Nord- und Osthessen Bürgermeister kündigen Widerstand gegen Stromtrassen-Pläne an
Die Energiewende erfordert neue Stromtrassen. Planungen für Leitungen durch Nord- und Osthessen laufen. Während Politiker dagegen poltern, bleiben Bürger eher ruhig.
Pläne zum Bau weiterer Stromtrassen sorgen für neuen Unmut in Nord- und Osthessen. Während Verwaltungschefs wie Bürgermeister und Landräte und weitere Kommunalpolitiker die Pläne kritisieren, informieren die Netzbetreiber derzeit bei Bürgerforen die Öffentlichkeit und werben um Verständnis.
Nach der Fulda-Main-Leitung werden nun die nächsten Mega-Projekte zum Ausbau der Infrastruktur für die Energiewende in der Region vorgestellt. Deutschland hat das Ziel, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein. Dabei spielen die Stromerzeugung und der bislang schleppende Trassen-Ausbau eine wichtige Rolle. Der Verbund Stromnetz DC, zu dem die Netzbetreiber 50Hertz, Tennet und TransnetBW gehören, plant mehrere Stromtrassen, die Windenergie etwa aus Norddeutschland quer durch die Republik in den Süden transportieren sollen.
160 Kilometer lang durch Hessen
Zwei davon sollen durch Nord- und Osthessen verlaufen. Die insgesamt Hunderte von Kilometern langen Stromtrassen namens Nordwest- und Südwestlink werden gebündelt und führen rund 160 Kilometer lang durch Hessen.
Die Trassen schlängeln sich den Plänen zufolge durch mehrere Landkreise und sollen entlang von Witzenhausen, Großalmerode, Waldkappel, Sontra (alle Werra-Meißner), Bad Hersfeld, Hünfeld (Fulda), Schlitz (Vogelsberg) und Schlüchtern (Main-Kinzig) führen - um nur einige Orte zu nennen.
Die Bundesnetzagentur hat für die Stromtrassen einen Präferenzraum präsentiert, den man hier anschauen kann. Durch diesen etwa fünf bis zehn Kilometer breiten Korridor sollen die Trassen geführt werden.
Vorrang für teurere Erdverkabelung
Der regional zuständige Netzbetreiber TransnetBW hat die Planungen bereits verfeinert und einen Vorschlag für den Verlauf der Stromtrassen innerhalb dieses Korridors erarbeitet. Dabei handelt es sich um einen 250 Meter breiten Streifen. Letztlich soll ein etwa 70 Meter breiter Bereich für den Leitungsbau festgelegt werden.
Im Gegensatz zu früheren Stromtrassen gilt für alle neuen Megatrassen, die Deutschlands windreichen Norden und Nordosten mit dem industriereichen Süden und Südwesten verbinden sollen, ein gesetzlich vorgeschriebener Vorrang für eine Erdverkabelung. Statt riesige Strommasten für Freileitungen zu errichten, verschwinden die Leitungen im Untergrund.
Das schafft zwar bei den Menschen in den betroffenen Regionen mehr Akzeptanz, wie TransnetBW-Sprecher Alexander Schilling sagt. Es hat aber auch seinen Preis. Wegen der Erdkabel werden die beiden Trassen Nordwestlink und Südwestlink voraussichtlich etwa doppelt so teuer wie Freileitungen.
Die Energie-Netzbetreiber rechnen mit Kosten von rund 30 bis 40 Milliarden Euro, wie Schilling sagt. Diese Mehrkosten gehen auf die Rechnung der Netznutzer, also der Wirtschaft und aller Stromverbraucher - über die sogenannten Netzentgelte.
Erdkabel lösen auch nicht alle Probleme
Doch die Erdkabel lösen auch nicht alle Probleme. Sie sind etwa in hügeligen und topographisch anspruchsvollen Regionen wie im Sinntal (Main-Kinzig) aufwendiger als ohnehin schon zu verlegen. "Dort wären Strommasten mit Freileitungen, die Gebiete überspannen können, einfach praktischer", erklärt Kevin Zdiara, der sogenannte Bürgerreferent für Hessen von TransnetBW.
