Unterstützung wird zum Fallstrick Jede dritte hessische Firma muss Corona-Hilfen zurückzahlen
Knapp 18 Milliarden Euro haben Bund und Land in Hessen an die Betriebe ausgezahlt, um sie durch die Corona-Pandemie zu bringen. Für diese Hilfen waren viele Unternehmen dankbar. Teilweise heißt es jetzt aber: Bitte Geld zurück!
Das hessische Startup Connfair hat 335.000 Euro an Corona-Hilfen bekommen. Geld, das die junge Software-Firma aus Weiterstadt gut gebrauchen konnte, um zum Beispiel die Löhne ihrer 14 Mitarbeiter zu zahlen, meint Arne Schäufele, einer der Gründer. Vor wenigen Wochen teilte ihnen das Regierungspräsidium Gießen allerdings mit, dass sie davon 180.000 Euro zurückzahlen müssten - mindestens.
Das Führungsteam von Connfair stellt sich darauf ein, dass es vielleicht sogar die ganzen Hilfen zurückgeben muss. "Dafür müssen wir im Unternehmen entsprechend viel Geld zur Seite legen und sind dadurch überschuldet", erzählt der 37-jährige Schäufele, der aus Fürth im Odenwald stammt: "Am Ende hatten wir keine andere Wahl, als vor einem Monat Insolvenz anzumelden".
93 Millionen Euro wurden bisher zurückgefordert
Bund und Land hatten 2020 die Hilfen ins Leben gerufen. Firmen sollten dadurch Umsatzverluste durch die Pandemie ausgleichen und weiterhin alle Ausgaben stemmen können.
Die Hilfen bekamen die Unternehmen aber nur vorläufig, auf der Basis ihrer eigenen Schätzungen und Anträge. Deshalb müssen sie nun rückblickend noch eine Abschlussrechnung erstellen. Von dieser hängt ab, ob und wie viel Geld zurückfließt. Abgerechnet werden müssen konkret die Überbrückungshilfen, die November- und die Dezemberhilfen.
Beim hessischen Wirtschaftsministerium heißt es, insgesamt rechne man mit 68.000 Abrechnungen, davon seien schon rund 49.000 eingegangen. Bisher müsse fast jedes dritte Unternehmen (32 Prozent) Corona-Hilfen zurückzahlen. Mit der Bearbeitung der Abschlussabrechnungen befassen sich die hessischen Regierungspräsidien. Und allein beim Regierungspräsidium Gießen belaufen sich die Rückforderungen bisher auf insgesamt 93 Millionen Euro.
Insgesamt haben Bund und Land knapp 18 Milliarden Euro an die Betriebe ausgezahlt.
Unternehmer: "Wir hätten das gerne direkt gewusst"
Über diese Rückzahlungen wollen wenige so offen reden wie die Firma Connfair. Der Fall des Startups ist allerdings auch eher ungewöhnlich. Denn Connfair bietet Software an, um bei Veranstaltungen Teilnehmer per App einzulassen. Außerdem kann darüber jederzeit kontrolliert werden, wie viele Menschen vor Ort sind und wo sich die meisten aufhalten.
Als die Corona-Hilfen aufkamen, war Connfair gerade dabei, die Software auf den Markt zu bringen. Daher konnte das Unternehmen bisher keinen nennenswerten Umsatz vorweisen. Insofern war durch die Pandemie im Vergleich zum Vorjahr auch kein Umsatzverlust zu erwarten – was aber genau die Grundvoraussetzung für die Hilfen war.
Weil die Corona-Krise Connfair dennoch in Schwierigkeiten brachte, etwa aufgrund der monatelangen Veranstaltungsverbote, beantragte die Firma die Hilfen trotzdem und bekam sie. Zu Recht, wie der Mitgründer Schäufele findet: "Wenn das nicht so gewesen sein sollte, hätten wir das gerne direkt gewusst." Denn dann hätte das Unternehmen stattdessen zum Beispiel Kurzarbeit beantragt.
Das Geld ist in vielen Fällen schon investiert
Welche Fälle nach Angaben des hessischen Wirtschaftsministeriums deutlich häufiger auftreten: Unternehmen müssen Corona-Hilfen zurückzahlen, weil sie im Vorfeld die Umsatzausfälle durch die Pandemie zu hoch eingeschätzt haben. Das sei für viele Cafés, Restaurants und Hotels ein Problem, da sie gerade so durch die Pandemie gekommen seien, heißt es beim Hotel- und Gastronomieverband Dehoga Hessen.
Die Firmen hätten die Hilfen dringend gebraucht, um die Löhne ihrer Mitarbeiter zu zahlen und um in Masken, Desinfektionsmittel und Webshops zu investieren, erklärt Dehoga-Geschäftsführer Oliver Kasties: "Jetzt ist dieses Geld investiert und das macht es schwierig, die Corona-Hilfen zurückzuzahlen." Der Verband befürchtet deshalb, dass langfristig jeder zehnte Betrieb aufgeben werde.
"Diese Betriebsschließungen dürften vor allem kleinere Unternehmen betreffen", ergänzt Hartmut Ruppricht, der Präsident der Steuerberaterkammer Hessen: "Es handelt sich dabei um verzögerte Insolvenzen, weil die Betriebe die Hilfen am Anfang zu hoch geschätzt haben."
Ein weiteres Problem ist laut Ruppricht, dass die Firmen die Anträge zwar unter Beachtung der damals geltenden Regeln gestellt haben. Aber diese Regeln hätten sich im Laufe der Zeit zum Teil geändert, auch deshalb müssten Corona-Hilfen zurückgezahlt werden. Dazu haben die Firmen laut Ruppricht dann immerhin sechs Monate Zeit und sie können sie zum Beispiel auch in Raten abzahlen.
Ende September läuft endgültig die Frist ab
Haben Betriebe Corona-Hilfen bekommen, müssen sie bis spätestens Ende September die Abschlussrechnungen abgeben. Ansonsten müssen sie das gesamte Geld zurückzahlen. Nach Angaben des hessischen Wirtschaftsministeriums fehlen bisher immer noch etwa 19.000 Abrechnungen.
"Eine Vielzahl dieser Fälle kann damit zusammenhängen, dass Steuerberater im Auftrag von Unternehmen Anträge auf Hilfen gestellt haben, aber offenbar unter Vorspiegelung falscher Tatsachen", meint der Präsident der Steuerberaterkammer Ruppricht. Wenn sich so ein Verdacht erhärte, müssten die Steuerberater das Mandat niederlegen. In diesen Fällen dürften dann keine Abschlussrechnungen mehr kommen.
Aktuell ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt in Hessen in zwei großen Ermittlungskomplexen wegen des Verdachts des Subventionsbetrugs. Die Ermittlungen richten sich jeweils nicht nur gegen Unternehmer, sondern auch gegen ihre Steuerberater. Einer stammt aus dem Landkreis Groß-Gerau, zwei weitere aus Mittelhessen. Die umfangreichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.