Kein Haushalt, keine Investitionen Finanzchaos bei der Gemeinde Kirchheim
Kirchheim hat ein Problem: Für 2025 wird es in der osthessischen Gemeinde keinen genehmigten Haushalt geben – und damit auch keine Investitionen. So wie die Jahre zuvor. Die Verantwortlichen schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu.
Keine neue Kita, kein Gerätehaus für die Feuerwehr: In Kirchheim (Hersfeld-Rotenburg) hängt der Haussegen schief – oder besser gesagt: der Haushaltssegen. Denn die 4.000-Einwohner-Gemeinde wird wohl auch 2025 kein Geld in die Hand nehmen können. Der Grund: ein genehmigter Haushalt steht in den Sternen. Denn seit 2016 liegt für den Eigenbetrieb Gemeindewerke kein genehmigter Jahresabschluss mehr vor - und der ist Grundlage für eine Haushaltsgenehmigung.
Dabei hatte der Hessische Rechnungshof die Gemeinde 2018 geprüft und den Haushalt im Prüfungszeitraum als "fragil" beurteilt - und die Stabilität künftiger Haushalte als gefährdet eingeschätzt. Dazu habe die Gemeinde "gegen den Grundsatz der Einnahmenbeschaffung" verstoßen. Konkret ging es seinerzeit um zu niedrige Gebühren für Wasser, Abwasser und Friedhofsabgaben.
Wie konnte es so weit kommen?
Doch wer hätte eingreifen können, um die finanziell schwierige Situation der Gemeinde zu verhindern? Kirchheim selbst? Oder der Landkreis Hersfeld-Rotenburg? Oder das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Kontrollbehörde? Egal wo man fragt, schuld ist immer ein anderer - oder man möchte sich nicht dazu äußern.
Wie konnte es so weit kommen? Das fragt sich auch Bürgermeister Axel Schmidt (CDU), der das Amt 2022 von seinem Vorgänger übernommen hat. Nach seiner Einschätzung sei es in den vergangenen Jahren zu "schweren Versäumnissen" gekommen. "Wir sind nicht wirklich handlungsfähig", sagt er. Dass es für Bürgerinnen und Bürger erstmal teurer wird, das hat Schmidt bereits auf einer Bürgerversammlung angekündigt.
Wirtschaftsprüfer bescheinigt mangelnde Prüffähigkeit
Eigentlich hatte der Bürgermeister geplant, die Kirchheimer Finanzen schnell in den Griff zu bekommen. Bis dann die "Hiobsbotschaft" eintrudelte, so Schmidt. Gemeint ist das Schreiben eines Wirtschaftsprüfers, das dem hr vorliegt.
Darin hatte der beauftragte Wirtschaftsprüfer der Gemeinde eine "mangelnde Prüffähigkeit" der Jahresabschlüsse attestiert. Der Grund: Die Belegablage sei nicht vollständig und entspreche nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchhaltung und Bilanzierung. Der Prüfer empfiehlt der Gemeinde, ihre Buchhaltung zu überarbeiten und die festgestellten Mängel zu beseitigen.
Vielschichtige Gemeindestruktur – vielschichtige Probleme?
Im Rathaus der Gemeinde zwischen A7 und A4 kämpft man derweil mit Ordnerbergen, losen Blättern, Belegen und Rechnungen: vor allem aber mit dem, was nicht da ist. Dabei fängt das Team rund um die neue Kämmerin Tanja Brand bei null an. Die Buchführung ab dem 1. Januar 2016 muss komplett neu aufgebaut werden.
Die Gründe für die chaotischen Verhältnisse sind komplex: sie haben unter anderem mit einer vielschichtigen Gemeindestruktur zu tun. So muss Kirchheim neben einem Jahresabschluss für die Gemeinde auch noch einen für die Gemeindewerke vorlegen.
Und das ist offenbar vor allem für die Gemeindewerke nur unzureichend geschehen, wie Brand feststellen musste: "Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Datenverarbeitung sind hier meines Erachtens für die Gemeindewerke mit Füßen getreten worden." Beschlossen ist bereits, dass die Gemeindewerke als Eigenbetrieb aufgelöst werden - allerdings nur, wenn bis dahin alle Jahresabschlüsse gestemmt werden können.
Ihrem Vorgänger wirft Brand mangelnde Kooperation vor – so habe weder eine Übergabe noch eine Zusammenarbeit stattgefunden. Vielmehr habe sie ein absolutes Chaos vorgefunden. Das hat für Brand auch persönliche Folgen. Von einem 8-Stunden-Job hat sie sich schon lange verabschiedet.
