Über 1.000 Mitarbeitende betroffen Reifenhersteller Goodyear schließt 2025 Werk in Fulda
Im Sommer hieß es noch: Der traditionsreiche Standort in Fulda bleibe erhalten - wenn auch bei halbierter Belegschaft. Nun hat der Reifenhersteller Goodyear verkündet, das mehr als 100 Jahre alte Werk komplett dicht zu machen. Die Gewerkschaft läuft Sturm.
Der Reifenhersteller Goodyear hat angekündigt, sein Werk in Fulda bis zum Ende des dritten Quartals 2025 schließen zu wollen. Die zunächst geplante Halbierung der Belegschaft mündet nun in die Abwicklung des ganzen Betriebs. Betroffen davon sind 1.050 Mitarbeitende, die am Traditionsstandort ihren Job verlieren. Darüber hinaus trifft es das Werk in Fürstenwalde (Brandenburg). Dort soll die Produktion schrittweise bis 2027 beendet werden, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte.
Goodyear teilte als Begründung mit: "Dies ist eine schwierige, aber notwendige Entscheidung, um Überkapazitäten zu reduzieren und unsere Produktionsstruktur mit der Nachfrage in Einklang zu bringen." Durch die Schließungen wolle man die Kostenstruktur verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität langfristig sichern.
Aus Halbierung wird kompletter Kahlschlag
Im Sommer hatte der Reifenhersteller noch erklärt, dass lediglich rund die Hälfte der Belegschaft abgebaut werden soll. Das Werk sollte aber weiter existieren. Es war nicht die erste angekündigte Schrumpfkur bei Goodyear in Hessen: Bereits im Jahr 2019 wurden 450 Stellen in Fulda und 600 Stellen in Hanau gestrichen.
Nach der jüngsten Ankündigung zum Arbeitsplatz-Abbau hatte es zwischen Gewerkschaft, Arbeitnehmer-Vertretung und Vertretern des US-Konzerns erneut viel Ärger gegeben. Es herrschte dicke Luft bei den Verhandlungen zum Ausmaß des Job-Abbaus, zum Sparprogramm und der Zukunft für die Betroffenen.
Anne Weinschenk von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) sagte am Donnerstag nach dem angekündigten Kahlschlag: "Das ist eine riesige Unverschämtheit, so mit den Leuten umzugehen." Erst habe es die Hiobsbotschaft zum Stellenabbau gegeben, dann habe man erst mal lange nichts gehört. "Wir sind in Verhandlungen gegangen, und die hat der Arbeitgeber irgendwann einfach abgebrochen." Die Gespräche zum Sozialplan wurden für gescheitert erklärt.
Gewerkschaft will kämpfen und erwägt Streiks
Weinschenk versicherte, weiter für die Belegschaft kämpfen zu wollen: "Wir könnten versuchen, einen Sozialtarifvertrag zu verhandeln." Auch Streikmaßnahmen seien damit denkbar. "Wir wollen es für Goodyear nun so teuer wie möglich machen.
Ein Goodyear-Sprecher erläuterte auf hr-Anfrage den Sinneswandel von der Halbierung der Belegschaft zur Komplett-Schließung: "Aufgrund der anhaltend schwierigen Bedingungen sah Goodyear sich gezwungen, die Lage neu zu bewerten. Über die vergangenen Monate haben sich die Marktaussichten signifikant und rapide verschlechtert. Die Nachfrage-Prognosen sind in allen Segmenten der Reifen-Industrie deutlich zurückgegangen."
Gewerkschaft: "Das ist nicht glaubwürdig"
Der Zuwachs aus Billig-Importen aus Asien habe sich weiter verschärft, erklärte der Sprecher. Zudem sei der anhaltende Inflationsdruck eine Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit.
Gewerkschafterin Weinschenk kritisierte die Begründung: "Das ist nicht glaubwürdig, dass sich die Lage in wenigen Monaten so verändert haben soll. Ich glaube, die Pläne zur Schließung lagen schon lange in der Schublade. Und jetzt wurde das Todesurteil für die beiden Standorte verkündet." Neben den 1.050 Beschäftigten in Fulda sind noch 700 Menschen in Fürstenwalde betroffen vom Job-Verlust.
Das Unternehmen sagte, es sei sich der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und ihren Familien bewusst und entschlossen, "faire Lösungen zu finden und alle Betroffenen zu unterstützen". In Fulda könnten den Angaben zufolge etwa 90 Mitarbeitern aus den Bereichen Verkauf und Verwaltung entweder im Goodyear-Werk in Hanau oder im Homeoffice eine neue Tätigkeit angeboten werden.
Al-Wazir "erstaunt und verwundert"
Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) sprach am Freitag ebenfalls von einer Hiobsbotschaft. "Die Landesregierung hat größtes Interesse, dass es zu einer alternativen Lösung kommt und die Auswirkungen auf die Belegschaft minimiert werden", betonte er.
Staatssekretär Jens Deutschendorf habe der Geschäftsführung Ende Juli "Unterstützung bei der Umorientierung auf CO2-freie Produktion angeboten". Al-Wazir sagte am Freitag: "Wir sind erstaunt und verwundert, dass die Situation sich seitdem so geändert haben soll."
"Kalt erwischt nach Monaten der Hoffnung"
Der Fuldaer Landrat Bernd Woide und Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (beide CDU) reagierten mit Bestürzung: "Die Beschäftigten sind kalt erwischt worden nach Monaten der Hoffnung, dass das Werk in Fulda trotz der Ankündigung eines massiven Stellenabbaus wenigstens eine kleine Chance auf eine Zukunft haben würde." Die Nachricht sei ein "Schock" und "völlig unerwartet" gekommen. Zu keinem Zeitpunkt habe sich solch ein dramatisches Szenario abgezeichnet.
Landkreis und Stadt seien eigentlich zuversichtlich gewesen, "dass die intensiven Gespräche der vergangenen Monate mit Geschäftsleitung und Betriebsrat sowie die breite Unterstützung bei den Kundgebungen Früchte tragen könnten und würden." Nun wolle man die Betroffenen aktiv unterstützen, dass sie in der Region Fulda eine adäquate neue Beschäftigung finden.
Marke Fulda-Reifen soll erhalten bleiben
Goodyear ist nach eigenen Angaben einer der größten Reifenhersteller in Deutschland und beschäftigt über 5.000 Menschen. Die Standorte des Unternehmens liegen außer in Fulda und Hanau in Köln, Fürstenwalde (Brandenburg), Riesa (Sachsen), Philippsburg (Baden-Württemberg) und Wittlich (Rheinland-Pfalz). Weltweit gibt es 74.000 Mitarbeitende an 57 Standorten in 23 Ländern. Zu den Marken des Unternehmens gehören unter anderem Goodyear, Dunlop und Fulda-Reifen.
Die Marke Fulda-Reifen soll erhalten bleiben und an anderen Standorten produziert werden, wie Goodyear mitteilte. Das Werk in Fulda besteht seit über 100 Jahren - und wird in zwei Jahren sein Ende erleben.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 17.11.2023, 16.45 Uhr
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