Leerstand, Schließungen, Pleiten Hessens Städte wandeln sich zur Einzelhandels-Wüste

Die Lage in Hessens Innenstädten wird für den Einzelhandel immer komplizierter. Das Stadtbild ändert sich und gleicht sich überall an, inhabergeführte Läden mit Herz kämpfen mit großen Problemen. Es gibt aber positive Ausnahmen.

Schaufenster mit Plakaten, auf welchen "Wir schließen diese Filiale" steht. Davor gehende Menschen (unscharf).
So wie hier sieht es in vielen hessischen Innenstädten aus. Bild © Imago Images / Jochen Tack
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Leerstand, taumelnde und im schlimmsten Fall schließende Läden, immer weniger Abwechslung: Der Einzelhandel hat es in Städten zunehmend schwer, die Innenstädte verändern sich rasend schnell und müssen mit immer neuen Herausforderungen zurechtkommen. Die Berger Straße in Frankfurt, die zunehmend zu einem Bermuda-Dreieck für den Einzelhandel wird, ist nur ein prominentes Beispiel. Die Probleme gibt es im ganzen Bundesland.

Doch wie genau ist die Lage in Hessens Städten? Wie hat sich die Situation entwickelt? Und gibt es vielleicht sogar Hoffnung auf eine Besserung? Die Antworten der Industrie- und Handelskammern (IHK) im Überblick.

Frankfurt

Nach einer zwischenzeitlichen Erholung hat sich die Lage des Einzelhandelns in Hessens größter Stadt zuletzt wieder deutlich verschlechtert. Laut der IHK leidet die Branche sehr stark an der unsicheren geopolitischen Lage, der Kaufzurückhaltung und den immer mächtiger werdenden Online-Plattformen aus Asien, die auch den hessischen Markt mit billigen Produkten überschwemmen.

Vor allem die Zeil ist mit 23,7 Millionen Besuchern und Besucherinnen im Jahr 2024 zwar weiter die drittbeliebteste Einkaufsstraße Deutschlands, auch dort haben in den vergangenen Jahren aber einige Traditionsbetriebe geschlossen. In den Stadtteilen dünnt sich das Einzelhandels-Angebot ebenfalls weiter aus.

Das vorherrschende Thema in Frankfurt bleibt die Erreichbarkeit der Innenstadt. Mit dem Oeder Weg, der Töngesgasse und dem Grüneburgweg wurden bereits drei hochfrequentierte Einkaufsstraßen deutlich fahrradfreundlicher und attraktiver gemacht.

Die dadurch wegfallenden Parkplätze und Stellflächen bekommt der Einzelhandel laut IHK aber zu spüren. Eine autofreie Berger Straße scheitert aktuell genau aus diesem Grund noch, wie der Gewerbeverein Bornheim betonte. Kunden, die von außerhalb mit dem Auto in die Stadt fahren, bleiben wichtig. Ein Dilemma.

Wiesbaden

Das IHK Wiesbaden bezeichnet den Einzelhandel in der Landeshauptstadt als das "mit Abstand größte Sorgenkind". Demnach bewerten 59 Prozent aller Händler und Händlerinnen ihre Finanzlage als problematisch. Wie in anderen Städten auch sind die gestiegenen Kosten für Miete und Energie bei gleichzeitiger Kauf-Zurückhaltung der Kundschaft eine oft nicht mehr zu bewältigende Herausforderung. In der Innenstadt stehen aktuell rund zwölf Prozent der Läden leer, darunter unter anderem auch die jahrelang sehr belebte City-Passage.

Trotz einiger Pläne, um vor allem den Leerstand mit Leben und Handel zu füllen, lassen große Veränderungen derzeit noch auf sich warten. Damit sich das möglichst bald ändert, wurde inzwischen aber ein dreiköpfiges Team installiert, das Maßnahmen zur Verbesserung der Situation vorantreiben soll.

Große Hoffnungen liegen derweil auf dem Großraumprojekt "World Design Capital 2026", an dem sich Wiesbaden mit zahlreichen Veranstaltungen beteiligt und so eine zusätzliche Anziehungskraft für den Tourismus entfalten will.

