Apotheker schlagen Alarm Lieferengpässe bei 500 Medikamenten in Hessen
Antibiotika, Schmerzmittel und sogar Kochsalzlösung: Bei rund 500 Medikamenten gibt es in Hessen aktuell Lieferengpässe. Die Gründe sind kompliziert - und auch ein neues Gesetz schafft anscheinend keine Abhilfe.
Wer krank ist und Medikamente kaufen möchte, braucht aktuell Geduld - so auch in der Frankfurter Dornbusch-Apotheke: Die Angestellten müssen immer wieder Kunden vertrösten, weil Medikamente nicht vorrätig sind und erst bestellt werden müssen, wenn sie überhaupt lieferbar sind. Das hat auch Frührentnerin Heidi Ebert schon selbst erlebt: "Zum Beispiel auf Antibiotika kann man lange warten", klagt die 60-Jährige.
Dass Antibiotika knapp sind, kann der Inhaber der Apotheke Andreas Hermening bestätigen: "Es geht dabei vor allem um Mittel, die man bei Erkältungskrankheiten und Infektionen der oberen Atemwege braucht." Gerade jetzt im Herbst und Winter sei das ein Problem, meint Hermening, aber es sei längst nicht das einzige.
Apotheker: "Gefahr, dass etwas schiefläuft"
"Wir haben eine lange Liste von Dingen, die wir bestellen wollen, aber nicht können", sagt der Apotheker. Von Cholesterin-Senkern über Blutdruckmedikamente bis hin zu Mitteln zum Inhalieren bei Atemnot fehlen verschiedenste Arzneimittel. Wann sie wieder bestellt werden können, muss Hermening jeden Tag aufs Neue überprüfen.
Oft könnten die Kunden zwar auf andere Medikamente ausweichen, sagt er: "Aber dann ist die Dosierung vielleicht eine andere oder es ist ein anderer Wirkstoff und das birgt die Gefahr, dass bei der Einnahme des Medikaments etwas schiefläuft."
Verbraucher hamstern manche Medikamente
Um erst gar nicht in eine solche Lage zu kommen, horten manche Verbraucher wichtige Medikamente zuhause. "Ich warte auch nicht bis auf den letzten Drücker", erzählt Kunde Martin Füllenbach in der Apotheke über seine Blutdruckmittel. "Ich bestelle die Tabletten immer mit ein, zwei Wochen vorher." In seinem Fall habe das bisher geklappt.
Rund 500 Medikamente fehlen in Hessen und ganz Deutschland, wie Holger Seyfarth, Vorstand des hessischen Apothekerverbands, erklärt. Selbst wichtige Arzneimittel wie Schmerzmittel oder Krebsmittel seien teilweise nicht lieferbar. Zuletzt war immer wieder über Engpässe berichtet worden, etwa bei Arzneimitteln für Kinder.
Verband: Krankenkassen drücken die Preise
Den Medikamentenmangel führt der Verband darauf zurück, dass die Krankenkassen Pharmakonzernen für Arzneimittel immer weniger zahlen würden. So würden sie zum Beispiel Verträge mit demjenigen abschließen, der den größten Rabatt bietet. "Dadurch wird es für viele Hersteller unattraktiv, ihre Produkte nach Deutschland zu liefern, wenn sie im Ausland damit höhere Preise erzielen können", so Seyfarth.
Dazu beobachtet Seyfarth auf dem Markt eine zunehmende Konzentration. Mittel würden von immer weniger Unternehmen produziert werden. Falle eines aus, sei das nicht leicht zu kompensieren, erklärt der Verbandssprecher. Schließlich würden viele Wirkstoffe mittlerweile außerhalb von Europa hergestellt. Auch wenn es innerhalb der Lieferketten Probleme gäbe, sorge das bei hiesigen Apotheken für leere Regale.
Selbst Kochsalzlösung ist mittlerweile knapp
Zwar wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Engpässe durch ein neues Gesetz bekämpfen, aber zumindest in der Dornbusch-Apotheke in Frankfurt hat sich dadurch bisher kaum etwas verbessert. "Kochsalzlösungen fehlen seit Neuestem ebenfalls", ergänzt Inhaber Hermening. Die würden die Arztpraxen für Infusionen benötigen. Warum selbst so ein simples Mittel knapp ist, kann er sich nicht erklären.
Das Problem beschäftigt auch die Klinikapotheke im Frankfurter Markus-Krankenhaus. Deren Leiterin Ariane Menten erklärt, seit etwa drei Monaten würden weniger Kochsalzlösungen als nötig geliefert. "Die sind aber wichtig, da vor allem schwer erkrankte Patienten Medikamente nicht schlucken können", so die Chefapothekerin. "Mit Hilfe dieser Lösungen bekommen sie die Arzneimittel über die Venen verabreicht."
Das eigentliche Problem sind die Glasflaschen
Nun versucht das Krankenhaus zum Beispiel, den Verbrauch der Kochsalzlösungen nach Möglichkeiten zu reduzieren, damit die geringeren Mengen weiter ausreichen. So kann die Versorgung aller Patienten Menten zufolge bisher sichergestellt werden.
In Deutschland ist einer der großen Anbieter solcher Lösungen Fresenius Kabi mit Sitz in Bad Homburg. Nach Angaben des Konzerns ist genau genommen nicht die Kochsalzlösung an sich Mangelware, sondern die dafür nötigen Glasflaschen. Da gebe es bei einem der Lieferanten einen Engpass. Dieser soll aber laut Fresenius Kabi bis zum Ende des Jahres behoben sein.
Doch auch ein weiterer großer Anbieter von Kochsalzlösungen hat Lieferprobleme, wie die Frankfurter Klinikapothekerin Ariane Menten berichtet: Es handelt sich um das Unternehmen B. Braun aus Melsungen. Der Konzern hat den Engpass auf hr-Anfrage bestätigt. Mit einer Entspannung rechnet die Apothekerin also so schnell nicht.