Marode Brücken Extraprüfungen für "Sorgenkinder" wie die Bergshäuser Brücke
Zahlreiche Brücken in Hessen sind sanierungsbedürftig - eine davon ist die Bergshäuser Brücke in Nordhessen. Doch bis mindestens 2028 muss sie noch durchhalten. Ingenieure überwachen das in Detailarbeit.
Schwindelfrei muss man sein, wenn man einen Job wie Henning Manche hat. Er ist Bauwerksprüfer und hat sich auf Brücken spezialisiert. Am vergangenen Freitag hängt Manche mal wieder in der Luft: in knapp 50 Metern Höhe über der Fulda – und unter der Bergshäuser Brücke in Fuldabrück (Kassel).
Der Ingenieur steht auf einem sogenannten Brückenuntersichtsgerät. Hoch oben, über ihm auf der Fahrbahn steht ein Lkw mit Ausleger; daran ist eine Art Korb befestigt, in dem Manche nun steht.
Gerade hat er seinen Korb wieder zwischen einzelne Stahlstreben bugsiert. Mit einem Schraubenzieher klopft er gegen die Träger und leuchtet mit einer Taschenlampe auf die Nietansätze.
230 Brücken müssen kurzfristig instandgesetzt werden
Insgesamt hat Hessen 5.400 Brücken auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen. Davon seien 230 in "einem Bauwerkszustand, der kurz- bis mittelfristig eine Instandsetzung erforderlich macht", teilt eine Sprecherin des Hessischen Wirtschaftsministeriums mit.
Dazu gehören allerding nicht nur umfangreichere Arbeiten wie bei der Salzbachtalbrücke, sondern auch kleinere Reparaturen. Mal müssen Geländer ausgetauscht werden, mal neue Schutzplanken her.
Ministerium: Zustand der Brücken gut
Tauchen Probleme mit der Statik auf, werden die betroffenen Brücken zunächst für schwere Fahrzeuge gesperrt. Dazu könnten eine Einschränkung der Fahrstreifen oder Geschwindigkeitsbeschränkungen erforderlich werden, so die Sprecherin.
Um die Brücken fit für die Zukunft zu machen, hat das Land Hessen von 2021 bis 2023 rund 82 Millionen Euro in Sanierung oder Erneuerung von Brücken bei Straßen des Bundes gesteckt. Bei den eigenen Landstraßen flossen laut Ministerium im selben Zeitraum noch mal 70 Millionen Euro in die Brückenbauwerke.
Insgesamt könne der Zustand der Brücken im Zuge von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen als gut bezeichnet werden, so die Sprecherin.
Bauexperten sehen Sanierungsbedarf
Das sehen Bauexperten anders. Erst kürzlich hatte die Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken (BGIB) eine Analyse veröffentlicht. Demnach stehen von den 100 am meisten sanierungsbedürftigen Autobahnbrücken in Deutschland mit einer Länge von mehr als 50 Metern allein 19 in Hessen.
Im bundesweiten Vergleich steht Hessen laut BGIB damit auf Platz zwei der am schlechtesten bewerteten Autobahnbrücken bundesweit. In der Studie hatte ein Bauwerk der Autobahn 45 bei Hammersbach-Marköbel im Main-Kinzig-Kreis am schlechtesten abgeschnitten.
So werden Brücken überprüft
Zurück ins Fuldatal. Bauwerksprüfer Manche ist mit seinem Korb ein paar Meter weiter nach vorne gewandert. Seit 1997 kennt er die in die Jahre gekommene Brücke über der Fulda wie seine Westentasche - und weiß um ihre Schwächen.
Sie sei zu einer Zeit gebaut worden, in der Stahl knapp war. Das räche sich jetzt, erklärt Manche, so komme die Brücke an ihre Grenzen.
Das, was Manche "handnah" kontrolliert, ist nicht die einzige Prüfung, die an der Brücke stattfindet. Neben der Hauptprüfung, die alle sechs Jahre stattfindet, gibt es alle drei Jahre eine Zwischenprüfung und eine Jahresprüfung - an allen Brücken in Hessen.
Sorgenkind Bergshäuser Brücke
Die Bergshäuser Brücke gehört schon länger zu "einem der Sorgenkinder" der Autobahn GmbH des Bundes, wie Bernhard Klöpfel erklärt. Der Mann in der orangenen Sicherheitskleidung leitet die Außenstelle der Behörde in Kassel.
Deshalb bekommt die Bergshäuser Brücke eine Sonderbehandlung. Neben den üblichen Checks werden hier alle drei Monate entscheidende Stellen von Bauwerksprüfern wie Manche nochmal extra überprüft, dazu kommen halbjährlich Röntgenuntersuchungen.
Bis "mindestens 2028" müsse das Bauwerk noch durchhalten, so der Mitarbeiter der Autobahn GmbH. Probleme hatte es zuletzt vor allem mit den Fahrbahnplatten aus Stahl gegeben. Dort waren Risse entstanden, weil die Schweißnähte aus den 1960er und 70er Jahren laut Klöpfel nicht den heutigen Anforderungen entsprechen.
Ein weiterer Stressfaktor für die Brücke sei vor allem die gestiegene Verkehrsmenge, so Klöpfel. Derzeit rausche im Vergleich zur Anfangszeit das Zehnfache an Autos und Lkw über die Fahrbahn. Besonders belastend für das Bauwerk seien die schweren Lkw, sagt Klöpfel, denn für 40-Tonner sei das Bauwerk schlichtweg nicht ausgelegt.
Neubau wird kommen - irgendwann
Die Tage der alten Dame sind derweil gezählt. Ein Neubau südlich vom derzeitigen Standort ist bereits geplant. Hier soll nicht nur eine Brücke gebaut werden, sondern eine komplette Verlagerung der A44 entstehen.
Im April hatte das Planfestellungsverfahren begonnen, alle Pläne wurden offengelegt. Bis Mitte Juli waren Einwände gegen den geplanten Bau möglich. Jetzt würden die Einwände, beispielsweise hinsichtlich Natur- und Landschaftsschutz sowie Lärmbelästigung geprüft, so Klöpfel. Wann es eine neue Brücke geben wird, ist derzeit noch unklar.
Bis dahin wird Henning Manche seiner Brücke noch mehrfach einen Besuch abstatten, mit dem Schraubenzieher klopfen, mit der Taschenlampe leuchten - und gar nicht dazu kommen, den sensationellen Ausblick in 50 Metern Höhe zu genießen.