Kassel

Kassel dient fast schon als Blaupause für die schwierige Lage im Einzelhandel. Wie die IHK auf Anfrage mitteilte, haben viele Unternehmen noch immer mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen und halten sich mehr schlecht als recht über Wasser. Hinzukommen gestiegene Kosten für Energie und Personal, auch das veränderte Konsumverhalten macht sich bemerkbar. Stichwort: Internet-Shopping. Das trifft, das ist keine Überraschung, vor allem inhabergeführte Läden besonders hart.

Auffällig in Kassel: Obwohl Kaufkraft und Umsatz in den vergangenen Jahren wieder gestiegen sind, verändert sich das Stadtbild laut IHK enorm. "Es gibt eine Verlagerung vom klassischen Einzelhandel hin zu mehr Gastronomie und Dienstleistungen", heißt es.

Der landes- und bundesweite Trend ist also auch in Hessens drittgrößter Stadt erkennbar und verwässert ein heterogenes Angebot immer mehr. Immerhin: Verglichen mit dem Rest Deutschlands geht es Kassel noch gut: Der Pro-Kopf-Einzelhandels-Umsatz liegt rund 33 Prozent über dem Durchschnitt.

Tatenlos zugesehen wird in Kassel unterdessen aber nicht. Ein zentrales Thema zur Verbesserung der Lage ist die Steigerung der Aufenthaltsqualität in der Stadt. Jüngstes und bestes Beispiel: In der Unteren Königsstraße wurde eine Abbiegespur für fahrende Autos in eine Außenterrasse für Gäste umfunktioniert. Das Projekt ist zwar vorerst auf ein Jahr begrenzt. Es zeigt aber, dass kreative Ideen durchaus die Chance haben, umgesetzt zu werden. Die Gestaltung einer zukunftsfähigen Innenstadt bleibe eine zentrale Herausforderung, so die IHK.

Darmstadt

Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Darmstadt ab. Laut Daniel Theobald, dem Geschäftsbereichsleiter der IHK Darmstadt Rhein Main Neckar, sind aktuell nur sechs Prozent der südhessischen Einzelhändler mit ihrer Geschäftslage zufrieden. Der verhängnisvolle Mix aus steigenden Energiekosten, immer weniger Laufkundschaft, hohen bürokratischen Anforderungen und einem Fachkräftemangel drückt gewaltig auf die Stimmung.

"Beim Blick in die Zukunft haben die Einzelhändler wenig Hoffnung", erklärte die IHK. Auch in Darmstadt werden immer mehr Familienunternehmen durch Imbissbuden, Systemgastronomie oder Schnäppchenmärkte ersetzt.

Um die Situation für alle Beteiligten zu verbessern, setzen die Gewerbetreibenden in Darmstadt auf zwei Dinge: Gemeinsam mit Marketing-Experten soll die Innenstadt kundenfreundlicher und – ähnlich wie in Kassel – einladender gestaltet werden. Gleichzeitig gibt es aber auch Beratungsangebote, um die reine Straßenpräsenz um einen digitalen Auftritt zu erweitern. Klare Sache: Darmstadt hat erkannt, dass es für Einzelhändler ohne im Internet generierte Einkommen sehr schwer wird.

Weitere Informationen

Förderprogramm "Zukunft Innenstadt"

Das Land Hessen unterstützt Kommunen mit bis zu 250.000 Euro für innovative und nachhaltige Maßnahmen zur Belebung der Stadtzentren und Ortskerne. Im Jahr 2024 wurden insgesamt 110 Städte und Gemeinden ausgewählt und mit Landesmitteln in Höhe von 27 Millionen Euro gefördert. 

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Offenbach

Leerstand, Kiosks, Barbershops, Schnellrestaurants: Diesen Vierklang der Stadtbild-Veränderung findet man auch in Offenbach. Für den traditionellen Einzelhandel ist die Lage "nach wie vor herausfordernd", wie die IHK mitteilt. Im Gegensatz zu anderen Städten plagt sich Offenbach demnach mit einem deutlichen Umsatzrückgang herum. "Das Geld sitzt nicht mehr so locker."

