Nach Kritik an Therapie Selbst ernannte Schmerzspezialisten Liebscher und Bracht erneut abgemahnt

Anti-Arthrose-Quark oder Augenübungen für mehr Sehkraft: Das und mehr haben die selbst ernannten Bad Homburger Schmerzexperten Liebscher und Bracht in ihren Büchern und Online-Auftritten versprochen. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Kritiker sagen: Ist es auch. Das Unternehmen wurde wiederholt von der Verbraucherzentrale abgemahnt.  

Roland Liebscher-Bracht und Petra Bracht auf einer Parkbank
Roland Liebscher-Bracht und Petra Bracht aus Bad Homburg. Bild © picture-alliance/dpa
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Schmerzen sind komplex, sie sind individuell und sie lassen Menschen verzweifeln. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig. In der Schmerztherapie wird deshalb mit Schmerztagebüchern, Schmerzskalen und individuellen Therapieprogrammen gearbeitet. Eine Heilung mit garantiertem Erfolg zu versprechen, unabhängig von der Ausgangslage, ist als irreführende Werbung verboten, um Verbraucher zu schützen. 

In Bad Homburg sieht man das anders: Roland Liebscher-Bracht, der keine medizinische Ausbildung, aber ein Wirtschaftsingenieurstudium und Kampfkunsterfahrung aufweist, und seine Frau, die Allgemeinmedizinerin Petra Bracht, haben die Vision, jedem Menschen ein schmerzfreies Leben zu ermöglichen. 

In einem Video auf ihrem Youtube-Kanal sagten sie von sich: "Wir wissen inzwischen, dass wir es können." Der Satz wurde nachträglich aus dem Video entfernt. Auf die Anfrage, inwiefern Roland Liebscher-Bracht sich "Schmerzspezialist" nennen könne, teilt die Kanzlei des auf Medienrecht spezialisierten Anwalts Christian Schertz im Auftrag des Unternehmens mit: Er sei zwar das Gesicht der Marke, medizinische Sachverhalte verantwortete aber "ein multidisziplinäres Expertenteam". Auf der Webseite wird derweil dieses fehlende medizinische Wissen Roland Liebscher-Brachts als Vorteil dargestellt, der die Übungen erst möglich gemacht habe. 

Millionen Follower auf Youtube, Probleme mit der Justiz 

Beweise gibt es vor allem für den Erfolg ihres Unternehmens. Ihr deutscher Youtube-Kanal hat knapp zwei Millionen Follower, der Tiktok-Kanal über drei Millionen Likes und ihr Unternehmen samt Webshop nach eigenen Angaben über 150 Mitarbeitende. Auf ihrer Website heißt es, man wolle allen Menschen ein schmerzfreies Leben ermöglichen, indem man sie mit Liebscher-und-Bracht-Übungen in Bewegung bringe. 

Screenshot vom Youtube-Kanal von Liebscher und Bracht
Allein auf Youtube erreichen Liebscher und Bracht 1,98 Millionen Abonnenten. Bild © Screenshot liebscher-bracht.com

Das Ehepaar spricht von einer revolutionären Schmerztherapie und passenden Übungen für jeden Schmerzzustand. Nachdem Liebscher und Bracht aufgrund einer Abmahnung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bereits im Frühjahr 2022 wegen irreführender Werbeversprechen eine Unterlassungserklärung abgegeben hatten, fanden sich bereits wenige Monate später wieder vergleichbare Inhalte auf ihrer Website. 

Anfang dieses Jahres verhängte das Landgericht Frankfurt daraufhin eine Vertragsstrafe in Höhe von 4.000 Euro gegen Liebscher und Bracht. Auf die hr-Anfrage, inwiefern Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, um bei Nahrungsergänzungsmitteln und anderen Produkten im Webshop Transparenz herzustellen, welche ihrer Empfehlungen wissenschaftlich fundiert sind und welche nicht, antwortete die Anwaltskanzlei, dass dies "durch interne Prüfprozesse selbstverständlich sichergestellt" werde. Die Werbung entspreche der maßgeblichen Health Claims-Verordnung, manche Aussagen befänden sich nicht mehr auf den Internetpräsenzen von Liebscher und Bracht.

Die nächste Abmahnung

An diesem Freitag folgte allerdings die nächste Abmahnung der Verbraucherzentrale NRW, denn hr-Recherchen haben ergeben: Auch die App von Liebscher und Bracht wirbt wieder mit unzulässigen Gesundheitsversprechen. Ein Abo lohnt sich dabei, nach 30 Tagen Testphase, vor allem aber für die Betreiber. Knapp 20 Euro monatlich, 150 Euro im Jahr oder knapp 800 Euro lebenslang kostet eine Mitgliedschaft laut App-Store. Da dürften mit den nach eigenen Angaben mehr als 50.000 Mitgliedern einige hunderttausend Euro monatlich zusammenkommen.    