Trotz des Erdkabel-Vorrangs hat sich erhebliche Kritik an den Stromtrassen-Plänen entzündet. Besonders deutlich wurde der Landrat des Kreises Hersfeld-Rotenburg. Torsten Warnecke befand, die Stellungnahmen aus seiner Region seien "komplett ignoriert" worden. "Dieser Mangel an Sorgfalt und Präzision in einem solchen Verfahren kann nur als Dilettantismus bezeichnet werden", polterte der SPD-Politiker.
Der Landkreis, so Warnecke, sei entschlossen, gegen die aktuellen Pläne vorzugehen. Er sehe in seinem Landkreis große Raumwiderstände, wie es Planer im Fachjargon nennen. Ins Detail wollte er dabei nicht gehen.
"Mit der Brechstange und ohne Rücksicht"
Im Kreis Hersfeld-Rotenburg rufen außerdem Bürgermeister nach finanzieller Kompensation. Kommunen und Grundstückseigentümer sollten mehr Geld für die Bodennutzung bekommen, verlangt der Sprecher der Bürgermeister, Thomas Rohrbach (parteilos) aus Niederaula.
Unmut macht sich auch weiter südlich breit, etwa in Hünfeld (Fulda). Bürgermeister Benjamin Tschesnok (CDU) präsentiert eine lange Liste von Argumenten, die aus seiner Sicht gegen die Trasse sprechen. Im Raum Hünfeld gebe es bereits zahlreiche Belastungen: Autobahnen, Bahnstrecken, Leitungen für Salzlauge, Gas und Strom. Somit drohe eine "Überbündelung". Soll heißen: Irgendwann ist auch mal genug.
Neben weiteren Belastungen für die Natur und einem hohen Flächenverbrauch befürchtet Tschesnok eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeiten bei künftigen Bau- und Infrakstrukturmaßnahmen. "Hier wird mit der Brechstange ohne Rücksicht auf die Menschen und die Natur vor Ort vorgegangen", schimpft er.
Keine Proteste bei Bürgerforen
Solch harsche Kritik war bei Bürger-Informationsveranstaltungen nicht zu vernehmen. In Hünfeld etwa gab es überhaupt keine sicht- und hörbaren Proteste: kein Trillerpfeifen-Radau, keine Banner-Botschaften, keine Gegenveranstaltungen mit Demo-Charakter. Auch in der Stadthalle, wo der Netzbetreiber Info-Stände aufgebaut hatte, herrschte eine unaufgeregte Atmosphäre. Statt Emotionen abzuladen, stellten Bürger Fachfragen.
Ein Landwirt wollte etwa wissen, in welcher Tiefe die Erdkabel verlegt würden (Antwort: etwa 1,50 Meter) und ob er mit Einschränkungen zu rechnen habe beim Befahren seiner Flächen mit schweren Maschinen (Antwort: normalerweise nicht). "Wir erleben die Atmosphäre hier als sehr sachlich und konstruktiv", beobachtete TransnetBW-Sprecher Schilling. Wer Anmerkungen zum Trassen-Verlauf habe, könne sie online einreichen. Im Sommer soll mit dem Beginn des Planfeststellungsverfahrens der nächste Schritt hin zur Genehmigung erfolgen.
Wenn eine Kommune ein anhaltendes und unlösbares Problem mit dem Trassenvorschlag habe, stehe ihr eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig offen, sagt Schilling. Zeit, sich über die Planungen einig zu werden oder darüber zu streiten, ist noch reichlich. Die Trassen sollen spätestens 2037 in Betrieb gehen.
Sendung: hr4, hessenschaureport, 15.02.2024, 6.30 Uhr
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