Bei gleichzeitig steigenden Kosten und ohnehin hohen Mieten müssen zahlreiche Läden kämpfen. Das traditionsreiche Schuhhaus Pauthner verlor diesen Kampf 2023, auch die "LederBörse" machte 2024 nach vielen Jahren dicht. Zwei von vielen Beispielen.

Offenbach wäre aber nicht Offenbach, wenn sich die Stadt nicht mit vereinten Kräften und großem Ideenreichtum gegen den Negativtrend wehren würde. Neben insgesamt 16 Projekten zur Belebung der Innenstadt ist vor allem die Testraum-Allee ein gutes Beispiel, wie es gehen kann: In vollausgestatteten Verkaufsflächen in der Großen Marktstraße dürfen junge Unternehmerinnen und Unternehmer für einen bestimmten Zeitraum kostenfrei ihre Waren präsentieren und ihre Geschäftsidee testen.

Am 1. März sind ein Offenbacher Modelabel und Plattenladen eingezogen. Die Stadt steht beratend und unterstützend zur Seite.

Hanau

Auch in Hanau sind die Zeiten nicht rosig. Da die Stadt die Herausforderungen aber offenbar früher erkannt hat als andere, bescheinigen die Wirtschafts-Experten der CIMA Hanau eine deutlich positive Tendenz. Der Leerstand ist mit 2,2 Prozent in der Fußgängerzone und 9,4 Prozent in anderen Innenstadtlagen vergleichsweise niedrig. Auch die Umsätze sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen.

Dank verschiedener Angebote aus den Bereichen Event, Kultur und Musik strömen noch immer genug Menschen ins Zentrum. Die Stadt selbst bezeichnet die Lage als solide.

Das größte und prestigeträchtigste Projekt ist aktuell die Wiederbelebung des ehemaligen Kaufhof-Gebäudes. Auf der insgesamt 2.000 Quadratmeter großen Fläche sind neue Pop-up-Stores, Kreativräume und ein Café eingezogen. Der Ort, der offiziell "Stadthof" getauft wurde, soll zum Treffpunkt und zur Begegnungsstätte werden. Dass das funktionieren kann, zeigte bereits die erste Woche mit knapp 50.000 Besuchern.

Marburg

Was Kassel in Nordhessen ist, ist Marburg in Mittelhessen. Trotz leicht steigender Umsätze ist die Gemütslage unter den Einzelhändlern und Besitzern von kleineren Restaurants weiter sehr angespannt. Der IHK-Klimaindex, der die Stimmung und die Erwartungen unter den Gewerbetreibenden abbildet, liegt mit 88,9 (Einzelhandel) und 80,8 (Gastronomie) weiter unter dem Referenzwert von 100. Mehr als ein Drittel der Befragten erwarten zudem eine Verschlechterung der Lage.

Wie es in Marburg weitergehen soll, ist aktuell noch nicht klar. Wie die IHK mitteilte, arbeiten die Betroffenen derzeit in verschiedenen Workshops an einem "Masterplan", um die Situation zu verbessern.

Fulda

Weitgehend in Ordnung ist die Welt noch in Osthessen. Zwar gibt es auch in Fulda eine steigende Zahl gastronomischer Betriebe bei einem gleichzeitigen Schwund von Einzelhändlern sowie Klagen über hohe Mieten. Die ansässige IHK bewertet die Liga in der Fuldaer Innenstadt aber weiterhin als "sehr gut". Der überwiegend inhabergefüllte Einzelhandel habe dank eines vielfältigen Angebots eine "hohe Umsatzstärke". Dinge, die man so in Hessens Städten eher selten hört.

Hauptgrund für dieses landesweite Alleinstellungsmerkmal ist demnach vor allem das breite Kulturangebot der Stadt, das regelmäßig zahlungskräftige Touristen nach Fulda bringt. Allein der Musicalsommer hat seit 2022 über 200.000 Gäste angelockt, die Domplatzkonzerte besuchen jährlich noch einmal 50.000 Kultur-Fans. Laut Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU) spülte der Tourismus im Jahr 2023 insgesamt 71 Millionen Euro Umsatz für die Hotellerie in die Stadt, hinzukommen rund 22 Millionen Euro für Gastronomie und Einzelhandel. "Kultur wirkt", so Wingenfeld. Fulda geht es gut.

Quelle: hessenschau.de