Eine Frau lächelt in die Kamera
Susanne Punsmann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Bild © picture-alliance/dpa

Inhaltlich sei die erneute Rüge der vorherigen ähnlich, sagt Susanne Punsmann, Anwältin bei der Verbraucherzentrale NRW, im Gespräch mit dem hr: "Auch hier wird wieder mit einem Behandlungserfolg, unabhängig von der Ausgangssituation, geworben." Auch das Hervorheben und damit Zu-eigen-Machen von ausschließlich positiven Bewertungen, die Behandlungserfolge beinhalten, sei irreführende Werbung. 

Nicht haltbare Studien

Die Verbraucherzentrale ist nicht allein mit ihrer Kritik. Auch die WDR-Journalisten Jonathan Focke und Maximilian Doeckel berichteten ausführlich in ihrem Podcast "Die Quarks Science Cops" über das Bad Homburger Unternehmen: "Das Problem ist, dass sie sich wissenschaftlich geben, allein auf ihrer Website gibt es so einen eigenen Bereich: Forschung und Studien."

Die WDR-Journalisten empfehlen einen genaueren Blick darauf: Die Studien seien von eigenen Mitarbeitern durchgeführt worden. "Und ganz entscheidend ist, dass sie ihre Therapien oft gar nicht mit einer Kontrollgruppe verglichen haben", kritisieren die Wissenschaftsjournalisten. 

Wer seine Therapien einfach nur durch Probanden testen lasse und das nicht mit anderen Therapien oder Scheinbehandlungen vergleiche, führe keine haltbare wissenschaftliche Studie durch, betonen Focke und Doeckel. Schriftlich teilen die Medienanwälte von Liebscher und Bracht dem hr mit: Die Studien seien transparent nachzuvollziehen. Bei Studien gebe es "immer unterschiedliche Evidenzkategorien": "Einige Studien dienen auch dazu, Informationen zu generieren, die für Anschlussstudien verwendet werden."

Dass Roland Liebscher es mit Studien nicht so genau nimmt, darauf deutet auch ein Video zu seiner Geschichte hin: Hier erklärt er, dass das eigentliche Ergebnis seiner Diplomarbeit in Wirtschaftsingenieurwesen dazu geführt hätte, dass jemand ohne Weiterqualifikation seinen Job verloren hätte. Also habe er seine Forschungen so gedreht, dass der damalige Kollege seinen Job behalten konnte.

Wer heilt, hat nicht automatisch Recht 

Das kann man menschlich finden, wissenschaftlich wird es dadurch nicht. Dazu kommt: Studien, die von Menschen durchgeführt werden, die für Liebscher und Bracht arbeiten, also finanzielle Interessen haben, sind nicht unabhängig. Müssten sie für den Zweck der Studie auch nicht, entgegnen Liebschers und Brachts Anwälte.

Damit fehlen auch Beweise für die Behauptung, dass Liebscher und Bracht Arthrose heilen können. Denn das hatten sie zum Zeitpunkt der Recherche der "Science Cops"-Folge noch an diversen Stellen öffentlich behauptet. Zum Zeitpunkt der hr-Recherche steht das nicht mehr so explizit auf ihrer Homepage, allerdings heißt es weiterhin: Knorpel könne nachwachsen. Auch dafür fehlen belastbare wissenschaftliche Beweise.   

Dass Patienten sich besser fühlen, ist da nicht ausreichend, sagt der Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Professor Arnold Suda vom Unfallkrankenhaus Salzburg. Es gebe einige Patienten, die mit schwerster Arthrose mit Hilfe von Bewegung, Schmerztherapie und Muskeltraining gut zurechtkommen. "Aber das darf man doch den Patienten ehrlich sagen. Und nicht sagen: Wir zaubern die Arthrose weg. Das stimmt nicht. Das Schmerzempfinden und das Zurechtkommen mit der Einschränkung verändern sich im positiven Sinne."

Der Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Arnold Suda
Arnold Suda, Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Bild © picture-alliance/dpa

Gemeinsam mit weiteren Experten aus der Orthopädie und Physiotherapie hat Suda vergangenes Jahr in einer Fachzeitschrift über Orthopädie und Unfallchirurgie ein wissenschaftliches Paper zu Liebscher und Bracht publiziert. Das Fazit: Mehrere Theorien von Liebscher und Bracht seien wissenschaftlich nicht haltbar. 

Die Anwälte des Unternehmens halten dazu fest: Ihre Mandanten behaupteten gar nicht, "dass sich Arthrose mit Hilfe von Muskeltraining und Schmerztherapie 'beseitigen' ließe". Die vorgeschlagene Therapie verfolge "das Ziel, Spannungen in den Muskeln und Faszien zu normalisieren und auf diese Weise arthrosebedingte Schmerzen zu lindern und Knorpelverschleiß einzudämmen".

Teils ungeprüft und auch nicht neu 

Bewegung sei immer gut, und wer Menschen dazu motiviere, dem müsse gedankt werden, sagt Suda. Auch gesundes Essen sei natürlich besser als fett- und salzreiche Kost. Doch nur weil Fettleibigkeit Arthrose verschlimmern könne, lasse sich daraus nicht ableiten, dass man sich mit Ernährung davor schützen könne. 

