Experte sieht "Ausreißer nach oben" Wieder mehr Auszubildende in der Pflege - aber noch mehr Bedarf

Das Interesse an Pflegeberufen steigt: 2024 fingen mehr Hessinnen und Hessen eine Ausbildung zur Pflegefachkraft an. Für eine echte Trendwende reiche das aber noch nicht, sagt ein Experte.

Eine Pflegekraft unterstützt eine Seniorin beim Frühstück
Die Ausbildung zur Pflegefachkraft scheint wieder attraktiver zu werden. Bild © picture alliance/dpa | Bernd Thissen

Im vergangenen Jahr haben sich mehr Hessinnen und Hessen für eine Ausbildung in der Pflege entschieden als in den Vorjahren. Wie das Statistische Landesamt am Montag berichtete, nahmen nach vorläufigen Zahlen im Jahr 2024 rund 3.600 Menschen in Hessen eine Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann auf.

Das seien 350 Personen oder elf Prozent mehr als im Vorjahr gewesen. Damals begannen 3.240 Auszubildende, 2022 waren es sogar nur rund 3.100.

Es sei "sehr positiv", dass aktuell deutlich mehr junge Menschen eine Ausbildung zur Pflegefachkraft beginnen würden, sagt Oliver Lauxen, stellvertretender Leiter des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) an der Goethe-Universität Frankfurt. Von einer Trendwende würde er allerdings nicht sprechen: "Es ist ein Ausreißer nach oben."

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Auch für Sonja Driebold von der Diakonie Hessen ist die Zunahme noch kein Grund zum Aufatmen: Bei den Ausbildungszahlen gebe es immer wieder einmal Schwankungen, schreibt sie dem hr. Besondere Gründe für den Anstieg seien der Diakonie nicht bekannt.

Vergütung der Ausbildung gestiegen

Tatsächlich hatte die Zahl der neuen Azubis bei Einführung der Ausbildung im Jahr 2020 mit 3.558 schon einmal ähnlich hoch gelegen. Damals wurden die früheren Ausbildungsgänge Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Kinderkrankenpflege zusammengelegt.

Seitdem ist die Ausbildungsvergütung gestiegen. Aktuell erhalten Azubis je nach Ausbildungsjahr 1.351 bis 1.525 Euro pro Monat. Zum 1. Februar stieg die monatliche Vergütung jeweils um 100 Euro. Ab 1. August werden es noch einmal jeweils 50 Euro mehr sein. Inzwischen werden auch Studierende in Pflegeberufen durchgängig bezahlt.

Die gestiegene Vergütung könnte ein Grund dafür sein, dass die Ausbildung offenbar attraktiver geworden ist, sagt Oliver Lauxen vom IWAK. Hinzu komme, dass der Beruf "sehr offen" für Zugewanderte sei. Als Pflegehilfskraft gebe es einen niedrigschwelligen Zugang zum Arbeitsmarkt, zudem seien mehrere Pflegeschulen in Hessen auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte spezialisiert. "Der Trend der Internationalisierung könnte ein weiterer Grund sein."

Prognose: 20.000 Altenpfleger bis 2030 gebraucht

Um den Fachkräftemangel in der Pflege und den steigenden Bedarf an Pflegekräften zu decken, reiche das aber noch nicht. "Wir müssen noch viel, viel mehr ausbilden", mahnt Lauxen.

Laut dem Hessischen Pflegebericht des Sozialministeriums werden bis 2040 84 Prozent der Kranken- und 70 Prozent der Altenpflegekräfte in Rente gehen. Gleichzeitig werde die Zahl der Pflegebedürftigen um 11 Prozent auf 347.000 zunehmen. Das Sozialministerium rechnet deshalb damit, dass bis 2030 allein 20.000 zusätzliche Altenpflegerinnen und -pfleger benötigt werden.

Schon heute dauert es laut einer bundesweiten Auswertung der Bundesagentur für Arbeit in der Altenpflege im Schnitt 296 Tage, eine offene Stelle zu besetzen. In der Krankenpflege geht es mit 269 Tagen kaum schneller.

Die Statistik gebe noch keinen Aufschluss darüber, wie viele Menschen tatsächlich in den Pflegeberufen bleiben, betont Sonja Driebold von der Diakonie. Viele zugewanderte Auszubildende bräuchten etwa Unterstützung bei der Integration, bei bürokratische Hürden oder der Sprache. "Da sehen wir derzeit immer mehr Anforderungen an die Strukturen vor Ort, die eigentlich eine regelhafte Schulsozialarbeit erforderlich machen." Denn eine individuelle Begleitung bei der Ausbildung könne Ausbildungsabbrüche verhindern.

Redaktion: Anja Engelke

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe