Werden Verbraucher getäuscht? "Ökogas-Lüge": Vorwürfe gegen hessische Gasversorger

Einem Medienbericht zufolge sollen 16 hessische Energieversorger Ökogas verkauft haben, das diese Bezeichnung nicht verdient hat. Dabei sollen Klimaschutzprojekte zur CO2-Kompensation eine unrühmliche Rolle spielen.

Verdichterstation für Erdgas
Verdichterstation für Erdgas Bild © Imago Images
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Sonnenlicht, das durch ein dichtes grünes Blätterdach bricht. Ein leuchtend gelbes Rapsfeld unter strahlend blauem Himmel. Lachende Eltern, lachende Kinder, ausgelassene Stimmung. So oder so ähnlich bewerben hessische Energieversorger ihre Ökogas-Verträge in Prospekten oder im Internet.

Sie wollen den Kunden suggerieren: Unsere Produkte sind sauber. In ihren Werbetexten werden sie noch deutlicher: "Mit Ökogas das Klima schützen", verspricht etwa der Darmstädter Versorger Entega. Die Städtischen Werke Kassel reimen schlicht "Goodbye, CO2". Wer dort Ökogas bezieht, bekommt für ein paar Cent mehr ein reines Gewissen dazu. So vermittelt es die Werbung.

Screenshot der Internetseite der Städtischen Werke Kassel (Stand 16.04.2024)
Screenshot der Internetseite der Städtischen Werke Kassel (Stand 16.04.2024) Bild © www.sw-kassel.de

Laut einer Untersuchung des Recherchenetzwerks Correctiv werden Kundinnen und Kunden in Deutschland und Hessen aber massiv getäuscht. Um ihr an sich klimaschädliches Gas als klimafreundlich bewerben zu dürfen, müssen die Energieversorger das entstandene CO2 kompensieren, also eine Art Wiedergutmachung leisten. Aber eben jene Kompensation bleibe meist aus, behauptet Correctiv in seiner Recherche mit dem Namen "Ökogas-Lüge".

150 Gasversorger unter die Lupe genommen

Für die Recherche hat Correctiv nach eigenen Angaben die Kompensationsaktivitäten und CO2-Gutschriften von 150 Gasversorgern und kommunalen Stadtwerken von 2011 bis 2024 untersucht. Grundlage dafür waren die Register der Marktführer auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt, Verra und Gold Standard. Diese Organisationen definieren weltweit Standards für Klimaschutzprojekte und deren Wert bezüglich CO2-Gutschriften. Sie sollen garantieren, dass mit den Projekten auch tatsächlich Emissionen reduziert werden.

Um ihre Produkte als klimaneutral zu bewerben, können Unternehmen CO2 auch an anderer Stelle als in ihrer eigenen Produktion einsparen. Dazu kaufen sie sogenannte Kompensationszertifikate. Die Händler investieren zum Beispiel in Waldschutzprojekte. Schützen sie einen Teil des Waldes, der andernfalls abgeholzt worden wäre, können sie dafür CO2-Zertifikate verkaufen.

Auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt können Privatpersonen und Unternehmen ihre Emissionen durch Geldzahlungen an Kompensationsprojekte freiwillig, also ohne gesetzliche Verpflichtung ausgleichen. Die hierbei erworbenen Zertifikate werden "Voluntary Emission Reductions" (VER) genannt. Da der freiwillige Kompensationsmarkt bisher gänzlich unreguliert ist, unterscheiden sich die Qualität der Projekte und Standards innerhalb des Marktes stark voneinander.

Correctiv kommt jedoch zu dem Ergebnis: 116 Gasversorger haben Gutschriften aus Klimaprojekten genutzt, die nicht plausibel nachweisen können, dass sie tatsächlich wirksam sind. Die Gründe dafür sind vielfältig: Beispielsweise werde dort weniger Wald geschützt als angegeben oder es werden weniger Emissionen eingespart als berechnet.

16 hessische Versorger betroffen

Von den insgesamt 16 Millionen ausgewerteten Gutschriften sind laut Correctiv zwei Drittel unplausibel. Begleitet wurde die Recherche etwa von Wissenschaftlern und Expertinnen des Öko-Instituts, der Deutschen Unwelthilfe (DUH) oder des New Climate Institutes.

Ein Quader symbilisiert die Größer einer Tonne CO2
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In Hessen sind laut Correctiv 16 Gasversorger betroffen, die im Correctiv-Dokument allesamt aufgelistet sind. Dabei täten sich ESWE, Entega und die Städtischen Werke in Kassel besonders hervor. ESWE habe über zwei Millionen Zertifikate bei laut Recherche ungeeigneten Projekten gekauft. Die Städtischen Werke und Entega kauften demnach je rund 1,5 Millionen Zertifikate. Ein Zertifikat steht für eine Tonne CO2.

Die Reaktionen auf die Vorwürfe fallen bei den angesprochenen Gasversorgen unterschiedlich aus. "Es ist alles vom TÜV zertifiziert und darauf verlassen wir uns", weist ein Sprecher der Städtischen Werke Kassel gegenüber dem hr die Vorwürfe in knappen Worten zurück. ESWE war für eine Stellungnahme am Dienstag nicht zu erreichen.

Entega erneut in der Kritik

Die Darmstädter Entega findet mehr Worte: "Wir setzen seit nunmehr 15 Jahren auf Kompensationsprojekte", sagt Unternehmenssprecher Michael Ortmanns. Leider sei überall da, wo es viel Geld zu verdienen gibt, "sehr schnell auch immer Missbrauch im Spiel". Die Entega müsse "leider davon ausgehen, dass uns über die anderthalb Jahrzehnte im Einzelfall auch betrügerische Kompensationsprojekte angeboten wurden."

Sowieso könne durch Kompensationsmaßnahmen die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zwar gesenkt werden, "eine Klimaneutralität wird aber dadurch selbstverständlich nicht erreicht", sagt Ortmanns.

Der Darmstädter Versorger habe sich bereits vor der Correctiv-Recherche entschieden, das Produkt "Ökogas" mit Hilfe von externen Beratern und Experten auf den Prüfstand zu stellen. "Bis Ende des laufenden Jahres werden wir dazu ein Ergebnis liefern", sagt Ortmanns. Das mag auch daran liegen, dass Entega bereits Ende 2023 in einer ZDF-Recherche dem Vorwurf ausgesetzt war, durch den Kauf von Zertifikaten aus einem Waldprojekt in Brasilien Greenwashing zu betreiben.

Ökonomin sieht Schaden bei den Verbrauchern

Das Problem besteht laut Correctiv darin, dass alle Beteiligten am bestehenden System verdienen würden, angefangen bei den Projektbetreibern, über Verra und Gold Standard bis hin zum TÜV und den Gasversorgern. "Keiner hat den Anreiz, weniger Zertifikate auszugeben", sagt Benedict Probst, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München. Der freiwillige Kompensationsmarkt, der eigentlich Klimaschutz fördern soll, verhindere diesen so in vielen Fällen.  

Umweltökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht den Schaden am Ende bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. "Sie wähnen sich in falscher Sicherheit, dass ihr Erdgas dem Klima weniger schadet", sagte sie gegenüber Correctiv. Echter Klimaschutz können nur "durch den Umstieg weg vom fossilen Erdgas erfolgen".

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Quelle: hessenschau.de