Der Anti-Arthrose-Quark sei daher zwar nicht ungesund, aber ebenfalls ein falsches Versprechen, findet Suda. Genauso wenig seien verklebende Faszien die Ursache für chronische Schmerzen. Das wisse jeder, der Faszien kenne und Menschen operiere, betont Suda: "Da verklebt nix, da ist keine Substanz, die zu Veränderungen führt." 

Die Modelle, die Liebscher und Bracht präsentierten, seien vereinfacht und würden vermutlich deswegen gut angenommen, sagt Suda. Auch der langjährige Physiotherapeut Tobias Saueressig glaubt nicht daran, dass es plötzlich die eine Lösung gegen Schmerzen gibt. Schmerz sei ein vielschichtiges Problem mit mehreren Faktoren und Treibern, von akuten Verletzungen bis hin zu psychosozialen Faktoren. 

"Einfache Dehnübungen"

Als innovativ würde der Physiotherapeut Saueressig die Liebscher-und-Bracht-Methoden auch nicht bezeichnen: "Es sind einfache Dehnübungen, die man aus der Physiotherapie schon seit Jahrzehnten kennt." Dasselbe gelte für die Faszienrolle, auf deren Wirkung Liebscher und Bracht schwörten. "Die hat Mark Verstegen, der die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft 2006 trainiert hat, auch schon eingesetzt. Die kommt aus dem Pilates und hat eine längere Geschichte. Das ist eigentlich nichts Innovatives, sondern alles Standardwerkzeug der Physiotherapie", sagt Saueressig. 

Physiotherapeut Tobias Saueressig
Physiotherapeut Tobias Saueressig. Bild © privat

Zu den empfohlenen Dehnübungen teilten die Anwälte mit: Diese Übungen hätten Liebscher und Bracht nicht erfunden, ebenso wenig wie die Faszienrolle. Die Innovation ihrer Therapie bestehe darin, drei Techniken auf eine Weise zu kombinieren, die sich in der über 35-jährigen Praxiserfahrung von Liebscher und Bracht bewährt habe. Innovativ sei auch die Methode der Osteopressur: Diese Art des Drückens bestimmter Knochenpunkte habe "sich bei den meisten Schmerzen bewährt" (Hervorhebung durch die Anwälte, d. Red.).

Die Kritik bleibt nicht unbemerkt 

Nach der zahlreich geäußerten Kritik in Medienberichten haben Liebscher und Bracht einige Youtube-Videos auf privat gestellt, umgeschnitten oder ganz entfernt - auch nach der Anfrage des hr geschieht dies. Aussagen wie etwa diese, dass man mit speziellem Augentraining seine Sehkraft verbessern kann, sind verschwunden.

Persönlich zu den Vorwürfen äußern will sich weder Roland Liebscher-Bracht noch Petra Bracht noch sonst jemand von dem Familienunternehmen aus Bad Homburg. Im Anwaltsschreiben wird der hr darauf hingewiesen, dass er die vermeintlichen Unterstellungen belegen müsse und nicht vorverurteilend berichten dürfe. Doch es gibt genug beweisbare Verstöße, weswegen die Verbraucherzentrale NRW Liebscher und Bracht ja auch erneut abmahnt.   

"Das ist Content-Marketing"  

Um Nächstenliebe sei es den selbst ernannten Schmerzspezialisten nie gegangen, sagen die WDR-Journalisten Focke und Doeckel. Tatsächlich gehe es entgegen der eigenen Darstellung - einen Gegenpol zu herkömmlichen Therapien und der Pharmaindustrie zu bilden - hier genauso um finanzielle Interessen: "Das ist Content-Marketing, die verdienen damit Geld." 

Das passiert, indem Menschen Produkte wie den "Knie-Retter" im Webshop von Liebscher und Bracht kaufen, Therapien bezahlen oder eine App-Mitgliedschaft abschließen. Denn jeder Schmerzpatient, den die Suchmaschine zu den Angeboten des Unternehmens führt, ist ein neuer potenzieller Kunde. Und wenn kostenlose Videos zahlende Kunden bringen, dann ist das ein Beweis für eine funktionierende Marketingstrategie - vor allem wenn es darin heißt, dass man für die Übungen die Geräte aus dem eigenen Onlineshop benötigt. Es ist aber kein Beweis für die Wirksamkeit von Therapien.   

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 29.12.2023, 19.30 Uhr

Redaktion: Stephan Loichinger

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Anm. d. Red.: Die "Liebscher Bracht Schmerzfrei GmbH" hat unsere Berichterstattung in mehreren Punkten juristisch angegriffen. Nach einer Entscheidung des Landgerichts Potsdam dürfen wir die Mehrzahl der strittigen Äußerungen aufrecht erhalten. Untersagt wurde ein Satz zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Studien. Diesen haben wir gestrichen.
Am 23. September 2024 hat auch das Brandenburgische Oberlandesgericht in der juristischen Auseinandersetzung entschieden. Wir stellen jetzt im Text keinen Zusammenhang mehr her zwischen der Entfernung eines Satzes in einem Video der Kläger und einer hr-Anfrage.

Quelle: hessenschau.de