Tierbehandlung statt Schokoriegel Mars und Nestlé investieren zunehmend in hessische Tierarztpraxen
Bundesweit gehören bereits mehr als 150 Tierarztpraxen zu zwei Ketten, hinter denen die Nahrungsmittelkonzerne Mars und Nestlé stehen. Auch in Hessen sind sie aktiv. Sie versprechen gute Bedingungen, doch die Landestierärztekammer ist skeptisch.
Ein Hund hüpft in Zeitlupe über eine Wiese, untermalt von Wohlfühlmusik. "Sie machen unsere Welt zu einem besseren Ort", steht in geschwungenen Lettern auf dem Bildschirm. Gemeint sind Haustiere.
"Und deshalb fragen wir uns jeden Tag mit jeder Entscheidung, die wir treffen: Macht das die Welt zu einem besseren Ort für Haustiere?", wird hinterhergeschoben.
Der Werbespot stammt von einem Unternehmen, das eigentlich nicht für Haustierpflege bekannt ist, sondern für seine Schokoriegel: Mars. Unter seiner Dachmarke Mars Petcare vertreibt er Tierfutter - und beschäftigt mit dem Tochterunternehmen AniCura auch immer mehr Tierärzte.
Immer mehr Ketten-Praxen in Hessen
Acht solcher AniCura-Praxen gibt es inzwischen in Hessen. Doch der Konzern ist mit seinem Interesse nicht mehr allein. Das Unternehmen IVC Evidensia hat ebenfalls bereits sieben Praxen in Hessen erworben.
IVC Evidensia finanziert sich aber (anders als das Mars-Tochterunternehmen) durch drei Privatinvestoren: die Investmentfirmen EQT und Silverlake sowie den Lebensmittelkonzern Nestlé.
Beide Anbieter konzentrieren sich bisher vor allem auf den Süden Hessens, mindestens zwei weitere Praxen in Nordhessen stehen nach hr-Informationen aber bereits vor einer Übernahme durch Evidensia.
Bundekartellamt genehmigte Evidensia-Verkauf
2021 übernahm Evidensia mit der Tierklinik in Hofheim am Taunus die größte Tierklinik Deutschlands. Wegen der Größe der Klinik schaltete sich damals das Bundeskartellamt ein.
"Die Prüfung in diesem konkreten Fall hat eben ergeben, dass eine Behinderung des Wettbewerbs nicht zu erwarten war", teilte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, mit. Denn es gebe noch genug Konkurrenz - auch durch AniCura.
Zusammengenommen betreiben die beiden großen Konkurrenten schon jetzt 154 Tierarztpraxen und -kliniken in Deutschland. Die Marktmacht großer Investoren ist also längst in der Tiermedizin angekommen.
Finanzexperten sehen lukratives Investment
Die Konzerne teilen mit, für sie stehe bei den Investitionen immer das Tierwohl im Vordergrund. Unter Finanzexperten gilt die deutsche Tierarztbranche aber auch als lukratives Investment. Bei solchen außerbörslichen Unternehmensbeteiligungen spekulieren Investoren auf das Wachstum der Branche und hoffen, dass sich der Wert der Unternehmen steigert.
Sabine Tacke, Professorin für Anästhesie bei Tieren und Präsidentin der Landestierärztekammer, kritisiert das: "Durchaus kann es auch sein, dass die Konzerne in zehn Jahren zum Beispiel sagen: Wir stoßen das alles wieder ab." Die Praxen sind aus ihrer Sicht in solch einem Verbund dann nicht mehr zu führen.
Tiernahrung trifft auf Tiermedizin
Könnten AniCura oder Evidensia in den Praxen konzerneigenes Tierfutter vertreiben? Theoretisch wäre das möglich, da die Ketten in ihrer Rechtsform als juristische Person nicht an die Berufsordnung für Tierärzte gebunden seien, erklärt Tacke.
Zum Nestlé-Einstieg bei Evidensia schrieb das Unternehmen selbst, dass Nestlé seine Beteiligung erhöhe, um "innovative Tiernahrungslösungen anzubieten". Auf der Internetseite von Mars sind die eigenen Futterhersteller direkt neben AniCura aufgelistet.
Einfluss auf den Praxisbetrieb hätten diese Umstände aber nicht. "Die medizinische Freiheit und auch die Freiheit hinsichtlich der Empfehlung von Futtermitteln unserer Tierärzte wird nie und in keinster Weise eingeschränkt", so AniCura.
Auch Evidensia teilte mit: "Die Entscheidung, ob Tiernahrung verkauft werden soll, liegt in der Verantwortung der Praxen und Kliniken."
Praxis-Mitarbeitende lehnten Übernahme ab
Die Konzerne könnten vielmehr zu einer Lösung der prekären Arbeitssituation in Tierarztpraxen beitragen. Denn die Tierarzt-Branche hat viele Probleme und steht spätestens seit der Corona-Pandemie stark unter Druck. Die Deutschen besitzen immer mehr Haustiere, die versorgt werden müssen. Zugleich gibt es immer weniger Tierärzte auf dem Arbeitsmarkt.
Der vorhandene Nachwuchs wolle sich finanziell nicht mehr binden und die Risiken einer Selbstständigkeit eingehen. Das bestätigen mehrere Tierärzte auf hr-Nachfrage. Sie hätten die Praxisübernahme ihren jüngeren Mitarbeiter angeboten, bevor sie zu den Konzernen gegangen seien, diese hatten die Übernahmeangebote aber abgelehnt.
Evidensia teilte dem hr mit, es "besteht eine starke Nachfrage unter Tierärzt*innen, Teil eines Netzwerks zu sein, das Unterstützung bieten kann, um auf diese Veränderungen zu reagieren".
Konzerne versprechen bessere Arbeitssituation
Vielmehr würden die Unternehmen viele Dinge verbessern. Evidensia erklärte, dass es die Mitarbeiter bei Organisation und Finanzen gut unterstützen könne. Beide Unternehmen teilten mit, dass sie mehr Geld in Fortbildungen und Technik investieren würden als es kleine Praxen könnten.
Laut AniCura kann das Unternehmen auch deutlich mehr Notdienste übernehmen und Personalengpässe besser ausgleichen.
Mehr Notdienste? Tierärztekammer skeptisch
Die Präsidentin der Landestierärztekammer, Sabine Tacke, sieht die Entwicklung allerdings andersherum: "Wir haben auch eine Reihe von Ketten-Praxen hier in Hessen, die nicht 24-Stunden-Notdienste machen oder sich gar keinem Notdienst angeschlossen haben."
Auch den Ausgleich bei Personalengpässen hält sie tendenziell für unrealistisch. Einblicke in eine Praxis erhielt der hr nicht, die Konzerne antworteten nur schriftlich. Bei der Praxis-Organisation sind die Ketten-Praxen laut Tacke aber tatsächlich oft besser aufgestellt.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 19.03.2024, 19.30 Uhr
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