver Baustein angenommen und aufgefasst. Obwohl das Programm erst seit Kurzem eingeführt sei, nehme die Zahl der Bewerbungen bereits einen erfreulichen Verlauf."
"Dürrer Baum mit immer mehr Lametta"
Mag sein. Viele hundert E-Mails könnten aber eben auch ein Beleg dafür sein, dass es in den Finanzämtern rumort. In einer dieser Mails heißt es passend zur Jahreszeit: Hessens Finanzverwaltung erinnere an einen dürren Weihnachtsbaum, an den man immer mehr Lametta hänge, um die kahlen Stellen zu kaschieren.
Sendung: hr-iNFO, 15.12.2023, 06.20 Uhr
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