Kritik an Digital-only-Angeboten Datenschützer und Sozialverband kritisieren "Digitalzwang"
Bahntickets kaufen per App, Pakete abholen mit dem Smartphone: Was viele als Fortschritt feiern, stößt auch auf Kritik. Nicht alle können oder wollen digitale Zugänge zu Unternehmensangeboten nutzen. Das betrifft nicht nur Ältere.
Detlev Sieber, Digitalunternehmer aus Wiesbaden, trauert einem Stück Plastik nach: seiner Bahn Card 100. Damit konnte er so viel Bahn fahren, wie er wollte. Und er brauchte keine Fahrten mit der Bahn-App zu buchen.
In der App sieht Sieber eine Datenkrake, die mehr Kundendaten erhebe als nötig. Doch die Bahn Cards aus Plastik wurden abgeschafft, die Deutsche Bahn bietet stattdessen eine digitale Variante an.
Sieber engagiert sich im Verein Digitalcourage, der gegen aus seiner Sicht übergriffige Auswüchse der Digitalisierung kämpft. Der Verein geht juristisch gegen die Bahn-App DB Navigator vor. In seiner Klage, die beim Landgericht Frankfurt anhängig ist, bemängelt der Verein: Die App übertrage Daten an Drittanbieter, ohne dass die Nutzer dies abstellen könnten. Daraus gehe hervor, wann und wie die App genutzt werde.
Die Deutsche Bahn weist die Kritik zurück. Auf hr-Anfrage versichert eine Sprecherin, man gehe sorgsam und gesetzeskonform mit Kundendaten um. Zu Werbezwecken würden Daten nur genutzt, wenn die Kunden ausdrücklich zugestimmt hätten.
18 Millionen Menschen ohne Smartphone
Beim Verein Digitalcourage machen vor allem Menschen mit, die sich mit digitaler Technologie gut auskennen. Sie wehren sich gegen bestimmte Angebote, weil sie um ihre privaten Daten fürchten.
Weitaus mehr Menschen wollen aber keine Apps nutzen, weil sie mit digitaler Technik insgesamt fremdeln. Etwa, weil sie sich dafür zu alt fühlen oder ihnen das Geld für ein entsprechendes Endgerät fehlt.
18 Millionen Menschen in Deutschland haben kein Smartphone. Drei Millionen nutzen das Internet überhaupt nicht, wie der hessische Datenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel sagt. So viele Menschen von bestimmten Angeboten auszuschließen, sei eine Diskriminierung. Das sei unzulässig. Roßnagel fordert von Unternehmen und Verwaltungen, ihre Produkte und Dienstleistungen durchweg auch analog anzubieten.
Analoge Produkte hätten zudem den Vorteil, datensicherer zu sein. Pakete zum Beispiel könne man auch abholen, ohne Daten außer der Adresse anzugeben, sagt Roßnagel.
Packstation nur mit Smartphone
Der Datenschutzbeauftragte spielt auf die Packstationen des Versandunternehmens DHL an. Um sie nutzen, sind ein digitales Kundenkonto und eine App nötig. Bis vor drei Jahren konnte man auch ohne Handy Pakete an der Packstation abholen, nämlich mit einer DHL-Kundenkarte. Jetzt muss man einen QR-Code scannen.
Sicherlich kann man sich Pakete und Päckchen an die Haustür oder in einen Postshop schicken lassen. Aber die praktischen Packstationen nutzen können nur noch Smartphone-Besitzer.
Wissings Parole "Digital only"
Was DHL an den Packstationen macht, dürfte Noch-Bundesdigitalminister Volker Wissing (parteilos) gefallen. Beim Digitalgipfel der Bundesregierung in Frankfurt im Herbst 2024 gab er in bestem Denglisch die Parole aus: "Deutschland goes digital, und wenn's nach mir geht, digital only."
Beides anzubieten, einen analogen und einen digitalen Bezugsweg, sei auf die Dauer zu teuer für Unternehmen und Verwaltungen, sagte Wissing. Sinnvoller sei, den Digital-Muffeln Hilfe anzubieten. Wenn analoge Angebote wegfielen, sei der Anreiz größer, sich mit der digitalen Welt vertraut zu machen, glaubt der Ex-FDP-Minister.
Ein Viertel der Deutschen sind Rentner
Seit Jahren spricht sich der Sozialverband VdK gegen eine aus seiner Sicht eindimensionale Digitalisierung aus. Unter der Überschrift "Digitalisierung führt zu Ausgrenzung!" schimpfte der VdK-Landesverband Hessen-Thüringen im Juni 2024 über das Aus für die Plastik-Bahn-Card.
Man dürfe über der Digitalisierung - in welchem Ausmaß sie in Deutschland auch ausgeprägt sein mag - "nicht vergessen, dass sich zwischen der jüngeren und älteren Generation eine digitale Kluft auftut". Viele ältere Menschen hätten kein Smartphone oder keinen Computer.
In Deutschland leben mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner. Das entspricht einem Viertel der Gesamtbevölkerung. Der VdK Hessen-Thüringen zitiert eine Umfrage, wonach drei Viertel der Befragten nicht einverstanden waren mit der digitalen Bahn Card.
Auch um gerade älteren und womöglich weniger mit Smartphone & Co. vertrauten Menschen bessere Teilhabe zu ermöglichen, fordert zum Beispiel der Seniorenbeirat der Stadt Frankfurt eine Digitalinitiative für Senioren: "Die Bewältigung des Alltags darf nicht beeinträchtigt werden, weil der Zugriff aufs Internet nicht eingeübt ist." Der Beirat fordert daher niedrigschwellige Angebote, "um Selbstbestimmung und Autonomie im Alter zu stärken".
Bahn Card weiter in Papierform
Aber wenn der VdK schreibt, die Bahn Card gebe es nur noch in digitaler Form, stimmt das nicht. Denn so radikal ging die Deutsche Bahn nicht vor. Auf hr-Anfrage sagt eine Konzernsprecherin, man werde die digitalen Angebote zwar ausbauen. Denn die Nachfrage danach wachse. Im Fernverkehr verkaufe man schon 90 Prozent der Tickets digital, vor zehn Jahren seien es noch 51 Prozent gewesen.
Aber nach wie vor gebe es Tickets auch in Papierform im Reisezentrum. Das gelte auch für die besonders günstigen Spar- und Supersparpreis-Tickets. Auch die Bahn Card gebe es als Papierausdruck. Niemand brauche ein Smartphone, um mit der Bahn zu fahren, betont die Bahnsprecherin.