Neueröffnung trotz Bäckerei-Sterben Wie ein Jung-Bäcker in Marburg der Krise trotzen will
Corona-Nachwehen, hohe Energiepreise, Nachwuchsmangel: Allein 2022 musste eine von zehn Bäckereien in Hessen dicht machen. Einer stellt sich nun gegen den Trend. Nick Heinke eröffnet in Marburg einen Brotladen - und setzt auf eine spezielle Art zu backen.
Der Plan des Energie-Experten Nick Heinke, eine eigene Backstube zu eröffnen, ist über Jahre gewachsen. Während des Studiums "Erneuerbare Energien" war das Backen noch ein Hobby - für das er aber so sehr brannte, dass er sich irgendwann sagte: Ich muss unbedingt in einen Betrieb reinschnuppern, einfach um zu wissen, ob da mehr ist.
Gesagt, getan. Eine Hofbackstube bei Hannover ließ ihn schnuppern und danach war klar, dass da viel mehr war. Den Bachelor-Abschluss machte er noch, dann absolvierte er vor fünf Jahren im Alter von 27 eine verkürzte Lehre in einer Bäckerei in Düsseldorf. Danach folgten Stationen in verschiedenen Bäckereien in Norddeutschland und ein Meisterbrief in Potsdam, wie er erzählt.
Backstube mit Infrastruktur gefunden
Seit einem Jahr ist er nun wieder in Hessen - wieder, denn er wuchs in Jesberg (Schwalm-Eder) auf. Und seit einem halben Jahr arbeitet er an der Eröffnung seiner eigenen Backstube. Auch wenn in den vergangenen Jahren viele Backstuben dicht gemacht haben und dadurch Räumlichkeiten leer stehen, war es nicht leicht, einen geeigneten Ort zu finden, erzählt er.
Viele Bäckereien seien im vergangenen Jahrzehnt zu reinen Verkaufsorten umgebaut worden, die beliefert würden. Die Backstube im Marburger Stadtteil Schröck, die er nun übernommen hat, sei vor fünf Jahren geschlossen worden, habe aber immerhin noch über geflieste Wände, Starkstrom und andere Infrastruktur verfügt.
Verkauf über Automat und Geschäft
Beim Einrichten habe ihm sein Studium geholfen, sagt Heinke. Da er nur lokal arbeite und keinen Lieferradius von 50 oder 100 Kilometern plane, könne er ein großes Stück weit auf Kühlung oder Frosten verzichten, was viel Energie spare. Seinen Ofen versuche er, optimal auszulasten, was bei kleineren Mengen besser gelinge. Durch die kleineren Mengen und den kleineren Einzugsradius müsse er auch nicht nachts backen.
Verkaufen will Heinke seine Brote über einen Automaten in Schröck und einen Laden im Stadtviertel Marburg-Weidenhausen. Geplant sind neun Sorten, darunter Klassiker und Neues wie ein Rosinen-Sauerteigbrot, die er alle ohne Hilfs- und Zusatzstoffe, nur mit Bio-Rohstoffen aus der Region herstellen will.
"150 Jahre alte Bücher gelesen"
Der Clou: Heinke arbeitet mit eigener Hefe, die er aus Früchten herstellt. "Ich habe 150 Jahre alte Bücher gelesen, wie früher Hefe hergestellt wurde und habe den Prozess auf die heutigen Gegebenheiten nachgebildet", erzählt er. "Ich bringe Dinkelkörner zum Keimen, unterbreche den Prozess nach fünf Tagen und koche einen Sud daraus, ähnlich wie beim Bierbrauen." Dazu kämen dann die Hefen, die natürlich auf Früchten wie Äpfeln, Weintrauben, Rosinen oder Holunderblüten wachsen.
Diese können sich unter guten Bedingungen vermehren, weiß Heinke: "Diese Bedingungen schaffen wir mit der Nährlösung der Keimlinge." Am Ende entstehe so ein lockerer Teig, der lecker schmecke. Wie weit das alles im laufenden Betrieb funktioniere, um den Prozess konstant aufrecht zu erhalten, müsse er noch schauen.
Hoffen auf wertschätzende Kundschaft
Überhaupt: Er rechnet nun erst einmal mit einer Phase, in der er in den laufenden Betrieb reinkommen muss, sagt er. Für den Anfang hat er sich dazu Unterstützung von einem weiteren Bäckermeister geholt. "Irgendwann werden wir ein Resümee ziehen und schauen, ob wir etwas nachjustieren müssen."
Heinke ist optimistisch: "Ich glaube und hoffe, dass es hier Menschen gibt, die diese Arbeit wertschätzen und bereit sind, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen", sagt er weiter. "Damit dieses Handwerk weiter bestehen kann."
Sendung: hr4, 26.06.2023, 15.30 Uhr
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