Ärger in Osthessen Kommunen drohen mit Klage gegen Pläne für neue ICE-Strecke
Im Kampf gegen Pläne für den Bau einer ICE-Strecke zwischen Fulda und Gelnhausen haben sich vier Bürgermeister zusammengeschlossen. Sie drohen Bahn und Behörden mit einem Gang vors Gericht.
Massiver Widerstand regt sich in den Kreisen Main-Kinzig und Fulda gegen den geplanten Verlauf der Bahn-Neubaustrecke zwischen Gelnhausen und Fulda. Die Bürgermeister von Bad Soden-Salmünster, Steinau an der Straße, Schlüchtern (alle Main-Kinzig) und Kalbach (Fulda) erläuterten am Dienstag in der Stadthalle Schlüchtern ihre Kritik. Die vier parteilosen Rathaus-Chefs drohen sogar mit einer Klage gegen das 2014 gestartete Schienenbau-Projekt.
Die Deutsche Bahn favorisiert nach jahrelanger Trassen-Suche die sogenannte Variante IV. Die verläuft nahe Bad Soden-Salmünster, Steinau an der Straße, Schlüchtern und durch Kalbach. Laut Bahn ist es die beste und umweltverträglichste Option. Zudem sei die mehr als 44 Kilometer lange Variante aus verkehrlicher und volkswirtschaftlicher Sicht am geeignetsten.
"Fehler und Mängel entdeckt"
Die Rathaus-Chefs der vier Kommunen stützen sich bei ihrem Protest auf Experten, die die Beurteilung zum Trassenverlauf untersucht haben. Dabei wollen sie Fehler und Mängel entdeckt haben, wie Geograf Wulf Hahn erläuterte. Alternative Strecken wurden Hahn zufolge zu schnell ad acta gelegt. Und die favorisierte Variante sei zu einseitig beleuchtet worden.
Die Bahn hatte 13 Varianten in die engere Wahl genommen. Im Jahr 2018 gingen die Varianten IV und VII laut Bahn als beste Varianten aus dem Suchprozess hervor. Nach weiteren Nachforschungen blieb die Variante IV übrig, die durch die Gemeinde Kalbach führt. Aufatmen konnten Flieden und Neuhof (Fulda), die von der weiter nordwestlich verlaufenden Variante VII betroffen gewesen wären.
"Trasse beschränkt Wachstum"
Die Bürgermeister und Experten, die von den Kommunen aufgeboten wurden, präsentierten am Dienstag mehrere Kritikpunkte. So sei etwa nicht ausreichend berücksichtigt worden, wie stark die Trasse die Kommunen beim Wachstum und bei der Erweiterungen von Siedlungen beschränke.
Steinaus Rathauschef Christian Zimmermann sagte: "Bei der favorisierten Variante bekommen alle vier Kommunen enorme Probleme. Neubaugebiete könnten wegfallen, Wachstum würde behindert." Amtskollege Mark Bagus aus Kalbach fürchtet: "Die positive Entwicklung aller Kommunen wird bei der aktuell geplanten Variante IV für mindestens ein Jahrzehnt blockiert."
Bedenken wegen Lärmbelastung
Die Kommunen haben auch Bedenken wegen großer Lärmbelastung. Kalbachs Bürgermeister Bagus betonte: "Die geplante Strecke würde bei allen vier Kommunen für erhebliche Lärmbelästigung sorgen. Und das nicht nur während der Bauphase, sondern auch im laufenden Betrieb."
Zudem würden die Bauarbeiten mehreren Trinkwasserschutz-Gebieten, die es zu bewahren gelte, bedenklich nahe kommen. Die vier Bürgermeister wollen ihre Kritik noch einmal öffentlich an die Regierungspräsidien in Darmstadt und Kassel herantragen. Wenn das nichts hilft, wollen sie vor dem Verwaltungsgericht klagen.
Kritik: Planungen undurchsichtig
Die Argumentationen in der landesplanerischen Beurteilung seien undurchsichtig und nicht nachvollziehbar, sagte Steinaus Bürgermeister Zimmermann. Die einseitige Bevorzugung der Variante IV bedrohe die Entfaltung der vier Kommunen über die Maßen.
Rechtsanwalt Andreas Ruckelshausen, der die Kommunen berät, befand: Die Beurteilung zur favorisierten Variante IV stelle lediglich eine "gutachterliche Äußerung" dar. Sie habe aber keine verbindliche Wirkung. "Erst im jetzt folgenden Planfeststellungsverfahren wird über die Zulassung der Variante IV entschieden und noch offenstehende fachliche und rechtliche Fragen geklärt."
Bedenken werden nochmal gehört
Das Planfeststellungsverfahren, das frühestens 2027 beginnt, ist im Genehmigungs-Marathon die Phase, in der es vereinfacht gesagt um den Bauantrag mit konkreten Zeichnungen geht. Dabei prüfen die Behörden, ob die Planungen zuvor korrekt und ausreichend sind. Kommunen und Bürger können auch dann noch mal ihre Bedenken öffentlich vortragen.
Erst dann wird mit dem Bau begonnen. Geograf Wulf rechnet mit einer Bauzeit von sieben bis zehn Jahren, wie er am Dienstag sagte. Denn auf den mehr als 44 Kilometern soll es über 30 Kilometer Tunnel geben.
"Egal welche Variante am Ende realisiert wird: Es wird immer Gewinner und Verlierer geben", sagte Schlüchterns Bürgermeister Matthias Möller. "Das ist uns bewusst. Wir haben auch keinen favorisierten Streckenverlauf, sondern fordern schlicht, dass das Verfahren sauber und nachvollziehbar abläuft. Und dafür werden wir weiterhin kämpfen."
Behörde wehrt sich gegen Vorwürfe
Das RP Kassel wehrte sich in einer Stellungnahme gegen den Vorwurf der Bürgermeister, wonach die Behörde die Pläne durchgewunken habe. "Es wurde keine Stellungnahme und kein Einwand ignoriert", sagte ein Sprecher der Genehmigungsbehörde in Kassel.
Alle Prüfungen seien ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert worden. Dass es im weiteren Verfahren noch auf eine andere als die Variante IV hinauslaufe, sei theoretisch möglich, aber ohne eine neue Faktenlage kaum denkbar.
Sendung: hr4, 27.06.2023, 14.30 Uhr
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