Die Bilanzsumme unterscheidet sich: Sind es für die Gemeinde rund 15 Millionen Euro, entfallen auf die Gemeindewerke etwa 40 Millionen. Denn dorthin sind viele Aufgaben ausgelagert worden, so etwa Wasser, Abwasser und Immobilien.
Jetzt hängt es vor allem bei den Gemeindewerken. Hier sind die Jahresabschlüsse erst bis 2015 geprüft. Allein für das Jahr brauchte ein Prüfer laut Bürgermeister Schmidt zwei Jahre, weil er so viele Unterlagen nachfordern musste. Mittlerweile sind die Jahresabschlüsse bis 2019 aufgestellt, aber noch nicht geprüft. Doch das reicht nicht. Will die Gemeinde 2025 einen Haushalt haben, müssen alle Jahresabschlüsse bis 2023 prüffähig vorliegen.
Zwei Jahresabschlüsse: Gemeinde und Gemeindewerke
Die Bilanzsumme unterscheidet sich: Sind es für die Gemeinde rund 15 Millionen Euro, entfallen auf die Gemeindewerke etwa 40 Millionen. Denn dorthin sind viele Aufgaben ausgelagert worden, so etwa Wasser, Abwasser und Immobilien.
Jetzt hängt es vor allem bei den Gemeindewerken. Hier sind die Jahresabschlüsse erst bis 2015 geprüft. Allein für das Jahr brauchte ein Prüfer laut Bürgermeister Schmidt zwei Jahre, weil er so viele Unterlagen nachfordern musste. Mittlerweile sind die Jahresabschlüsse bis 2019 aufgestellt, aber noch nicht geprüft. Doch das reicht nicht. Will die Gemeinde 2025 einen Haushalt haben, müssen alle Jahresabschlüsse bis 2023 prüffähig vorliegen.
Buchhaltung in "desaströsem Zustand"
"Die Buchhaltung der Gemeindewerke ist in einem desaströsen Zustand", konstatiert auch Bürgermeister Schmidt. Bei seinem Amtsantritt habe er ein "absolutes Chaos" vorgefunden. Schmidt ist vom Fach, hat früher bei einer Bank gearbeitet und ist dann bei der Kriminalpolizei für Korruptionsdelikte zuständig gewesen. In Kirchheim seien über Jahre haushaltsrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten worden, so Schmidt.
Er führt das unter anderem auf eine völlig veraltete Buchhaltungssoftware zurück, die bis vor kurzem für die Jahresabschlüsse der Gemeindewerke genutzt wurde. Installiert war sie auf einem einzigen Rechner - zu dem lediglich der ehemalige Kämmerer und Chef der Gemeindewerke Zugriff hatte. Der Mitarbeiter sei während seiner Zeit in der Gemeindeverwaltung offenbar nicht kontrolliert worden, wundert sich Schmidt.
Fall von Überforderung?
Die Verantwortung dafür sieht er bei seinem Amtsvorgänger Manfred Koch (SPD). Dieser hätte sehen müssen, dass beim Kämmerer eine Überforderung vorgelegen habe, so Schmidt. Koch habe versäumt, rechtzeitig zu handeln, obwohl die fehlenden Zahlen lange bekannt gewesen seien.
Ein externer Dienstleister, der die Finanzen ordnen sollte, hatte den Chaos-Eindruck im Rathaus bestätigt. In einer Mail aus dem April heißt es, die Dateien 2017 bis 2022 seien ein absolutes Chaos und "für die zu erstellenden Jahresbuchhaltungen nicht valide".
Schmidt fragt sich, ob man zivilrechtlich jemanden haftbar machen könne, immerhin seien durch externe Dienstleister, wie den Wirtschaftsprüfer, Mehrkosten für die Gemeinde entstanden.
Ex-Bürgermeister Koch: "Stillstand im Vergleich zu meiner Amtszeit"
Dass Kritik von der amtierenden Rathaus-Besetzung kommt, kann Ex-Bürgermeister Koch nicht verstehen. Das wahrgenommene Chaos schiebt er eher auf "verschiedene Denkweisen" der Verantwortlichen. Er könne sich nicht vorstellen, dass Buchungen nicht nachvollziehbar seien. Dass die Gemeinde keinen finanziellen Spielraum mehr hat, beschäftigt auch Koch.
Im Vergleich zu seiner Amtszeit nehme er derzeit Stillstand wahr. Das Ende der Zusammenarbeit von Schmidt und dem Ex-Kämmerer hat Koch im Gegensatz zu seinem Amtsnachfolger anders erlebt.
Er habe Schmidt empfohlen, die Jahresabschlüsse vom bisherigen Kämmerer fertigstellen zu lassen, doch die Kooperation sei abrupt zu Ende gegangen, so Koch. "Man hat ihm den PC weggenommen und gesagt, du hast damit nichts mehr zu tun." Wie der ehemalige Kämmerer zu all dem steht, ist unbekannt. Er wollte sich auf Anfrage des hr nicht äußern.
Landkreis Hersfeld-Rotenburg: Beurteilung nicht möglich
Der Landkreis und das Kasseler Regierungspräsidium stehen in Kontakt mit der Gemeinde. Das RP Kassel teilte dem hr schriftlich mit, die finanzielle Aufsicht sei Aufgabe des Landrats von Hersfeld-Rotenburg. Man sei lediglich "für die Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung der Haushaltssatzung zuständig".
Man prüfe zwar, ob "die haushaltsrechtlichen Vorgaben an die Jahresabschlüsse erfüllt werden". Die Prüfung der Jahresabschlüsse erfolge jedoch nicht durch das Regierungspräsidium, sondern durch die Kommunalaufsicht des Landkreises, so der Sprecher.
Die Gemeinde Kirchheim war seit 2013 Schutzschirmkommune des Landes Hessen. Demnach war die Zuständigkeit für die Genehmigung von Haushaltssatzungen von der Kommunalaufsicht des Landkreises Hersfeld-Rotenburg zum Regierungspräsidium Kassel gewechselt. Nach Angaben eines RP-Sprechers waren für die Jahre 2017 bis 2020 keine Haushaltsgenehmigungen erteilt worden, da die Jahresabschlüsse von 2015 bis 2019 gefehlt hatten.
Für das Jahr 2021 konnte Kirchheim über einen genehmigten Haushalt verfügen, weil Anfang 2021 nachträglich die gemeindliche Vorlage prüffähig aufgestellter Jahresabschlüsse 2015 bis 2019 durch das Rechnungsprüfungsamt bestätigt wurde. Allerdings seien die haushaltsrechtlichen Vorgaben ab 2020 nicht mehr erfüllt worden, daher habe es seitdem keine weiteren Haushaltsgenehmigungen gegeben.
Rein formell steht die Gemeine Kirchheim seit 2019 nicht mehr unter dem Schutzschirm des Landes Hessen. Man arbeite aber von Seiten des RP "intensiv am Abbau der bisherigen Rückstände" und sei bezüglich aktueller haushaltsrechtlicher Fragestellungen mit der Kommune im Austausch.
Kirchheim jahrelang unter Schutzschirm
Die Gemeinde Kirchheim war seit 2013 Schutzschirmkommune des Landes Hessen. Demnach war die Zuständigkeit für die Genehmigung von Haushaltssatzungen von der Kommunalaufsicht des Landkreises Hersfeld-Rotenburg zum Regierungspräsidium Kassel gewechselt. Nach Angaben eines RP-Sprechers waren für die Jahre 2017 bis 2020 keine Haushaltsgenehmigungen erteilt worden, da die Jahresabschlüsse von 2015 bis 2019 gefehlt hatten.
Für das Jahr 2021 konnte Kirchheim über einen genehmigten Haushalt verfügen, weil Anfang 2021 nachträglich die gemeindliche Vorlage prüffähig aufgestellter Jahresabschlüsse 2015 bis 2019 durch das Rechnungsprüfungsamt bestätigt wurde. Allerdings seien die haushaltsrechtlichen Vorgaben ab 2020 nicht mehr erfüllt worden, daher habe es seitdem keine weiteren Haushaltsgenehmigungen gegeben.
Rein formell steht die Gemeine Kirchheim seit 2019 nicht mehr unter dem Schutzschirm des Landes Hessen. Man arbeite aber von Seiten des RP "intensiv am Abbau der bisherigen Rückstände" und sei bezüglich aktueller haushaltsrechtlicher Fragestellungen mit der Kommune im Austausch.
Doch der Landkreis möchte sich zur Causa Kirchheim trotz mehrfacher Anfrage nicht ausführlich äußern. Die Angelegenheit befinde sich "in einem umfänglichen Prüfungsverfahren sowohl seitens des Regierungspräsidiums Kassel, des Rechnungsprüfungsamtes und der Kommunalaufsicht des Landkreises Hersfeld-Rotenburg", so ein Sprecher.
Weitere Auskünfte wolle man nicht geben, "um die sachgemäße Durchführung der vorgenannten komplexen Verfahren nicht zu gefährden oder gar zu vereiteln".
Und Schmidt? Der wollte die Finanzen sortieren und mit einem genehmigten Haushalt als neuer Bürgermeister starten. Mittlerweile fürchtet er, dass das Ordnen eine komplette Amtszeit in Anspruch nehmen wird - und es dauert, bis Kirchheim mal wieder einen Haushalt genehmigt bekommt.